Konstanz am Bodensee – Sehenswertes, Geschichte und Insidertipps. Das etwas andere Portal zu Konstanz in Oberschwaben. Hier gibt es nützliche Links, (alte und neue) Karten, Fotos, Ausflugsziele, Sagen, Mythen, Geschichten und Gebräuche

Allgemeines

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Historische Lexikoneinträge

Konstanz (Meyers.1907)

(früher Kostenze, Kostentz; die Form Kostnitz ist tschechischen Ursprungs und seit Hus‘ Zeiten missbräuchlicherweise üblich geworden), Hauptstadt des badischen Kreises Konstanz, der 1864,4 qkm (33,86 QM.) Areal und (1900) 144,276 Einwohner (davon 9416 Evangelische, 131,290 Katholiken und 1584 Juden) hat, in anmutiger Lage am Ausfluss des Rheins aus dem Bodensee, 405 m ü. M., besteht außer der Altstadt noch aus dem ehemaligen Kloster, jetzt zu Kasernen umgewandelten Petershausen, den Stadtteilen Seehausen und Paradies, mit zahlreichen Gärten und Gemüsefeldern, auf dem rechten und der Kreuzlinger Vorstadt auf dem linken Rheinufer.

Unter den Gebäuden der Stadt ist der Dom, eine 1052–68 erbaute romanische (das Querschiff ist gotisch) Säulenbasilika, das hervorragendste. Chor, Nebenschiffe und die beiden Westtürme sind im 15. Jahrhundert umgebaut und neuerdings das ganze Gebäude restauriert worden. Zu den Sehenswürdigkeiten des Domes gehören das Schnitzwerk der Chorstühle und Portaltüren von Nik. Lerch (1470), die Krypte, die reiche Schatzkammer, mehrere interessante Grabmäler, eine Mariensäule in Erz von 1682 etc. Die meisten Sitzungen des Konzils (s. unten) wurden im Dom gehalten, und noch zeigt man die Stelle, wo Hus 1415 bei seiner Verurteilung gestanden haben soll.

Konstanzer Münster um 1900
Das Münster (der Dom) von Konstanz um 1900

Andre kirchliche Gebäude sind: die gotische Stephanskirche, die Augustinerkirche (15. Jahrh.), die im romanischen Stil erbaute evang. Kirche, die altkath. Gymnasiumskirche und die 1884 erbaute Synagoge. Das ehemalige Dominikanerkloster (1875 zum Inselhotel umgebaut), das sich mit dem Dom in die Konzilssitzungen teilte, enthält das Grab des berühmten Griechen Manuel Chrysolaras und war 89 Tage lang Hus‘ Kerker. Ein Wahrzeichen der Stadt ist das 1388 erbaute Kaufhaus, das während des Konzils als Konklave diente. Sein großer Saal, in dem 1417 der Papst Martin V. gewählt wurde, ist jetzt von Fr. Pecht und Schwörer mit Fresken aus der Konstanzer Kulturgeschichte geschmückt. Das Kanzleigebäude, mit historischen Fresken an der Außenseite und in der Vorhalle geziert, enthält ein reiches Archiv.

Das Wessenberg-Haus mit der Büste des 1860 hier verstorbenen Generalvikars und Stifters birgt eine Gemäldegalerie und die große städtische Bibliothek. Ferner sind bemerkenswert: das Rosgartenmuseum, ein altes Zunfthaus mit einer vortrefflichen Sammlung von Gegenständen aus der Natur und der Geschichte von K. und der Umgegend; das Gasthaus Barbarossa, in dem Kaiser Friedrich 1183 den Frieden mit den lombardischen Städten schloß; das Hus-Häuschen (»Hußenherberge«) am Schnetztor, in dem Hus wohnte und gefangen genommen wurde, mit Reliefs von Hus und Hieronymus, der schöne Hafen mit Leuchtturm, das neue Reichspostgebäude, das städtische Krankenhaus und andre Neubauten. An Denkmälern besitzt die Stadt noch ein Kriegerdenkmal, eine Büste des Kaisers Wilhelm I. im Stadtgarten, eine Büste des Kaisers Friedrich III. an der Kaserne, den Vierkaiserbrunnen mit Darstellungen der Kaiser Heinrich III., Friedrich Barbarossa, Maximilian I. und Wilhelm I. und vier Sandsteinstatuen (der Bischöfe Konrad und Gebhard, der Herzoge Bertold I. von Zähringen und Leopold von Baden) auf der Rheinbrücke.

Die Bevölkerung beträgt mit der Garnison (ein Infanterieregiment Nr. 114) 21,445 Seelen, darunter 4158 Evangelische und 565 Juden. Die Industrie erstreckt sich auf Baumwollweberei und-Druckerei, Seidenweberei, Fabrikation wasserdichter Stoffe, von Säcken, Jutegeweben, Leinen und Segeltuch, Chemikalien, Herden, Schlössern und Kassenschränken, Steppdecken, Öfen, Zement- und Tonwaren, Seife, Lichten, Tapeten, Weißwaren, Briefkuverten, Mineralwasser, Möbeln, Zigarren und Falzziegeln, auf Eisengießerei, Fabrikation landwirtschaftlicher Maschinen, Holzverkohlung etc. Der lebhafte Handel wird unterstützt durch eine Handelskammer, eine Reichsbanknebenstelle, eine Filiale der Rheinischen Kreditbank und andre Geldinstitute sowie durch die lebhafte Dampfschifffahrt.

Für den Eisenbahnverkehr ist Konstanz Knotenpunkt der Badischen Staatsbahnlinie Mannheim-Konstanz und der Linien Konstanz-Romanshorn und Konstanz-Winterthur der Schweizerischen Bundesbahn. An höheren Schulen und andern Anstalten hat Konstanz ein Gymnasium, eine Oberrealschule, Gewerbeschule, Handelsschule, ein Knabenkonvikt; ferner ein Rettungshaus, eine Nerven- und eine Augenheilanstalt, ein Asyl für Gemütsleidende und Irre etc. Konstanz ist Sitz eines Landeskommissars für die Kreise Konstanz, Villingen und Waldshut, eines Bezirksamtes, eines Landgerichts, einer Oberpostdirektion, eines Forstamtes, eines Hauptsteueramtes und einer Handwerkskammer.

Die städtische Verwaltung zählt 2 Bürgermeister, 14 Magistratsmitglieder und 96 Stadtverordnete. Zum Landgerichtsbezirk Konstanz gehören die 9 Amtsgerichte zu Donaueschingen, Engen, Konstanz, Meßkirch, Pfullendorf, Radolfzell, Stockach, Überlingen und Villingen. Die nächste Umgebung von Konstanz ist mit schönen Anlagen geziert, südwestlich angrenzend liegt das schweizerische Kreuzlingen, weiter im Untersee die Insel Reichenau und an demselben auf einer Anhöhe das Schloss Arenenberg (s. d.), endlich im Überlinger See die Insel Mainau (s. d.).
Quelle: Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 11. Leipzig 1907, S. 427-429.
Permalink: http://www.zeno.org/nid/2000692462X

Konstanz 1575
Konstanz 1575, Kupferstich von Franz Hogenberg

 

Konstanz (s. Kostnitz) (Wander 1870)
1.
„In Konstanz sieht man die fettesten Bäuche aller Reiche, wie sie an allen Ecken treiben sodomsche Lüste.“ Bezieht sich auf die Zeit des bekannten vierjährigen Concils von 1414-18, auf welches alle christlichen Völker ihre Oberpriester sandten. Der Papst selbst kam mit einem Gefolge von 600 Personen, 5 Patriarchen mit 118, 33 Kardinäle mit 150, 47 Erzbischöfe mit 1500, 160 Bischöfe mit 1600, 500 weltliche Fürsten und Grafen mit 1700 Rittern und mit einer Dienerschaft von 5000 Personen. Die Universitäten schickten über tausend Doctoren und Magister und die Zahl der Weltpriester überstieg 4000. Was beim Besitz der Mittel Genuss und Vergnügen suchte oder als Werkzeug für das eine oder das andere auf Erwerb spekulierte, ging nach Konstanz, von dem eben damals der obige Spruch entstand. (Meyer, Universum, VI, 33.)

2. „Konstanz, das größte; Basel, das lustigste; Straßburg, das edelste; Speier, das andächtigste; Worms, das ärmste; Mainz, das würdigste; Trier, das älteste; Köln, das reichste.“ – Eiselein, 314; Simrock, 1468; Körte, 812; Klosterspiegel,7,7; Reinsberg V, 80. Nämlich – Hochstift.

3. „Konstanz is e fromme Stadt un het viel Chlöster, nur schad, sie lit gar ze nah an der Höll; mer chönnt in der Schrybergass mit ’nem Kuttenzipfel bis in d‘ Höll‘ abegraben.“ (Schweiz.) – Kirchhofer, 70; Eiselein, 389; Klosterspiegel,4,3. In diesen üblen Ruf ist Konstanz früher durch das bischöfliche Ehegericht, das in alten Zeiten auf eine leichtfertige und sehr kostspielige Weise geführt wurde, gekommen. Die große Menge von Schreibern und Procuratoren trug nicht wenig dazu bei. Dass der kostnitzer Bezirk unter der Herrschaft der schlüpfrigen Venus liege, bemerkte schon Hämmerlin (s.d.).

4. „Konstanz liegt am Bodensee; wer’s nicht glaubt, geh‘ hin und seh‘.“ – Deutsche Romanzeitung, 1866, Kr. 41, S. 393; Hesekiel, 16. Aus einem Studentenliede, vgl. das Commersbuch, Leipzig, 6. Aufl., S. 176.
In Ulm lautet das Sprichwort: „Konstanz liegt am Bodesee, wer’s net glaubt, geh‘ selber hê.“
Quelle: Karl Friedrich Wilhelm Wander (Hrsg.): Deutsches Sprichwörter-Lexikon, Band 2. Leipzig 1870, Sp. 1498-1499.
Permalink: http://www.zeno.org/nid/20011639504

Konstanz oder Kostnitz (Brockhaus 1838)
die Hauptstadt des Seekreises im Großherzogthum Baden, liegt an der Westseite des Konstanzer- oder Bodensees und an dem linken Ufer des Rheins, welcher den oberen See mit dem unteren in Verbindung setzt. Einst hatte diese alte Stadt 36,000 Einw., jetzt zählt sie deren nur noch 6000., Sie ist weitläufig gebaut, zum Teil befestigt und hat drei Vorstädte, sowie eine Rheinbrücke. Unter den fünf Kirchen ist der altdeutsche Dom mit schönen gotischen Denkmälern ausgezeichnet. Die bischöfliche Residenz ist geschichtlich merkwürdig. Konstanz hat ein Lyceum (Gymnasium), nicht unbedeutenden Handel, Leinwandmanufaktur und Obst- und Gemüsebau. Ehemals war Konstanz eine freie Reichsstadt, bis es 1548 in die Acht verfiel und sich Östreich unterwerfen musste. Im Jahr 1805 wurde es an Baden abgetreten. Das Konstanzer Bistum ist 1827 aufgelöst worden.

Berühmt ist das von 1414–18 dauernde Konstanzer Konzilium, auf welchem der römisch-deutsche Kaiser Sigismund, der Papst Johann XXII., 26 Fürsten, 140 Grafen, über 20 Kardinäle, 7 Patriarchen, 20 Erzbischöfe, 91 Bischöfe, 600 Prälaten und Doctoren und gegen 4000 Priester erschienen. Auf diesem Konzilium wurden Huß (s.d.) und Hieronymus von Prag (s.d.) als Ketzer verurteilt und verbrannt, wurden die drei mit einander um die Echtheit streitenden Päpste: Johann XXII., Gregor XII. und Benedict XIII. abgesetzt, wurde Martin V. als rechtmäßiger Papst erwählt und eingesetzt, aber der Hauptzweck: Verbesserung der ganzen Kirche, doch nicht erreicht. Überreste aus der Zeit dieser Kirchenversammlung, welche an sie erinnern, werden noch jetzt zu K. gezeigt.
Quelle: Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1838., S. 645.
Permalink: http://www.zeno.org/nid/20000838500

Konstanz (Herder, 1855)
uralte Stadt in herrlicher Gegend am Ausflusse des Rheines in den Bodensee, auf dem linken Rheinufer (Schweizerseite) gelegen, mit 6800 E., einem im 11. Jahrh. erbauten u. neuestens wiederhergestellten Münster, vielen alten Gebäuden und Merkwürdigkeiten, Lyceum, Frauenkloster, Kreisregierung, Hofgericht, Garnison, Zollbehörden u.s.f.; einige Fabriken, Handel, Seehafen, Dampfschifffahrtsgesellschaft, Fischerei, Wein-, Obst- u. Gemüsebau (Vorstadt Paradies). Konstanz war in der Römerzeit eine Feste gegen die Alemannen (soll von Konstantius Chlorus, dem Vater Konstantins d. Großen, daher der Name Konstanz, gegründet sein), wurde 553 Sitz des von Windisch hierher verlegten Bistums, 1192 zur Reichsstadt, in der viele Reichsversammlungen gehalten wurden. war im 15. Jahrh. noch sehr blühend durch Handel und Gewerbe, kam im 16. Jahrh. durch Veränderung des Handelsweges u. den Verlust seiner Unabhängigkeit herunter. Die protest. Stadt wurde wegen Nichtannahme des Interim von Kaiser Karl V. geächtet, 1548 zur Ergebung genötigt, wieder katholisch und österreichisch, wehrte sich im 30jährigen Krieg mannhaft gegen die Schweden, wurde 1806 badisch und verlor 1827 ihr Bistum.
Quelle: Herders Conversations-Lexikon. Freiburg im Breisgau 1855, Band 3, S. 639.
Permalink: http://www.zeno.org/nid/20003402789

Karten

Luftlinie-org berechnet die Luftlinienentfernung
sowie die Straßenentfernung zwischen zwei Orten und stellt beide auf der Landkarte dar. Startort ist Sipplingen, den Zielort müssen Sie noch wählen. Voreingetragen ist ➥ Bisoro in Burundi


Karte eingebunden aus OpenStreetMap – Veröffentlicht unter ODbL

Anmerkung: Die Grenzlinie im Bodensee ist nur für den kleinen Abschnitt im „Konstanzer Trichter“ und im Untersee korrekt. Es gibt kein Grenzabkommen zwischen Österreich, der Schweiz und Deutschland über den Grenzverlauf im See. Die Seefläche an sich ist somit quasi »internationales Gewässer« und zählt nicht zur Staatsfläche von Deutschland, bzw. Baden-Württemberg, der Schweiz oder von Österreich.“
statistik-bw.de-Service-Monatshefte-20080811

Fotos & Abbildungen

Die abgebildeten Postkarten und Fotos stammen aus dem 19.Jhd. bzw. aus der Jahrhundertwende um 1900. Sie sind verschiedenen Quellen entnommen (wie z.B. commons.wikimedia, zeno.org u.a.). Die Abbildungen wurden von mir retuschiert und in Farbe und Kontrast „aufgehübscht“.

Bildersammlung auf Wikimedia-Commons
Konstanz auf Tumblr
Konstanz auf Pinterest
Filme in der ARD-Retro-Mediathek (Filmbeiträge der 60er-Jahre)

Panorama von Konstanz, gedruckt durch Nikolaus Kalt, 1601

Friedrich Speth, Chronik der Stadt Konstanz, 1733: Ansicht der Stadt Konstanz von Süden

Kunst, Kultur und Brauchtum

Kultur und Sehenswürdigkeiten (Wikipedia)
Abbildungen auf ‚Bildindex‘
➥ Bilder auf ‚Google-Art‘
Konstanz auf ‚Zeno-Org‘
Suchfunktion nutzen für Konstanz auf leo-bw.de
(Karten, Archivmaterialien und Luftaufnahmen vom Landesarchiv Baden-Württemberg)
Alphabetisch sortiertes Verzeichnis auf www.kloester-bw.de
Beschreibungen vom Landesarchiv Baden-Württemberg

Ausflüge und Sehenswertes

Wikivoyage – Projekt der Wikimedia
Wikitravel – der freie Reiseführer

Webcams

Konstanz-Wallhausen (Werft) (BW)
Webcam der MS Seegold

Ortsbeschreibung von Merian: ➥ https://de.wikisource.org/wiki/Topographia_Sueviae:_Konstanz

De Merian Sueviae 078
Konstanz, Matthäus Merian: Topographia Sueviae, 1643, Tafel 17
Matthäus Merian, Topographia_Sueviae: Costantz (Wikisource)

Nachbargemeinden

angrenzende Städte und Gemeinden (aus Wikipedia)

Teilorte / Teilgemeinden

Ortschaften und Wohnplätze von Konstanz (aus Wikipedia)

Geschichte

Allgemein (Meyers, 1907)

Den Untergrund des ältesten Stadtteils bildet ein Molassefels, der trotz seiner geringen Erhebung dem Austritt des Rheins aus dem Bodensee den Weg wies und die Bildung der Konstanzer Bucht bedingte; in letzterer sind Pfahlbausiedlungen seit der jüngeren Steinzeit nachgewiesen. Die Erhebung diente den Römern bei der Befestigung der Rheinlinie als Platz für ein Kastell und als Brückenkopf für den Rheinübergang; nach der Überlieferung geschah dies Ende des 3. Jahrh. unter Constantius Chlorus, auf den auch der Name der Bucht zurückgeführt wird (vielleicht hieß Konstanz vorher keltisch Vitudurum). Die civitas Constantia wird zuerst in der Cosmographia des Anonymus Ravennas (5. Jahrh.) erwähnt. Die Zukunft des Platzes entschied die wohl noch im 6. Jahrh. erfolgte Verlegung des Bischofssitzes aus der römischen civitas Vindonissa (Windisch im Aargau) nach Konstanz, wodurch sich die Frankenkönige in dem unterworfenen und zum Teil von den Ostgoten erworbenen Alemannenland einen Stützpunkt schaffen wollten.

An der Stelle des Römerkastells entstand nun die Kathedrale mit Bischofspfalz, Domschule und Klerikerhaus. Über dieser ummauerten Bischofsburg dehnte sich nördlich eine kleine Laiensiedelung (Niederburg, suburbium) aus. Die Entstehung des Kerns der heutigen Stadt hängt jedoch erst mit der Marktgründung (Anfang des 10. Jahrh.) zusammen. Reichsstadt wurde Konstanz 1192. Der Leinwandhandel nahm hohen Aufschwung (Tela di Constanza); die Stadt erwarb von den verschuldeten Bischöfen wichtige Hoheitsrechte und entfaltete als angesehenstes Glied des schwäbischen Städtebundes im 14. Jahrh. eine bedeutsame Macht in Süddeutschland.

Ein Aufstand von 1342 führte zur Anerkennung der Zünfte, der von 1370 zur Verdoppelung des Rats durch Aufnahme der Zunftmeister. Der Aufstand von 1389 stürzte den bestehenden Rat wegen der Niederlage des Schwäbischen Städtebundes. Aber bei der Erhebung von 1429–30 unterlagen die Zünfte; die wirtschaftlich wichtigsten von ihnen, Leinweber und Ledergerber, wurden unterdrückt und König Siegmund nötigte Konstanz 1430 eine neue Verfassung auf. Seit dem Konzil (s. Konstanzer Konzil) ging der Handel allmählich zurück. Vollends veranlasste der Zunftkrieg von 1429–30 angesehene Häuser, die Städte Ravensburg und St. Gallen zum Mittelpunkt des oberdeutschen Leinenhandels zu machen. Der Versuch, aus der von Siegmund der Stadt Konstanz verpfändeten Landgrafschaft Thurgau ein wirtschaftlich abhängiges Hinterland zu schaffen, scheiterte an dem Vordringen der Eidgenossenschaft, die im Schwabenkrieg (1499) den Thurgau völlig an sich riss und mit der Loslösung der Schweiz vom Reiche die Landesgrenze unmittelbar vor den Stadtmauern aufrichtete.

Unter Führung des Brüderpaares Ambrosius und Thomas Blarer schloss sich K. der Reformation an, zunächst Luther zugeneigt; bald geriet jedoch die Bewegung in Abhängigkeit von Zürich und Zwingli. Wegen des schroffen Vorgehens des Rates verließen 1527 Bischof und Klerus die Stadt; ein mit Beschlagnahme alles geistlichen Vermögens verbundener Bildersturm brachte Konstanz in scharfen Gegensatz zu den katholischen Reichsständen Schwabens und vor allem zu Österreich, das schon seit 1502 eine Schutztruppe in Konstanz unterhielt. Die von den Konstanzer Reformierten erstrebte Aufnahme in den schweizerischen Bund scheiterte am Widerstand der katholischen fünf Orte. Auf dem Reichstag zu Augsburg reichte K. mit Lindau, Memmingen und Straßburg 9. Juli 1530 die Confessio tetrapolitana ein und trat 1531 dem Schmalkaldischen Bunde (s. d.) bei; die Kosten für das Bundesheer ruinierten aber die städtischen Finanzen völlig. Während sich nach Auflösung des Bundes 1546 die andern Städte dem Kaiser unterwarfen, verharrte Konstanz noch 2 Jahre im Kriegszustand, verfiel 6. Aug. 1548 zu Augsburg in die Acht und verteidigte sich an demselben Tage erfolgreich gegen die Kaiserlichen, die es von der Rheinbrücke aus im Sturm zu nehmen suchten (»Überfall der Spanier«). Von Zürich im Stich gelassen, konnte sich Konstanz nicht lange halten; Karls V. Bruder, Ferdinand, besetzte es 14. Okt. 1548 mit österreichischen Truppen.

Seitdem war Konstanz eine kleine, wirtschaftlich tief gesunkene österreichische Landstadt. Die angesehensten Anhänger der Reformation wanderten aus, der Klerus kehrte zurück, und die Gegenreformation brachte die Stadt wieder völlig zum Katholizismus. Ruhmvoll war die Abwehr der Belagerung durch den schwedischen General Horn 1633. Der Versuch Josephs II., die wirtschaftlich darnieder liegende Stadt durch Herzuführung einer Genfer Kolonie industriell zu heben, war ohne nachhaltige Wirkung. Im Preßburger Frieden (1805) fiel Konstanz an Baden. In den Revolutionsjahren 1848/49 war Konstanz geistiger Mittelpunkt der Bewegung in Südwestdeutschland. Die Aufhebung des Bistums Konstanz 1821 nahm der Stadt die durch 13 Jahrhunderte behauptete Stellung als kirchlicher Mittelpunkt Alemanniens.

Der edeldenkende Generalvikar und letzte Bistumsverweser v. Wessenberg (s. d.) starb in Konstanz 1860. Der Ausbau des oberbadischen Eisenbahnnetzes (seit 1865) und die steigende Zunahme des Fremdenverkehrs verhalfen im Verein mit der allgemeinen Hebung der wirtschaftlichen Lage Deutschlands seit 1870 auch K. zu neuem Aufschwung.
Quelle: Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 11. Leipzig 1907, S. 427-429.
Permalink: http://www.zeno.org/nid/2000692462X

Frauenpfahl in Konstanz

Vor dem Luckenhäuschen stand der sog. Frauenpfahl, welcher seinen Namen dem Umstand verdankte, dass bei ihm die Missetäterinnen in einen Sack eingenäht und ertränkt wurden, wie z.B. den 9. Nov. 1532 eine Diebin namens Apollonia.
Quelle: Birlinger, Anton: Sitten und Gebräuche. Freiburg im Breisgau 1862, S. 226.
Permalink: http://www.zeno.org/nid/20004576276
Siehe dazu auch den Artikel im Südkurier:➥ https://www.suedkurier.de(…)Der-beruehmt-beruechtigte-Frauenpfahl-vor-dem-Konstanzer-Hafen

Hexenverbrennungen

„Die systematische Verfolgung, mit der schon um 1330 ein erster Versuch im Pyrenäengebiet gemacht worden war, nahm seit 1400 ihren Ausgang aus dem Alpengebiet, wo sich die Elemente des alten Volkswahns am zähesten erhalten hatten und der kombinierende Scharfsinn der spürenden Richter also am leichtesten durch die Frage auf der Folter die Realität des neuen, theologisch konstruierten Wahngebildes ermitteln konnte. Von da verbreitete sich der Wahn rasch nach Italien, nach Frankreich und nach Deutschland. Hier wurde die Verfolgung besonders gefördert durch Papst Innozenz‘ VIII. Bulle »Summis desiderantes affectibus« (1484).
(…)
Deshalb beauftragt der Papst die beiden Inquisitoren für Süd- und Norddeutschland, Heinrich Institoris und Jakob Sprenger, die jene Bulle am päpstlichen Hof erwirkt hatten, die Zauberer und Hexen auszuspähen, zu bestrafen und auszurotten, und befiehlt dem Bischof von Straßburg, Albrecht von Bayern, die Inquisitoren zu schützen und ihnen bei Ausführung ihres Auftrags hilfreiche Hand zu leisten. Institoris und Sprenger brachten den Hexenglauben in ein förmliches System, und ihr »Hexenhammer« (»Malleus maleficarum«. verfaßt 1486, 1487 zum erstenmal [in Straßburg], dann bis 1669 noch 28 mal gedruckt) wurde bald Gesetzbuch in Hexensachen und regelte das ganze ordentliche gerichtliche Verfahren gegen die Hexen.
(…)
Institoris allein ließ zu Konstanz und Ravensburg in kurzer Zeit 48 Weiber verbrennen, und bald wurde durch päpstliche Bullen von Alexander VI. Julius II., Leo X., Hadrian VI. und Clemens VII. die Hexenverfolgung auch für die übrigen europäischen Länder sanktioniert, der »Hexenhammer« durch die Ordensgenossen seiner Verfasser Bernard von Como (1508), Silvester Prierias (1520), Bartholomäus de Spina (1523) verteidigt. Ganze Gegenden wurden durch die Prozesse bedrängt, wie ein drückender Alp lag das Gespenst der Hexenfurcht auf dem Volk. Überall hatten geistliche und weltliche Gerichte ihre Späher. Die richterliche Untersuchung bezog sich vorzugsweise auf die sogenannte Hexenfahrt, den Hexensabbat, auch Hexenkultus, Hexenabendmahl genannt, und die Teilnahme der Inkulpatin daran.“
Auszug aus: Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 9. Leipzig 1907, S. 299-302.
Permalink: http://www.zeno.org/nid/20006771491
Zu „Hexen“ siehe auch ➥ Hexenglaube

Sagen, Mythen und Geschichten

Die Texte habe ich teilweise in der Rechtschreibung ’sachte‘ modernisiert. Constanz’s Ursprung‘ aber im Original belassen. Inhalt und Schreibung sind zu „erschröcklich“ 😉

Constanz’s Ursprung

„Es ist zwar freylich kein Kinderspihl, wann ein altes Weib tantzet! Allein wann ein alter Mann nicht von älteren Sachen, als er selber ist, zu reden weist! so stehet er gleichsamb noch in Kinder-Schuechen, dann, wie Cicero de orat. perf. recht und wohl gesprochen, „nescire, quid ante te actum sit, est quasi semper puerum esse.“ –

Hierauf beweist unser geschmackvoller Chronist durch Citate aus Gabriel Buccelinus Descript. Constant. und anderen Quellen, „daß die Stadt Constantz ihre erste Aufferbauung urspringlich von des Noë Enklen nicht lange Zeit nach dem Sündfluß und allgemeinen Welt-Ueberschwämung herleiten, folglich einer weit älteren Herkunft, als die sonst älteste Städte in teutschen Landen, sich rühmen möge etc.“

„Genug ist es,“ – fährt Dr. Speth fort – „daß die Stadt Constantz bereits schon in dem Jahr nach Erschaffung der Welt 3820, von denen benachbart-Allemanischen Völckeren, Harudes genannt, nicht nur den Namen „Harudopolis“ getragen, sondern auch von dem negst-anligent-, damals sogenandt Moësischen See (Bodensee) „Moësopolis,“ und ferners von dem Römischen Heers-Führer Valerio eine geraume Zeit lang „Valeria,“ alsdann aber „Vitodurum,“ auch „Gannodurum“ und endlich von einer auff der negst angelegenen Insul deß Rheins, nach einer von denen Römern zur Erhaltung deß eroberten Volcks und Lands erbauten Burg, worinnen die Römische Landpfleger residierten und der H. Pelagius seiner Zeit gefangen lag, „Nider- oder Wasser-Burg“ benamset worden, welchen Namen sie nebst dem Schild oder Wappen, welches eine Burg vorstellte, so lang behalten, bis der Römische Kayser Flavius Constantius, mit dem Bey-Namen Chlorus, im Jahr n. C. G. 297 wider die aufgestandene Teutsche, so damahlen gegen die Römer sich empöret und die Stadt Constantz oder noch sogenandte Stadt Niderburg nebst der umliegendten Landschafft Allemannia dazumahls erschröcklich verherget hatten, einen herrlichen Sieg allernegst bei der Stadt Constantz erfochten, in welchem 60 bis 70,000 Teutsche auff dem Platz gebliben, und lange Zeit hernach die Felder mit Todten-Cörperen also angehaüffet waren, daß von denselben die Erden, wie mit einem Schnee bedeckt, und in späteren Zeiten sowohl in der Petershauser Vorstadt, als in dem Ziegelgraben zu Constantz eine große Menge zerhauener Haupt-Schidelen und Menschen-Gebeiner in Nachgrabung zu denen Fundamenten, sammt einigen Römischen, des Kaysers Constantii Regierung andeutenden Müntzen, gefunden wurden. Derohalben ist zu ewiger Gedächtnuß dises Siegs, und in Ansehung der so rar- als annemlichen Orths-Situation auff die Rudera der von denen Teutschen zerbrochenen uralten Stadt Amtodurum (das ist anjetzo Constantz) von Constantius nicht nur eine neue Römische Reichs-Stadt gebauet, sondern auch dieselbe mit eingeführter Colonia einiger auserleßenen edlen Römeren besetzet, und nach seinem Namen Constantia genennet worden.“

Den Grundstein zum Dome dieser Stadt soll Kaiser Karl der Große gelegt haben.

Um die Mitte des neunten Jahrhunderts starb zu Neidingen der deutsche König Carl der Dicke, der für Constanz mit besonderer Vorliebe eingenommen war und öfters in dieser Stadt oder auf der Insel Reichenau sein Hoflager aufschlug, in welcher letzteren er auch begraben liegt. Der Chronikschreiber Buccelinus meldet, Carls Leichnam sey von Neidingen (an der Donau) aus, von vom Himmel herabgeschwebten Lichtern bis in die Reichenau begleitet worden.

Johann Friedrich Speth: Constanz’s Ursprung aus: Badisches Sagen-Buch I, S. 17–19, 1846
Quelle:➥ https://de.wikisource.org/wiki/Constanz%E2%80%99s_Ursprung

Der heilige Conrad und die Giftspinne

Dieser H. Conrad, ein „geborner Graf von Altdorf,“ – erzählt Dr. Speth in seiner Chronik, – wurde im J. 938 n. C. G. zum Bischof von Constanz erwählt. Die Stadt hat ihm viele Schenkungen und wohltätige Stiftungen, z. B. das St. Conrads-Armenspital, die Pfarrkirche zu St. Paul, die Nachbildung des heiligen Grabes in der Domkirche etc. zu verdanken. – „Wie Pet. Canisius in Martyrologio schreibt, ist dieser heilige Mann öfters mit trockenen Füssen über den Bodensee gegangen; er weissagte künftige Dinge mit Prophetischem Geiste, bewirkte viele Wunderzeichen sowohl im Leben, als nach dem Todt und konnte vergiftetes Wesen ohne einigen Schaden oder Verletzung genießen; gestalten dann, als einstmals an dem Heiligen Ostertag in währender Celebrierung des in der Thomb-Kirche zu Constanz gehaltenen Amtes der Heiligen Messe eine abscheuliche Giftspinne unversehens von oben herab in das Heilige Blut, nach dessen Consecration, gefallen, Er dasselbe samt der Spinnen zu sich nahm, vor der Mittags-Mahlzeit aber, da er bereits zu Tische saß, und das Haupt auf beide Hände eine gute Weil unterstützend, zu denen eine ihn anstoßende Unpässlichkeit besorgenden Dienern vermeldete, dass sie sich seinetwegen nicht bekümmern sollten, indem er allein eines Gastes erwarte; worauf die voran geregtermaßen genossene Giftspinne unversehrt und lebendig ihm aus dem Hals hervorkroch, worauf er Gott Lob und Dank sagte, annebens den Dienern erst den Verlauf und was ihm begegnete, eröffnete.“
Quelle: Gustav Schwab: Zur Geschichte der Judenverfolgung in Constanz aus: Badisches Sagen-Buch I, 1846
Link:➥ https://de.wikisource.org/wiki/Zur_Geschichte_der_Judenverfolgung_in_Constanz

Anno Christi 1294 erbauten Bischof Heinrich

und der Reichsvogt Albrecht, die Gebrüder von Klingenberg, ein Haus, fünf Stockwerke hoch, zu welchem, nachdem es vom Boden an fertig dastand, auf eine unbegreifliche Weise hintennach erst das Fundament unterlegt wurde.
Quelle: Gustav Schwab: Zur Geschichte der Judenverfolgung in Constanz aus: Badisches Sagen-Buch I, 1846
Link:➥ https://de.wikisource.org/wiki/Zur_Geschichte_der_Judenverfolgung_in_Constanz

Anno Christi 1349 steckte ein in der sog. Mordgasse

zu Constanz wohnender getaufter Jude, welcher aus Furcht der Feuerstrafe, wegen der seinen ehemaligen Glaubensgenossen zur Last gelegten Brunnenvergiftung, im vorigen Jahre zur christlichen Religion übergetreten war, aus freien Stücken und geflissentlich sein eigenes Haus in Brand und rief, während ihn und seine zwei Kinder die Flammen umloderten, zum Fenster hinaus, er habe sich entschlossen, als ein frommer Jude zu sterben. Sein Haus steckte mit rasch um sich greifender Brunst die Nebengebäude an, und es wurden in kurzer Zeit bei vierzig Bürgerhäuser vom Feuer verzehrt. So erzählt Stumphius pag. 340.
Diese Gasse hat ihren Namen von der, auf das Gerücht von dem Verkaufe der heiligen Hostie an Juden (Siehe S. 22) dort stattgefundenen Niedermetzelung.
Quelle: Johann Friedrich Speth: Der heilige Conrad und die Giftspinne aus: Badisches Sagen-Buch I, S. 19–20, 1846
Link:➥ https://de.wikisource.org/wiki/Der_heilige_Conrad_und_die_Giftspinne

Die Hand an Christi Nase

„Anno Christi 1384 gingen etliche arme Knaben aus der Constanzer Vorstadt Stadelhofen in den eine Stunde davon entfernten Bernrainischen Wald, um Abfallholz zu lesen, und als sie nun mit den gesammelten Reisigbündeln bei dem auf der Bernrainer Höhe stehenden Christuskreuz ausruhen wollten, griff der Mutwilligste unter ihnen, Namens Schappeler, dem Bilde unseres Heilands unter die Nase und sprach mit spöttischen Gebärden: „Herr Gott, lass dir die Nase schneuzen, so küss ich dich desto lieber!“ worauf ihm augenblicklich die Hand erstarrte und also fest an der Nase des Christusbildes angeheftet blieb, dass er unbeweglich mit aufgestrecktem Arme allda stehen musste.

Voll Entsetzen eilten die anderen Kinder in die Stadt zurück und erzählten es den Leuten; worauf sogleich eine große Anzahl geistlicher und weltlicher Personen sich in Prozession an jenen Ort verfügte und Gott den Allmächtigen um Gnade und Barmherzigkeit anrief, bis die Hand des Knaben sich wieder von der Nase des Bildes ablöste. Trotz dieser fürchterlichen Warnung aber blieb der Junge so gottlos und leichtfertig wie vor, namentlich war ihm das Fluchen und Lästern so zur zweiten Natur geworden, dass ihm zwei Jahre später, durch Urteil des Stadt-Magistrats, die Zunge aus dem Hals geschnitten wurde.

Das wunderbare Christusbild aber ist noch heutigen Tags (1733) in der zum Andenken dieser Begebenheit, auf städtische Kosten, auf dem Bernrainer Hügel erbauten Kirche zu sehen und wird von zahlreichen Kranken und Notleidenden, an denen es fortwährend Wunder tut, besucht und verehrt.“
Quelle: Johann Friedrich Speth: Die Hand an Christi Nase aus: Badisches Sagen-Buch I, S. 19–20, 1846
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Anmerkungen von Wikisource zum Schauplatz auf Gemarkung Kreuzlingen: siehe Wikipedia-Artikel➥ Emmishofen.
Abbildung aus der Konstanzer Chronik Dachers: *➥ http://www.e-codices.unifr.ch/de/csg/0646/63r/medium
Siehe auch: Zimmerische Chronik Band 1:Kapitel 66

Ein merkwürdiger Zweikampf als Gottesurtheil in Constanz

„Im Jahr 1432 fand ein merkwürdiger Kampf zwischen Hans Roth, oder wie Andere ihn nennen, Hans Ratenberg und einem gewissen Hans Riem, statt. Ersterer hatte nämlich Diesen als einen gefährlichen Zauberer, Wettermacher und Giftmischer ausgeschrieen und ihn auch bezichtigt, dass er seinen Schwager vergiftet habe. Darauf hin forderte Hans Riem, auf Anraten des Constanzer Landsvogts, des Grafen Bruno Tettighofen, der ihm wohl wollte, den Hans Roth vor das Constanzer Landgericht. Dieser stellte sich wirklich ein, erhärtete durch mehrere Zeugen seine Aussage von begangener Zauberei etc. und erbot sich, die Vergiftungsgeschichte hinsichtlich dessen Schwagers durch einen Zweikampf zu beweisen. Darauf wurden beide Gegner von dem Landgericht in gefängliche Verwahrung gebracht und der letzte Juli 1432 als der Tag festgesetzt, an welchem das Gottesurteil durch einen Zweikampf entscheiden sollte.

Zugleich erging durch öffentlichen Straßenausruf der Befehl, dass weder Frauen, noch Kinder unter zwölf Jahren, noch Geistliche, noch Bewaffnete sich zu dem Kampfplatz begeben und zuschauen dürften. Alsdann ließ man auf dem freien Felde, dem sogenannten großen Bühl, wohin später die St. Leonhards Kapelle gebaut wurde, einen mit Sägemehl aufgeschütteten Kreis zurichten und um diesen eine starke, 120 Schritte weite und breite Schranke mit Sitzen ziehen, auf welchen der obengedachte Landgraf, der Landrichter und die Urteilssprecher Platz nahmen; außerhalb dieser Schranken befand sich der Raum für die Zuschauer, deren etwa 20,000 herbeiströmten.

Als nun der bestimmte Tag erschienen, wurden die beiden Gegner, jeder besonders, von einem Schneider, so vorher eidlich angeloben hatte müssen, nichts Nachteiliges in seiner Arbeit anzubringen, in einen gleich verfertigten grauen, einem jeden durch das Los zugeteilten Rock gekleidet, ihm das Haar kurz abgeschoren und Jedem ein, ebenfalls von beeidigten Meistern geschmiedeter, hoher, bis über den Kopf reichender Schild, und ein gleiches Schwerdt übergeben, woraufhin man Beide unter Begleitung von Bewaffneten in die Schranken führen ließ. Jeder erhielt einen Sekundanten; Hans Roth (oder Ratenberg) den sogenannten Trommer von Tugen, und Hans Riem den Molle Truchseß von Dießenhofen, indessen Junker Schilter, als Erster Rathsherr und Landrichter zu Constanz, durch die Stadtknechte ausrufen ließ, dass Niemand, bei Lebensstrafe, ein Wort bis zu Ende des Kampfes reden, sonst ein Geräusch machen oder die Schranken überschreiten solle.

Als nun tiefe Stille im Volke herrschte, rief Ulrich Schilter: „Wohlauf in Gottes Namen. Zum ersten, zum anderen, zum dritten Mal! Beginnt euren Kampf!“ Auf dieses Losungswort gingen beide Kämpfer auf einander los, stachen, schlugen, hieben und trieben einander eine gute Weile in dem Kreis herum, bis endlich der Riem den Roth überhalb des Schildes mit dem Schwert in die etwas entblößte Achsel traf und demselben so in den Arm hieb, dass er kaum noch an der unteren Haut hing. Riem trat sogleich nach diesem Hiebe einige Schritte zurück, strauchelte aber und fiel auf den Rücken; Roth jedoch stürzte trotz seiner schweren Wunde auf ihn zu und warf sich auf seinen Leib, um ihn zu erstechen; allein die Kräfte waren ihm durch den großen Blutverlust entschwunden, so dass es Riem gelang, ihm das Schwert aus der Hand zu winden und es ihm unter der linken Achsel in die Brust zu stoßen, sich wieder aufzuraffen und auf den bewusstlosen Roth zu knien. Dessen Ohnmacht nicht bemerkend, rief er ihm nun zu: „Ergibst du dich und willst du jetzt bekennen, dass ich unschuldig bin?“ – Roth aber, wahrscheinlich bereits tot, gab keine Antwort mehr, worauf Riem in blinder Wut ihm die Klinge durch das Herz bohrte, dann niederkniete und Gott für den Sieg dankte. Seine Unschuld ward nun öffentlich anerkannt und hergestellt; die blutige Leiche Roths wurde auf derselben Stelle beerdigt.

Nicht lange hernach gebar eine Frau in der Vorstadt Paradies ein Kind, welches nur einen Arm hatte. Diese hatte nämlich während ihrer Schwangerschaft heimlich vom Göltinger Thor aus dem Zweikampfe zugeschaut und sich an dem abgehauenen Arme Roths versehen.“
Quelle: Johann Friedrich Speth: Ein merkwürdiger Zweikampf als Gottesurtheil in Constanz aus: Badisches Sagen-Buch I, S. 33–35, 1846
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Brauchtum

Der Charsamstag in Konstanz

An diesem Tage wurde in Konstanz bei jeder Kirche ein mittelmäßiges Feuer auf der Gasse angezündet. Junge und alte Leute legten sechs, acht bis zwölf Scheitlein Holz so in dasselbe, dass jedes Scheitlein etwas anbrannte. Während dies geschah, ging die bekannte Funktion des Scheiterweihens durch den Priester vor sich. War dies geschehen, so zog Jeder sein Holz heraus, löschte es ab und nahm es mit nach Hause. Entstand nun im Sommer ein Gewitter, so begaben sich die Weibspersonen in die Küche, machten ein Feuer an und legten ein geweihtes Holz dazu. Dieses sollte bewirken, dass das von einer Hexe oder einem Wettermacher erregte Gewitter dem Hause nicht schaden könne.
Quelle: Birlinger, Anton: Sitten und Gebräuche. Freiburg im Breisgau 1862, S. 80.
Permalink:➥ http://www.zeno.org/nid/2000457446X

Der Palmesel zu Konstanz

Dieser Palmesel wurde bei der in der Kirche von den Domherren und Kaplänen gehaltenen Palmsonntagsprozession in der Kirche aufgestellt, um den Eintritt von Christus in Jerusalem zu versinnlichen. Nachher wurde er in den Kreuzgang gebracht und gegen Entrichtung eines Kreuzers die Kinder mehrere Mal auf-und abgezogen, wodurch die Mesner eine kleine Erwerbsquelle fanden. Dieses Vergnügen, welches bis an den Abend dauerte (es ersetzte also gewissermaßen unsere heutigen Karuselle), erfreute die Kinder um so mehr, als sie an diesem Tage nach altem Brauche meistens von ihren Taufpaten silberne Thaler, von schönen roten Bändern in Silber eingefasste Amulette erhielten, womit sie sich zierten.
Unter Kaiser Josephs II. Regierung nahm dieser Gebrauch gegen 1784 ein Ende. Der verstorbene Dekan Straßer ließ diesen kinderfreundlichen Esel verspalten.
Diese und die folgenden Konstanzer Sitten verdanke ich dem wackern Dr. Marmor.
Quelle: Birlinger, Anton: Sitten und Gebräuche. Freiburg im Breisgau 1862, S. 76-77.
Permalink:➥ http://www.zeno.org/nid/20004574397

Die Findelkinder in Konstanz

Den Kapuzinern legte man öfters früh oder spät Kinder, indem man durch starkes Anziehen der Portenglocke den Bruder Pförtner veranlasst. Diese Kinder wurden von den Kapuzinern in das sog. Seelenhaus (Kreuzlinger Vorstadt Nr. 393) gegeben (dessen Amtmann das Haus Nr. 340 bewohnte), in welchem arme Kinder, die nicht Bürger waren, erzogen und ehemals Pilgrime, wandernde Juden und andere Arme meistens mit Habermus gespeist wurden. Später vereinigte man diese Stiftung mit dem Bürgerspital. Die in das Münster St. Stephan oder St. Johann gelegten Kinder wurden von diesen Stiften besorgt. Die Kinder hingegen, welche den Augustinern, Franziskanern und Dominikanern gelegt wurden, gaben dieselben jenen Personen zu erziehen, welche das Essen von ihnen hatten. Man brachte sogar den benachbarten Frauenklöstern St. Katharina und St. Adelheiden Kinder, die sie in die Kost gaben, später zu ihren Feldarbeiten verwendeten.
Quelle: Birlinger, Anton: Sitten und Gebräuche. Freiburg im Breisgau 1862, S. 296-297.
Permalink:➥ http://www.zeno.org/nid/20004576993

Einsegnung des Ehebetts in Konstanz

Wenn man sich verehelichte und Ehebette zurecht machte, so ließ man den Herrn Pfarrer oder einen Mönch zu sich bitten, dasselbe einzusegnen, welche Handlung meistens Abends vorgenommen wurde. Man zündete zwei Lichter an, der Geistliche legte seine Stola um und betete aus einem lateinischen Buche. Hierauf nahm er das Weihwasser und segnete das Bett ein, wodurch die Teufel, Hexen und Schrättle (Alp) verhindert wurden, den Eheleuten schaden zu können. Nach vollendeter Einsegnung des Ehebettes bewirtete man den Priester gut, unterhielt ein munteres Gespräch und drückte demselben beim Weggehen noch ein Stück Geld in die Hand. Früher hatten, bis in die neuere Zeit herein, die Eheleute gewöhnlich nur eine sog. Himmelsbettstatt, mit Säulen und öfters künstlich verziertem Bildhauerlaubwerk; einen großen, schön verzierten Trog oder niederen Kasten, wo hinein die Frau ihre beste Habe legte. Erst später kamen die einfachen Bettstellen und die hohen Kleiderkästchen in Gebrauch.
Quelle: Birlinger, Anton: Sitten und Gebräuche. Freiburg im Breisgau 1862, S. 401-402.
Permalink:➥ http://www.zeno.org/nid/

Gewitterläuten in Konstanz

Es wurde bei der Entstehung eines Gewitters in allen Pfarrkirchen in der Stadt und auf dem Lande mit mehreren Glocken geläutet. Da nun die Glocken geweiht waren, so hatten Viele den Glauben, dass das Läuten derselben das Gewitter unschädlich mache. Manche Leute gingen in ihrem Eifer so weit, dass sie dem Messner hierbei Hilfe leisteten und alle Kräfte anwendeten, um die Glocken recht stark in Schwung zu bringen. Obgleich mehrere Menschen bei diesem Läuten vom Blitze erschlagen wurden, so hielt dies Andere doch nicht ab, es wieder zu tun. Die Kinder läuteten mit kleinen, zu Maria Loretto in Steiermark oder zu Einsiedeln geweihten Metall-oder Bleiglöckchen, auf denen sich Heiligenbilder befanden. Auch wurden geweihte Wachskerzen angezündet.
Quelle: Birlinger, Anton: Sitten und Gebräuche. Freiburg im Breisgau 1862, S. 443.
Permalink:➥ http://www.zeno.org/nid/20004578430

In Konstanz war es ehedem Sitte

…dass die Mönche das C.M.B. gegen Hexen, Schrättele und Teufel mit der Kreide über die Türe schrieben. Zur Belohnung für ihre Mühe musste man ihnen mit etwas Gutem aufwarten und noch überdies dem betreffenden Kloster ein Geschenk machen. Wer dies unterließ, dem wurde künftig nichts Gutes gewünscht.
Quelle: Birlinger, Anton: Sitten und Gebräuche. Freiburg im Breisgau 1862, S. 16.
Permalink:➥ http://www.zeno.org/nid/2000457379X

Leichenbegängnis in Konstanz

Bei herrschaftlichen Leichenbegängnissen bediente man sich sechs bis acht schwarzgekleideter Männer, wie wir sie bei der Charfreitagsprozession der Jesuiten auch treffen. Diese trugen dabei über das Kreuz gebundene schwarze Pechfackeln, an welchen ein gemaltes Familienwappen geheftet war. Als im Jahre 1780 die Kaiserin Maria Theresia starb, wurden in der Domkirche und bei St. Stephan Trauergottesdienste gehalten, wo bei 24 solcher schwarzgekleideter Männer mit schwarzen, über das Kreuz gebundenen Fackeln, an welchen die Wappen bedeckt waren, das Trauergerüste umgaben. Als Kaiser Joseph II. zur Regierung kam, verschwanden die Bruderschaften und tausend andere religiöse Gebräuche. Diese schwarzen vermummten Gestalten hatten bei besagter Todtenfeier das lezte Mal ihre Rolle gespielt. Sie traten dann später unter dem Namen »Butzengöggel« noch länger im Lyceum und in den Knabenschulen auf, um den faulen oder boshaften Schülern den s.v. Hintern zu verhauen.
Quelle: Birlinger, Anton: Sitten und Gebräuche. Freiburg im Breisgau 1862, S. 405-406.
Permalink:➥ http://www.zeno.org/nid/20004577841

Nikolaustag in Konstanz

Es zogen am Nikolaustage Mägde, alte Weiber und Mannspersonen, als sog. Nikolause verkleidet, Nachts auf den Gassen umher, rasselten und polterten schrecklich mit Ketten und Schellen und hatten Körbe mit verschiedenem Obste und gute Birkenruten bei sich. Manche Leute ließen dergleichen Niklause in ihr Haus kommen, um das eine Kind, welches etwas mehr betete oder lernte, besser beschenken, und das andere entweder nur mit Züchtigung bedrohen oder dieselbe sogleich vornehmen zu können. Dadurch glaubten sie für das ganze Jahr ihren elterlichen Pflichten genugsam nachgekommen zu sein.

Man erzählte den Kindern, dass sich der Teufel öfters als St. Niklaus verkleide und die Kinder entweder gefressen oder in seinem Korbe mit sich genommen habe. Sei auch bemerkt worden, dass er unter seiner Verkleidung Bockshörner und Gaißfüße gehabt habe; so machte man gegen ihn sodann das Zeichen des Kreuzes oder besprizte denselben mit Weihwasser, und alsbald nahm er Reißaus. Durch derartige Erzählungen wurden die Kinder so in Angst und Schrecken versezt, dass sie sich Nachts nicht mehr aus der Stube zu gehen getrauten und sich darin oft sehr unfläthig aufführten. In den 1780er Jahren war während der Anwesenheit des österreichischen Militärs in Konstanz alles St. Nikolauslaufen auf der Gasse verboten.
Quelle: Birlinger, Anton: Sitten und Gebräuche. Freiburg im Breisgau 1862, S. 3-4.
Permalink:➥  http://www.zeno.org/nid/20004573528

Narrenhäuslein zu Konstanz

Am mittlern Pfeiler zwischen den jetzigen Häusern Nr. 206 u. 207 (Herren Kaufmann A. Rahn und Kaffeewirt Leo) am obern Markte stand das sog. bischöfliche Narrenhäuslein. Dasselbe war etwa 18 Fuß hoch von hartem Holze, rot angestrichen, auf drei Seiten mit eisernen Gittern und mit einem kupfernen Dach versehen. Oberhalb des einen eisernen Gitters befand sich das bischöfliche Wappen. Das Häuschen soll ehemals dazu gedient haben, diejenigen Personen, welche über den Bischof, die Geistlichkeit oder die Religion schimpften, für kürzere oder längere Zeit darin einzusperren. Es wurde im Anfange dieses Jahrhunderts abgebrochen. Die Hausbewohner, an deren Häusern der Pranger und das Narrenhäuslein standen, sollen jährlich etwas Holz oder Geld erhalten haben, dass sie dieselben duldeten.
Quelle: Birlinger, Anton: Sitten und Gebräuche. Freiburg im Breisgau 1862, S. 233.
Permalink:➥ http://www.zeno.org/nid/2000457642X

Öffentliches Versehen in Konstanz

Noch in den 1780er Jahren schickte man, wenn Jemand erkrankte, sogleich nach dem Arzte zum Pfarrer (oft auch umgekehrt), damit er den Kranken öffentlich versehe, d.h. ihm die Beichte hören und die Communion erteilen wolle. Hiebei musste des Messners Frau zuerst in mehreren Gassen ansagen, dass dieser oder jener versehen werde, um dieser Handlung beiwohnen zu können. Bei dieser Art von Prozession ging der Messner mit einer großen Laterne mit brennendem Lichte voran, eine ziemlich große Glocke in der Hand, womit er von Zeit zu Zeit schellte. Hinter ihm gingen zwei ältere Männer in schwarzen Mänteln, mit blechernen Laternen, in welchen ebenfalls Lichter brannten auf bemalten hölzernen Stäben. Auf sie folgte der Pfarrer, welcher mit dem Ciborium nach allen Seiten den Segen gab, und nach ihm das Volk, welches laut betete. Wer dem Zuge begegnete, kniete in den Straßen nieder und empfing den Segen des Geistlichen. Der Zug ging bis vor die Zimmertüre des Kranken. Auf dem Rückwege zur Kirche betete das Volk ebenfalls wieder.
Quelle: Birlinger, Anton: Sitten und Gebräuche. Freiburg im Breisgau 1862, S. 422.
Permalink:➥ http://www.zeno.org/nid/20004578031

Peter und Paulstag (29. Juni )

In Konstanz am Bodensee sammeln die Knaben an diesem Tage alte Töpfe (Häfen), indem sie unter dem Rufe:
„Heut ist Peter und Paulstag,
Werfet die alte Häfe zum Fenster ra!“
durch die Straßen ziehen und die erhaltenen Stücke auf einer Stange zur Stadt hinaustragen. Dann stellt sich jedesmal Einer, dem die Augen verbunden sind, auf einen umgekehrten Hafen indem ein Andrer mit ebenfalls zugebundenen Augen nach dem Hafen mit einer Stange schlagen muss. So geht das Spiel fort bis alle Häfen zerschlagen sind (Mündlich aus Konstanz)
Quelle: Ernst Heinrich Meier: Deutsche Sagen, Sitten und Gebräuche aus Schwaben, Stuttgart 1852, Band 3, Nr. 131, Link:➥ https://books.google.de/books?id=i1sKAAAAIAAJ

St. Johann Evangelist zu Konstanz

Am Tag des hl. Johannes Evangelist wurde in allen Pfarrkirchen Wein geweiht und selbiger nach vollendetem Gottesdienste unter das Volk verteilt. Jede Person nahm einige Schlücke davon. Privatleute, welche Wein in ihren Kellern hatten, schickten eine Flasche davon in die Kirche, um sie ebenfalls weihen zu lassen. Der Hausvater nahm den geweihten Wein und schüttete unter Gebet in jedes Fass einen kleinen Teil davon. Dieser geweihte Wein sollte alles Böse vom Keller abhalten.
Quelle: Birlinger, Anton: Sitten und Gebräuche. Freiburg im Breisgau 1862, S. 112.
Permalink:➥ http://www.zeno.org/nid/20004574850

St. Johann Baptists Tag in Konstanz

Dieser St. Johannistag (24. Juni) wurde wie ein Sonntag in ganz Deutschland gefeiert. Nach einem alten Brauche sammelten sich die Kinder des Nachmittags in verschiedenen Abteilungen, zogen von Haus zu Haus und bettelten Holz zum sog. St. Johannisfeuer. Hatten nun die Kinder in einer Gasse eine erkleckliche Masse Holzes beisammen, so machten sie ein Feuer an und sprangen einzeln oder paarweise darüber. Da diese Feuer oft stark in die Höhe loderten, so wurden starke Sprünge erfordert, um über sie zu setzen. War die Freude lange genug genossen, so löschte man die Feuer aus.

Als im Jahre 1805 ein etwa 14jähriges Mädchen beim Versuche des Hinüberspringens über ein hohes Feuer unglücklicherweise in die Flammen fiel, sich die Hände und das Gesicht stark verbrannte und in einem Auge erblindete, verbot die Stadtbehörde dieses Feuermachen in den Gassen, weil sie es schon lange ungern gesehen hatte. Vom Damme aus sah man an diesem Tage, sobald es zu dunkeln anfing, eine Menge Feuer auf den Bergen im Schwaben- und im Schweizerlande.
Quelle: Birlinger, Anton: Sitten und Gebräuche. Freiburg im Breisgau 1862, S. 107-108.
Permalink:➥ http://www.zeno.org/nid/2000457477X

Unzuchtsstrafen in Konstanz

War das uneheliche Kind geboren, so musste der Liebhaber mit einem Kranze von Stroh auf dem Kopfe und einem strohernen Degen an der Seite, das Mädchen hingegen mit einem Kranze und Zöpfen von Stroh von Anfang des Gottesdienstes an bis nach Beendigung desselben unter Aufsicht des Amtsknechts in der Kirche stehen. Später wurde dieses Kirchenstehen abgeschafft, dafür dem Liebhaber eine Strafe von 24 Gulden auferlegt, oder ihm befohlen, einen Monat lang Holz im Amtshause zu spalten. An einigen Orten wurde diese Strafe wieder gemildert.
Quelle: Birlinger, Anton: Sitten und Gebräuche. Freiburg im Breisgau 1862, S. 215-216.
Permalink:➥ http://www.zeno.org/nid/20004576101

Unzuchtstrafen für Geistliche in Konstanz

An einem Sonntage um 8 Uhr Morgens wurde der Ehebrecher nach der St. Stephanskirche abgeholt. Er musste da ein langes schwarzes Hemd anziehen und eine schwarze brennende Kerze in die Hand nehmen. So angezogen wurde er in die Mitte der Kirche nächst der Kanzel gebracht. Von ihr herab hielt der Pfarrer eine heftige Strafpredigt, in welcher er sich öfters des (noch längere Zeit in Konstanz gebräuchlichen) Ausdrucks bediente: »du gottloser Beutelbock!« Nach beendigter Strafpredigt wurde er aus der Kirche geführt und in seiner schwarzen Kleidung, mit der Kerze in der Hand, eine Stunde lang vor die Kirchtüre auf ein sog. Eierbänkchen gestellt und dann nach Hause entlassen.
Quelle: Birlinger, Anton: Sitten und Gebräuche. Freiburg im Breisgau 1862, S. 221.
Permalink:➥ http://www.zeno.org/nid/20004576160

Weihnachtsfest in Konstanz

Schon mit dem Adventsanfange wurde den Kindern gesagt, dass, je mehr sie »Vaterunser« und »Ave Maria’s« beteten, mit desto mehr würden sie vom Jesuskindlein beschenkt werden. Um die von ihnen gebeteten Rosenkränze u.s.w. richtig aufzeichnen zu können, schnitt man ihnen ein langes, viereckiges Holz, in welches die Kinder nach jedem Beten einen Einschnitt machten. Die fälschlich gemachten verbrannte das allwissende Jesuskind. Das Singen verschiedener Leute vom Vorabend des Weihnachtsfestes bis auf das Fest der hl. drei Könige muss seinen Anfang vor undenklichen Zeiten genommen haben und dauerte bis in das Jahr 1786, in welchem manche alte Gebräuche abgeschafft wurden.

Am Vorabende vor Weihnachten setzten sich eine Menge junger und alter Leute in Bewegung und sangen, in Partien von zwei bis drei Personen vereinigt, verkleidet, von Abends 6-9 Uhr vor denjenigen Häusern, aus welchen sie für ihre Bemühung ein Geschenk zu erhalten hofften. So zog eine Partie nach der andern in der Stadt herum, bis jede die gewünschte Gabe erhalten hatte. Mancher Trupp sang Lieder vom Leben Jesu; manche Sänger hatten gute Stimmen und sangen Kriegslieder und schnackisches Zeug etc.; Knaben, kleine Mädchen und Studenten, welche nicht singen konnten, beteten das »Vater unser« oder das lateinische »Pater noster«.

Zu diesem Trosse von Menschen gesellten sich noch die sog. hl. drei Könige, meistens junge starke Bursche, junge Rebleute und Taglöhner. Dieselben legten über ihre Kleider  weiße Hemden, welche sie um den Leib fest banden, und waren mit Pelzmützen und großen Handschuhen von Fuchspelz versehen. Sie trugen an einer Stange einen großen, von Papier gemachten Stern, in welchem sich ein Licht befand. Dieser Stern konnte mittelst einer Schnur rasch umgedreht werden. Die dabei gehaltenen Gesänge waren meist religiös, oft aber auch scherzhafter Natur.

Folgendes hörte man singen:

Die heiligen drei Könige mit ihrem Stern,
Die suchten den Herren und sähten ihn gern.
Sie kommen vor’s Königs Herodesen Haus,
Herodes, der schaut zum Fenster heraus.
Herodes, der sprach mit falschem Bedacht:
Warum ist nur der Hintere so schwarz?
Er ist nicht schwarz, er ist ganz weiß,
Wir suchen ihn mit ganzem Fleiß.

Zu Nacht sind wir den Berg gegangen,
Dann ist der Stern wohl still gestanden.
Der Sternen ging fort, wir folgen ihm nach,
Bis wir zusammen auf Bethlehem kamen,
Nach Bethlehem in die heilige Stadt,
Wo Jesus Christkindlein geboren ward.
Wir fallen ihm alle drei zu Füßen,
Zum Opfer schenken wir ihm Gold,
Weihrauch und Myrrhen.
Dies war der liebste Jesulein.

Öfters fügte es sich, dass 12, 18-20 Personen vor ein Haus an einem Abend kamen, um vor demselben zu singen, was für dessen Bewohner lästig war. Wollte man diesen Jüngern etwas geben, so wickelte man das Geld in ein langes Papier, zündete es am Lichte an und warf es zum Fenster hinaus. Wo nicht, so klopften die Leute des Hauses sogleich am Fenster, ein Zeichen, dass sie weiter gehen sollten. Ließ man eine Partie lange auf die Gabe warten, so riefen die dabei befindlichen Personen in ziemlich rohem Tone: Wenn Ihr iss geh wend, So gehnd iss bald, Uf der Gasse ist’s kalt. In Augsburg mussten die armen Studenten noch im Jahre 1792 am Samstage vor jedem Hause, aus welchem sie Wohltaten empfingen, mit einem Mantel angetan, ein deutsches Lied singen oder ein Vaterunser beten.
Quelle: Birlinger, Anton: Sitten und Gebräuche. Freiburg im Breisgau 1862, S. 8-11.
Permalink:➥ http://www.zeno.org/nid/2000457365X

Zur Geschichte der Judenverfolgung in Constanz

Gegen Mitte des 14. Jahrhunderts verbreitete sich in Constanz das Gerücht, ein Christ habe die heilige Hostie an Juden verkauft und eine fanatische Magd schrie: „Der Leib Christi wird von den Juden entsetzlich gemartert!“ – Sogleich ergriff das rasende Volk die nächsten besten Hebräer und schlachtete sie mit dem Beile, wie Stiere; zwölf wurden verbrannt, zwölf in den Rhein geworfen. Einige vornehme Bürger von Constanz hatten den Mut, sich der übrigen anzunehmen und sie zu retten. Man schalt sie von den Juden bestochen und der Geschichtschreiber erzählt, es sey ihnen im Leben nichts mehr geglückt und der Himmel habe ihre Verteidigung der Verworfenen mit einem frühen Tode bestraft.
Quelle: Gustav Schwab: Zur Geschichte der Judenverfolgung in Constanz aus: Badisches Sagen-Buch I, 1846
Link:➥ https://de.wikisource.org/wiki/Zur_Geschichte_der_Judenverfolgung_in_Constanz

Balladen

Der Fleischer von Constanz (Gustav Schwab)

Wohl wehrt sich die alte, die freie Stadt;
Den herrlichen römischen Namen sie hat,
Und römischen Muth
Und deutschen Muth
Und Christenglauben,
Den soll ihr der spanische Henker nicht rauben!

Drum kämpfen die Bürger vom Thurm und am Thor
Und drängen zur hallenden Brücke hervor;
Es hört es der Rhein,
Da rauschet er drein,
Es ruft die Söhne
Der See mit der tosenden Wellen Getöne.

Wer streitet am kühnsten für Ehr’ und für Heil?
Das ist der Fleischer mit hauendem Beil;
Sonst schlug er den Stier,
Das brüllende Thier,
Heut muß er sie schlachten,
Die ihm nach der Metzig, der blutigen, trachten.

Er steht auf der Brücke zuvörderst im Schwarm,
Den Aermel gestülpet, mit nervigem Arm,
Und jeder Streich
Schlägt Einen bleich,
Da kommen die Andern:
Zur Schlachtbank läßt er sie spöttisch wandern.

O weh, ihr Brüder! verlasset ihr ihn?
Es doppelt das spanische Heer sich, sie fliehn,
Sie rufen ihn mit;
Doch keinen Schritt
Weicht von der Stelle,
Alle Feinde bekämpfet der kühne Geselle.

Vorn Einer und hinten da nahet ein Paar,
Die wildesten Knechte der stürmenden Schaar,
Sie packen in Eil,
Des Fleischers Beil –
Er ist verloren;
Da denkt er: es soll sie nicht frommen, die Thoren!

Zween Arme ja hat er, die fassen die Zwei:
„Und wollt ihr Ein Leben, so geb ich euch Drei!“
Er hält sie umspannt,
Er drängt sie zum Rand’,
Er sendet die Blicke
Hinab zu dem schäumenden Rhein zu der Brücke.

Und schnell an’s Geländer, eh Andere nah’n,
Drückt er sie, die Ringenden, kräftiglich an;
Mit ihnen hinein
Kopfüber zum Rhein
Mit keckem Schwunge
Sieht man ihn stürzen in tödtlichem Sprunge.

Die klagenden Feinde verschlinget die Fluth,
Lang wiegt sie, lang trägt sie den Bürger gut,
Jetzt zeigt sie den Fuß,
Den Arm, wie zum Gruß,
Die Schultern, die blanken,
Das lockige Haupt und den Nacken, den schlanken.

Da sucht ihn der Feinde Geschoß; doch der Rhein
Hüllt fromm in den Mantel, den grünen, ihn ein;
Er zieht ihn hinab
In’s festliche Grab,
Dort ruht er geborgen
Vor feindlicher Schmach bis zum ewigen Morgen.

Dort schläft ohne Traum er den süßesten Schlaf,
Er weiß nicht das Loos, das die Heimath ihm traf:
Man trügt, man raubt
Ob seinem Haupt –
Freiheit und Glauben
Die Märtyrerkrone wird Keiner ihm rauben!

Quelle: Gustav Schwab: Der Fleischer von Constanz aus: Badisches Sagen-Buch I, S. 36–38, 1846
Link:➥ https://de.wikisource.org/wiki/Der_Fleischer_von_Constanz

Als sich 1548 die spanischen Söldnertruppen des römischen Kaisers, unter Anführung des Obersten Alfonso Vives, bei der Belagerung von Constanz Petershausens bemächtigen wollten, machten ihnen die Städter jeden Schritt vorwärts mit Löwenmuthe streitig. Hartnäckig vertheidigten sie die Rheinbrücke. Vierzig bis sechszig Metzgerbursche hielten hier in geschlossenen Reihen die Feinde auf, bis hinter ihnen ein Theil der Brücke abgebrochen worden war; dann zogen sie sich schwimmend zu den Ihrigen zurück. Einer aber hielt noch immer Stand; er hatte bereits mehrere Feinde getötet, alle abgehalten; bis zwei Spanier auf ihn losstürzten, sein Schwert unterliefen und ihn zu Boden zu stürzen suchten. Als er lange widerstanden, umfaßt er seine beiden Feinde mit gewaltigem Arme, drängt sie gegen den Rand der Brücke und begräbt sich sammt ihnen in den Fluthen des Rheines.

Quelle: Gustav Schwab: Der Fleischer von Constanz aus: Badisches Sagen-Buch I, S. 36–38, 1846
Link:➥ https://de.wikisource.org/wiki/Der_Fleischer_von_Constanz

Ein hübsch Lied, genannt der Striegel

Gar lustig zu singen und zu lesen in des Lindenschmidts Ton

Zu Constanz saß ein Kaufmann reich,
Der hat ein Fraulein, war wonnegleich,
Denn sie war hübsch und kluge;
Sie hatt’ einen Doctor gar zu lieb,
Groß Lieb sie zammen trugen.

Die Liebe, die war offenbar,
Und währt gar noch wohl sieben Jahr,
Der Kaufmann ward ihr’ innen;
„Erfahr’ ich dann die rechte Mähr’,
Du magst mir nit entrinnen!“

„O Fraulein, mir ist Botschaft kommen,
Ich darf mich auch nit länger säumen,
Muß reiten in fremde Lande;
Nun halt dich wohl und halt dich recht,
Daß wir nicht kommen zu Schande!

„Nun halt Dich wohl und halt dich recht,
Gedenk an unser Beider Geschlecht,
Wir haben fromm Vater und Mutter;
Dazu ein kleines Schwesterlein,
Halt mir’s in guter Hute!“ –

Er reit zum obern Thor hinaus,
Zum untern reit er wieder hinein zu Haus,
Des Abends also spate;
Er reit vor seiner Freunde Haus:
„Gebt mir ein gute Rathe!“

„Ein guten Rath, den geben wir:
Bleib hier bis an den Morgen früh,
Du hast ein eigen Hause;
Darin hast du ein Badstüblein warm,
Da lebt der Doctor im Schmauße.“

Der Kaufmann tratt für’s Schlossers Haus:
„Und bist du drinn, so tritt heraus,
Ein’ Striegel gut ich möchte!“
Er bracht daher wohl zehen Paar,
Es war ihm keiner rechte.

„Mach mir ein’ Striegel in einer Stund,
Ich geb dir drum ein baares Pfund,
Mach mir ihn scharf und härte;
Mach Zähn dran eines Fingers lang,
Ich hab zwei freche Pferde.“

Der Schlosser dacht’ in seinem Muth:
Was meint er mit dem Striegel gut?
Er hub ihn an zu machen:
Manch Bürger vor sein Laden tratt,
Und thät des Striegels lachen.

Der Kaufmann war ein weiser Mann,
Sein Sachen griff er klüglich an,
Ging in’s Badstüblein warme,
Sein ehlich Fraulein fand er da,
Dem Doctor in seim Arme.

Da er schritt in das Badstüblein,
War da bereit gut Brod und Wein,
Mit andern guten Dingen;
Die zwei, die saßen im Wasserbad,
Das Fraulein thät entrinnen.

Er striegelt den Doctor also hart,
Von unten an bis auf den Bart,
Das Blut thät ihm abfließen;
„Hör auf, mein lieber Kaufmann gut,
Laß mich mein Sünd hie büßen!“

Es währt wohl auf ein halben Tag,
Man legt den Doctor in das Grab,
Das Rauchfaß thät man ihm bieten;
Ein Fraulein zu dem andern sprach:
„Vor dem Striegel woll’n wir uns hüten!“

Dieß Lied ist gemacht mit hohem Fleiß;
Vorm Striegel hüt’ dich, bist du weis’!
Daß dir nicht misselinge;
Es sangs ein freier Schreiber gut,
Vor Freund thät er aufspringen.

(Aus „Knabe Wunderhorn“ etc, 3. Band S. 99 ff.)
Quelle: Autor unbekannt: Ein hübsch Lied, genannt der Striegel, gar lustig zu singen und zu lesen in des Lindenschmidts Ton aus: Badisches Sagen-Buch I, S. 38–40, 1846
Link:➥ https://de.wikisource.org/wiki/Ein_hübsch_Lied,_genannt_der_Striegel,_gar_lustig_zu_singen_und_zu_lesen_in_des_Lindenschmidts_Ton

Johannes Huß (W. N. Freudentheil)

Erscheinst du mir aus Edens milder Zone,
Wo nicht der Bann dem frommen Denker droht,
O Huß, geschmückt mit einer Lorbeerkrone,
Wie kein Granikus[1] sie dem Helden bot?
Bewährter Kämpfer an der Wahrheit Throne,
Du warst dem Ruf getreu bis in den Tod,
Warst Sieger, als dich blinde Wuth verdammte,
Dein Schutzherr log, die Opferstätte flammte.

Die Fackel, die am Jordan einst in Nächten
So herrlich strahlte, war verlöscht, entweiht,
War Feuerbrand in wilder Priester Rechten,
Nicht mehr Verkünderin der bessern Zeit;
Vor Götzen lag der Freie, gleich den Knechten,
Von Todesschuld durch schnödes Erz befreit;
Des Geistes Augen hüllten dichte Binden,
Sie willig tragen, hieß – den Himmel finden.

Du trugst sie nicht. Zu längst verlassnen Quellen
Erforschtest du die fremdgewordne Bahn,
Halfst, kühnen Muthes, dichte Schatten fällen,
Entlarvtest den Betrug im Lateran.
Und sieh! die Waldgebirge Böhmens hellen
Mit neuem Schimmer sich! Es flieht der Wahn,
Die Tugend jauchzt, und tief in seinem Staube
Erliegt, von dir bekämpft, der Aberglaube.

Doch weh! Constantia’s Prälaten sitzen
Dort zu Gericht. Wirst du den Kampf bestehn,
Wie deiner heimathlichen Berge Spitzen,
Wenn Donner rollen und Orkane wehn?
Wer rettet, wer? Des Bannfluchs Strahlen blitzen
Die Kirche heißt den Ketzer untergehn. –
Er lacht des Kerkerthums, der wilden Rache,
Verficht sein Heiligthum auf treuer Wache.

Laßt Tausende sich wider ihn verbünden!
Nicht schreckt ihn ihrer Legionen Zahl.
Den Widerruf belohnen reiche Pfründen,
Der Treue harrt des Scheiterhaufens Pfahl.
Er wankt nicht. In des Thurmes feuchten Gründen
Erkrankend, freut der Dulder sich der Wahl,
Wie sein Messias einst auf Salem’s Hügeln,
Mit edlem Blut das Wort des Herrn zu siegeln.

„Was rotten,“ – ruft er – „Papst und Cardinäle
Sich gegen mich, entbrannt von Rachbegier?
Mein Siegesfest beginnt! Die müde Seele
Des Dulders schwingt, Erhabner, sich zu Dir!
Gewollt hab’ ich das Gute. Meine Fehle
Vergieb Du, milder als die Priester, mir!
O stärke mich zu meinem letzten Gange,
Daß ich, von Dir zu zeugen, nicht erbange!

„Ein hohes Amt hast Du für mich erkoren;
O Wonne mir! Dein Herold darf ich seyn!
Ob Hölle selbst sich gegen mich verschworen,
Ich zage nicht, bin, Vater, bin ja Dein!
Der Sämann sinkt, die Saat bleibt unverloren,
Was er nicht erndtet, Herr, wirst Du verleih’n!
Drum mögen Flammen diesen Leib verschlingen,
Ein Schwan wird einst auf Hußens Asche singen!

„O immer preist, ihr fernen Riesenberge,
Von euren Höh’n den Herrn mein Lobgebet;
In heilgem Boden ruhen Riesensärge,
Wenn in die Winde Hußens Staub verweht.
Gen Himmel thürmt den Holzstoß! Auf, o Scherge!
Mein Seraph winkt, der vor Jehova steht!
Ich komm’, ich komme, will mein Opfer spenden,
Was ich vor Gott begann, vor Gott vollenden!“

Und sieh, errungen ist sein Siegsgepränge;
Die Stunde schlägt, der Todeszug beginnt.
Durch alle Gassen fluthet roh die Menge,
Kein Seufzer schallt und keine Thräne rinnt.
Gefesselt wandelt Huß und Lobgesänge
Beflügeln seine Seele hochgesinnt.
Der Heimath nahe fleht er für die Horden,
Die, Gott zu ehren, seinen Herold morden.

Die Richtstatt winkt, umkreist von tausend Speeren,
Und aufgeschichtet harren Pech und Kien,
Die Hülle des Gerechten zu verzehren,
Und Aller Augen starren wild auf ihn.
Mit Teufeln mögen sie sein Haupt entehren,
Sein Ohr vernimmt des Himmels Harmonie’n!
An Henkers Hand ersteigt mit festen Schritten
Er seinen Thron, durch heil’gen Kampf erstritten.

Entblößt, mit Strängen an den Pfahl geschlossen,
Besteht er glorreich noch den letzten Streit.
Ihn mahnt ein Ritterpaar auf hohen Rossen:
„Bereu’ den Wahn am Thor der Ewigkeit!“
Er wankt nicht, ist vom Fackelrauch umflossen,
Für seinen Gott zu sterben froh bereit;
Ein Bäuerlein wankt her mit schwerem Stamme,[3]
Daß heller, höher Hußen’s Glutbett flamme.

Der lächelt; „Heil’ge Einfalt!“ ruft der Hohe;
Der Holzstoß brennt. Er singt sein Schwanenlied,[4]
Erblickt sein Paradies, indeß das rohe,
Bethörte Volk Gehenna’s Gluten sieht.
Und höher, dichter steigen Dampf und Lohe;
Die Stimme schweigt, des Dulders Seele flieht
In lichten Engelreih’n auf Sonnenwegen,
Und hört entzückt des Auferstandnen Segen.

Quelle: Wilhelm Nicolaus Freudentheil: Johannes Huß aus: Badisches Sagen-Buch I, S. 29–33, 1846
Link: https://de.wikisource.org/wiki/Johannes_Huß_(Badisches_Sagen-Buch)

Granikus hieß der Fluß in Phrygien (Klein-Asien) an welchem Alexander der Große die berühmte Schlacht gewann.
Durch Ablaßgeld nämlich.

Nachdem Huß auf den Schindanger geführt worden war, um dort verbrannt zu werden, sprach er zu den Henkersknechten: „Heute bratet ihr mich, wie eine Gans, aber in hundert Jahren wird ein Schwan erscheinen, den ihr wohl ungebraten lassen werdet.“ – Und als der edle Märtyrer den Scheiterhaufen bestiegen hatte und man ihn nochmals aufforderte, durch Widerrufung seiner Irrthümer sein Leben zu retten, gab er zur Antwort: „Ich habe keine Irrthümer zu widerrufen. Zeitlebens war ich bemüht, Jesum Christum, den Weltheiland, zu predigen und dessen Lehren zu verbreiten, wie es seine Apostel gethan; und nun bin ich bereit, dieselben mit meinem Blute zu besiegeln!“ – Hierauf wurde der Holzstoß angezündet; bald loderten die Flammen über Huß zusammen, der mit erhobener Stimme dreimal zum Himmel rief: „Jesus Christus, du Sohn Gottes, du Sohn des lebendigen Gottes, erbarme dich meiner!“ – Da verbarg eine dichte Rauchwolke den sterbenden Helden der umstehenden Menge, und als das Feuer nachließ, sah man seinen Körper halbverbrannt an der noch glühenden Kette hangen. Er wurde sofort auf einen neuen Holzstoß gelegt und seine verglimmende Asche hernach in den Rhein geworfen.
Quelle: Wilhelm Nicolaus Freudentheil: Johannes Huß aus: Badisches Sagen-Buch I, S. 29–33, 1846
Link: https://de.wikisource.org/wiki/Johannes_Huß_(Badisches_Sagen-Buch)

Johannes Hus vor dem Konzil von Konstanz, Gemälde von Václav Brožík um 1880
Johannes Hus vor dem Konzil von Konstanz, Gemälde von Václav Brožík um 1880

Johann Huß (Friedrich Otte)

Zu Costnitz, wo der alte Münster
In’s Frühroth seine Glocken schwang,
Da hallt im Thurme bang und finster
Des Armensünderglöckleins Klang.

Ein Scheiterhaufen ist geschichtet
Und in den Herzen loht der Zwist;
Der heilge Vater hat gerichtet:
Ein Ketzer stirbt zu dieser Frist!

Wer ist der Mann? Gebunden führen
Sie ihn zum letzten Schmerzenpfühl,
Die Schergen nah’n, die Glut zu schüren –
Es wogt das Volk, ein bunt Gewühl.

Wer ist der Mann? Ich frag’ auf’s Neue,
Der solche Schmach erdulden muß?
Aus seinem Blick spricht keine Reue, –
Wer ist der Ketzer? – Johann Huß!

Und seine Schuld? Und seine Sünden? –
Er hat die Schrift geoffenbart,
Ihn trieb der Geist, das Wort zu künden,
Das ihm vom Herrn vertrauet ward.

Er riß die Bibel aus den Händen
Der feilgewordnen Priesterschaar;
Er riß die Götzen von den Wänden
Und stand, ein Lehrer, am Altar.

Sein Wort, es war kein eitles Dreuen,
Es war kein nüchterner Gesang;
Die Rede war es eines Leuen,
Der siegreich mit der Hölle rang;

Es war der Zorn des Gotterkornen
Der Trug und List verstummen ließ,
Und auch der Heerde, der verlornen,
Zum reinen Quell die Pfade wies.

Da traf ihn Rom mit seinem Fluche
Und Prag mit seinem Interdict:
„Er hat, o lest’s in seinem Buche,
Den Aufruhr in die Welt geschickt!

Dich Ketzer, soll die Flamme taufen,
Nun ist’s genug des sünd’gen Spiels!“ –
Da schleppten ihn zum Scheiterhaufen
Die heil’gen Väter des Concils.

Und sieh, nun steht er vor Gerichte,
Ein Held, der keine Rachsucht hegt;
Die Flamme wird zum Siegeslichte,
Das ihn verklärt zum Himmel trägt.

Was bist du, düstrer Priester, kommen
Mit Kreuz und Hostie und Gesang?
Soll dein Gebet dem Sieger frommen
Der schon den Himmel sich errang?

„Dem Rhein die Asche!“ – Laßt das Pochen,
Und stellt euch selber vor Gericht!
Zwar das Gefäß habt ihr zerbrochen,
Den Quell jedoch, den hemmt ihr nicht.

Mit Jubel braust er in die Lande,
Befreit aus langer Kerkerhaft,
Und schlagt ihr gleich den Leib in Bande,
Am Geist zersplittert eure Kraft!

Quelle: Georg Zetter: Johann Huß aus: Badisches Sagen-Buch I, S. 28–29, 1846
Link: https://de.wikisource.org/wiki/Johann_Huß_(Badisches_Sagen-Buch)

Johannes Huß (O. F. Gruppe)

Es hatte sicheres Geleit der Kaiser ihm verschrieben –
Allein, da er ein Ketzer ist, ist’s nicht dabei verblieben.

Sie haben, was er schrieb, verbrannt; sie führten ihn vorüber,
Er sah es an mit Ruh‘ im Blick, sein Antlitz ward nicht trüber.

Die Schriften sind verbrannt; doch Er auf hocherhöhter Bühne
Des Scheiterhaufens brenne selbst, daß er den Frevel sühne!

Schon sah man zu dem Schandpfahl ihn, geführt vom Henker, treten –
Sein mildes Aug‘ emporgewandt, sah man ihn freudig beten!

Voll Glaubensmut, voll Gottvertraun stand er, ein Held: die Flammen
Recht schlugen ob dem edeln Haupt mit wilder Gier zusammen!

Das sah das dichtgedrängte Volk; die Einen sahn’s mit Schmerzen,
Und ging ein heiß und schneidend Schwert durch viele deutsche Herzen,

Und wieder sahen’s andre wohl die kreuzten sich und riefen:
Ein Beispiel sei’s! die Ketzerei verdient der Hölle Tiefen!

Und wieder andre sahen’s auch, die sprachen: Wahr ist Eines:
So stirbt kein Sünder! doch vor Gott nun steht er um ein Kleines,

Und Einer sprach: Es bleibt nicht aus; die Zeit wird alles bringen:
Das war die Gans, doch kommt ein Schwan – und der wird lauter singen!

Nun war das Feuer ausgebrannt bis auf den legten Funken,
Zu Asche war das Scheiterholz und war der Mann gesunken.

Ein neues Schauspiel rufet jetzt die wildbewegte Menge:
Was will der Henker auf der Brück‘ und um ihn das Gedränge?

Des Ketzers Asche wird gestreut dort in des Rheines Wogen –
Es hat im Strudel sie die Flut verschlürfend fortgezogen! –

Und doch, aus dieser Asche glomm, in heißentfachten Kämpfen,
Ein Funken und ein Feuer auf – das konnten sie nicht dämpfen!

Quelle: Otto Friedrich Gruppe: Sagen und Geschichten des deutschen Volkes aus dem Munde seiner Dichter, Berlin 1854, Seite 341/342
Link: https://www.google.de/books/edition/Sagen_und_geschichten_des_deutschen_volk/Wlc_AAAAIAAJ

Kaisers Wort, Gottes Wort (Eduard Duller)

(Gedicht über Jan Hus)

Was gilt ein Wort in dieser Zeit?
Das lohnte sich zu wissen,
Da sich die That in Worte breit
Recht fasrig hat verschlissen;
Ein Wort, ein Wort, sagt an, was gilts?

Kann man’s noch brauchen statt des Schilds,
Vor Strolchen sich zu wehren?
Hei! redlich Wort
Find’t schlechten Ort,
Man hälts nicht mehr in Ehren.

Da reiten Zwei, so frisch und frei,
Sie haben gut Vertrauen:
„Ein Kaiserwort, das hält wohl treu,
Darauf läßt sich wohl bauen?
Und ob die Pfaffheit uns bedräut,

Der Kaiser gab uns frei Geleit,
Der Kaiser wird’s wohl halten.
Ein Kaiserwort,
Ist guter Hort,
Wie Kaiser-Mantels Falten.“

Zween Meister ihr aus Böhmerland,
Ihr solltet’s besser wissen:
Ein’s Mannes Wort zu Mannes Hand,
Das ist ein sichrer Kissen,
Kein Mann gab’s, nur der Kaiser sprach’s; –

Hei! schmilzt sein Wort wie schnödes Wachs
Am Kirchenlicht der Pfaffen?
O freies Wort,
Du einz’ger Hort!
Wer wird dein Recht dir schaffen?

Zu Costnitz war ein heißer Tag,
Die Sonn’ stand just im Krebsen;
Wohl mancher Pfaff bei Tafel lag
Oder gar bei seiner Kebsen.
Aus Böhmerland die Meister beid’,

Sie lagen in gar tiefem Leid,
Von aller Welt verlassen;
Im dunkeln Thurm
Bei Molch und Wurm,
In eisernen Ringen sie saßen.

Ha! ist das auch ein frei Geleit,
Geleit zum Scheiterhaufen?
O Zeit des Worts, o böse Zeit,
Worein wird Gott dich taufen?
Er wird’s in Feuer und dann in Blut;

Das alte Uebel heilt nicht gut,
Als nur durch’s letzte Mittel.
Die Asch verstäubt,
Die Wahrheit bleibt
Und bleibt im Ketzerkittel.

Hei! was ein frommer Mummenschanz
Zu Costnitz vor den Thoren!
Der Aberwitz hielt Wallfahrtstanz
Und schüttelte die Ohren.
Sie schwenkten manches Weihrauchfaß,

Sie räucherten ohn’ Unterlaß,
Bis daß man den Himmel nicht kannte,
Bis lichterloh
Wie leeres Stroh
Des Kaisers Wort verbrannte.

Aus Böhmerland die Meister beid’,
Wichen nicht von einander,
Sie hielten aus in Lauterkeit,
Zween treue Salamander.
Und als die Flamme höher fraß,

Bis sie an Hußens Herzen saß,
Als wie ein hungriger Geier,
Da sprach der Huß
Den Abschiedsgruß,
Das Flammenwort aus dem Feuer:

„Die Flamme frißt ein Kaiserwort,
Man weiß nicht, ob’s gewesen;
Doch Gottes Wort bleibt ewig fort,
In Flammen steht’s zu lesen.
Mein Vaterland, du herrlich Land!

Was Kaiserwort, hast du erkannt,
Es hält nicht gar beständig.
Doch Gott ist treu,
Drum werde frei,
Gott macht die Todten lebendig!“

Und als der Leib in Asch’ zerfiel,
Frei athmeten die Pfaffen;
Sie ließen drauf ein böses Spiel
Von Henkers Händen schaffen;
Der Henker nahm im frechen Raub

Des edlen Hußen heil’gen Staub
Und blies ihn nach allen vier Winden;
An keinem Ort –
Wie Kaisers Wort –
Sollt er sein’s Bleibens finden.

Doch Vöglein kamen allerhand
Geschäftig hergeflogen,
Sie wuschen rein am Seees Strand
Die Flüglein in den Wogen,
Und stahlen weg des Märt’rers Staub

Und trugen treu den edlen Raub
Nach Böheim unter den Flügeln.
Sie luden ihn ab
In ein großes Grab,
Umschanzt von Wäldern und Hügeln.

Wo ist das Grab, wo er Ruhe fand,
Wer kann die Stätte mir nennen?
Es ist das ganze Böhmerland,
An Grabesruh zu kennen.
Ja, Freiheit ist zu Grab gebracht;

Da kam eine linde Majennacht,
Recht gut zur Leichenfeier.
Manch Knösplein stand
Im Böhmerland,
Und seine Blüthe ward theuer.

Quelle: Eduard Duller: Kaisers Wort, Gottes Wort aus: Badisches Sagen-Buch I, S. 24–27, 1846
Link: https://de.wikisource.org/wiki/Kaisers_Wort,_Gottes_Wort

Ueber Huß sagt J. Bader in seiner „Badischen Landesgeschichte“: Nach diesem glücklichen Erfolg (Gefangennehmung und Absetzung des Papstes Johann XXIII.) der Bemühungen des Kaisers und der Väter des Kirchenraths, geschah jetzt die Verurtheilung eines Mannes, dessen Scheiterhaufen ein unauslöschliches Brandmal in dem Andenken des Constanzer Conciliums zurückließ. Es war Johann Huß, (geboren am 6. Juli 1374 zu Hussinecz in Böhmen) Professor der Theologie an der Hochschule zu Prag, welchen der Papst als einen Ketzer mit dem Banne belegt und vor das Concilium zur Verantwortung seiner Irrlehren geladen hatte. Sein Verschulden aber war, daß der gelehrte, aufgeklärte und redliche Mann den Zerfall der christlichen Kirche, durch dessen allgemeine Anerkennung und Bedauerung eben dieses Concilium hervorgerufen worden, sich auf Ernstlichste zu Herzen nahm, die Ursachen dieses Verfalles erforschte, sie größtentheils in dem Oberhaupt und den Dienern der Kirche, in der Geistlichkeit selbst, fand, in deren Eigennutz und zügellosen Sitten, in dem Ablaßkram, in der Simonie, in dem Mißbrauch des Kirchenbannes und der päpstlichen Gewalt überhaupt, wie in dem blinden Glauben des Volkes an die Unfehlbarkeit des Papstes und an die vielen Heiligen, und daß er den Muth hatte, solche Mißbräuche und Irrthümer in öffentlichen Schriften zu beklagen und mit aller Kraft der Ueberzeugung zu bestreiten.

Huß zählte schon viele Anhänger, und welcher wahrheitsliebende gute Kopf mußte seinem heiligen Eifer nicht Beifall zunicken? Aber er hatte den allgewaltigen Stand der Geistlichkeit durch öffentliche Darstellung von dessen eben so unbegrenzten Anmaßungen als tiefem Sittenverderbnisse zu bitter beleidigt; eben dieselben Väter des Concils, welche laut nach einer Reform der Kirche in Haupt und Gliedern schrieen, warfen den edlen Reformator in’s Gefängniß, ohngeachtet ihm der Kaiser in einem Geleitsbrief persönliche Sicherheit zugesagt hatte. – „Wir haben ihn“ – heißt es darin – „in Unsern und des Reiches Schutz aufgenommen, und wollen, daß er nach Nothdurft kommen, bleiben und gehen möge ohn alle Gefährde, bei Ehre und Ansehen Unserer Majestät.“ – Allein Kaiser Siegismund war schwach genug, sich von dem Concilium überreden zu lassen, daß kein Eid gegen Ketzer bindend sey, also auch kein kaiserlicher Schirmbrief. So wurde dem Angeklagten auch das Recht der Vertheidigung versagt. Er sollte nur widerrufen. Und da er dies ohne Ueberführung seiner vermeintlichen Irrthümer nicht that, verdammten ihn die Väter als einen verstockten Ketzer zum Flammentode und opferten (am 6. Juli 1415) sein schuldloses Leben ihrer Verblendung und ihren gefährdeten Interessen.
(Siehe J. Bader’s „Badische Landesgeschichte“ S. 336. ff.)
Quelle: Eduard Duller: Kaisers Wort, Gottes Wort aus: Badisches Sagen-Buch I, S. 24–27, 1846
Link: https://de.wikisource.org/wiki/Kaisers_Wort,_Gottes_Wort

Geschichten, Novellen und Texte

Vorbemerkung zur „Schönen Imperia“: Honoré de Balzac beschreibt das lüsterne Treiben in der Zeit des Konzils zu Konstanz (5. November 1414 bis 22. April 1418), bei dem (in seiner Geschichte) „die schöne Imperia“ Kardinäle, Bischöfe und ein kleines Pristerlein empfing. Peter Lenk erstellte der Imperia ein Denkmal in der Hafeneinfahrt von Konstanz. Balzac hatte die Figur der Imperia jedoch auch der Geschichte entlehnt. Die „richtige“ Imperia Cognati (1486-1512) – auf die er in seiner Geschichte Bezug nimmt – lebte zur Zeit des Konzils noch nicht.

Honoré de Balzac: Die schöne Imperia

Zum Gefolge des Erzbischofes von Bordeaux gehörte in der Zeit, da selbiger zum Konzile nach Konstanz kam, ein hübsches Pfäfflein aus der Touraine, das in Wort und Wesen gar gefällig war. Galt es doch auch allenthalben für einen Sohn der Soldée und des Gouverneurs. Der Erzbischof von Tours hatte ihn seinem Amtsbruder bei dessen Durchreise freundschaftlichst zum Präsent gemacht, wie das unter diesen Herren voll glaubensfrohen Dranges üblich ist. Solchermaßen kam das Pfäfflein also zum Konzil und fand im Hause seines sittenstrengen, hochgelahrten Prälaten Unterkunft. Diesem Gönner ein pflichtgetreuer und würdiger Untergebener zu sein, war Philippus von Mala (so hieß das Priesterlein) wohl entschlossen. Doch sah er bald, daß männiglich Besucher selbigen gottgelahrten Konziles ein gar lockeres Leben führten und dabei obendrein mehr Ablässe, Goldgulden und Pfründen einheimsten als fromme Tugendbolde. Und so blies ihm der Teufel in einer anfechtungsreichen Nacht den Gedanken ein, sichs lieber wohl sein zu lassen und gleich den andern aus dem Borne unserer heiligen Mutter Kirche zu schöpfen, des Unerschöpflichkeit allein gar wundersam des lieben Gottes Gegenwart erwiese. Das ging unserm Pfäfflein wohl ein und es schwur sich zu prassen und zu schlemmen, solange man nur seinem leeren Beutel Kredit gewähre. Noch war er keusch gleich seinem guten alten Erzbischof (der sich, allerdings nur mehr der Not gehorchend, derart einen Heiligenschein zugelegt hatte). Doch schuf ihm das oft schwere Anfechtung und trübselige Stunden, maßen er allenthalben die schmuckhaften, verführerischen Buhlerinnen sah, die gen Konstanz geeilt waren, um der Kirchenväter Sinne zu erleuchten. Er platzte schier vor Grimm über die Art, wie jene losen Elstern den Kardinälen, Würdenträgern, Fürsten und Markgrafen auf der Nase herumhüpften, als wären es arme Schlucker, derweile er nicht wußte, wie er eine fangen könnte. Allabendlich nach dem Gebete erwog er zierliche Liebessprüche und wappnete sich für zärtliches Geplänkel. Traf er dann aber tags darauf solch eine Prinzessin, die in prunkender Sänfte inmitten reichen Geleites ihrer Fülle Pracht stolz darbot, dann blieb er mit offenem Maule stehen und glotzte ihr blinkes Antlitz an, bis ihm die Glut zu Kopfe stieg.

Der Sekretarius seines edlen Gönners tat ihm nun einmal kund, daß die hohen Herrschaften die Gunst jener zieren Kätzlein keineswegs so mir nichts, dir nichts gewännen, vielmehr Gold und Geschmeide in schwerer Menge dafür hingäben. So begann denn der ahnungslose Tropf die Groschen, die durch des Erzbischofes Güte für ihn abfielen, in seinem Strohsack zu sammeln, und er erhoffte solchermaßen einen Schau zusammen zu sparen, mit dem er sich dann holde Gunst erkaufen wollte. Des weiteren gab er sich in Gottes Hand und wandelte nächtens lüstern durch die Gassen, wenngleich er in seiner schäbigen Gewandung einem Edelmanne nicht mehr glich, als eine nachthaubengeschmückte Ziege einem Edelfräulein. Ohne sich um die Hellebarden der Söldner zu scheren, schaute er zu, wie in den Häusern die Kerzen entzündet wurden und durch Fenster und Türen hinausblinkten, horchte auf das geile Lachen der schlemmenden Kirchenfürsten, die der Frau Venus ihr Halleluja sangen, und holte sich dabei gern einen Sack voll Püffe. Denn der Teufel verblendete ihn mit der Hoffnung, früher oder später auch bei solch holder Buhlin den Kardinal spielen zu können, und das machte ihm Mut.

So drang er denn eines abends tollkühn wie ein brünstiger Hirsch in das schönste Haus der Stadt, davor er schon so manche Haushofmeister, Offiziere oder Pagen ihrer Herren beim Fackelscheine harren gesehen hatte. »Ach, die da drinnen muß schön und zärtlich sein!« seufzte er. – Ein waffenstarrender Landsknecht vermeinte, jener gehöre zum Gefolge des bayrischen Kurfürsten (der soeben das Haus verlassen hatte) und käme mit einem Auftrage seines Herrn. Darum kam Philippus hinein und ließ sich, gleich einem Rüden auf der Spur einer läufigen Hündin, von süßen Düften stracks in das Gemach führen, wo sich die Herrin des Hauses von flinken Zofen umringt ihrer Gewänder entledigte. Verdutzt wie ein erwischter Dieb blieb er stehen. Schon war die Huldin ohne Rock und Mieder und bald stand sie hüllenlos in prunkender, anmutsvoller Nacktheit da, also daß dem beglückten Pfäfflein ein liebeheißes »Aah!« entfuhr.

»Was willst du, Kleiner?« fragte die Schöne. »Bei Euch verscheiden,« ächzte er gierigen Blickes. »So komm morgen wieder,« meinte sie, um ihn zu necken. Und Philippus, des Antlitz glühte, rief stracks: »An mir solls nicht fehlen!«

Da hub sie an wie toll zu lachen, also daß Philippus verblüfft doch wohlgemut stehen blieb und lüsternen Auges weiter ihre wunderzieren Liebesreize bestaunte: ihr prachtvolles Haar, das zwischen lockigen Flechten den Zauber eines Nackens enthüllte – blink und blank wie Elfenbein; strahlende Augen, die feuriger waren als die Rubinen eines Geschmeides ob ihrer schneeweißen Stirn. Die schimmerten von den Tränen ihres hellen Lachens; und dieweil sich die Holde vor Kichern wand, entglitt ihr ein güldener Schuh und so kam ein nacktes Füßlein hervor, ein Füßlein, das schier kleiner war als der Schnabel eines Schwanes.

Ja, die Schöne war heut guter Laune; sonst hätte sie den Kleinen längst kühllächelnd zum Fenster hinaus werfen lassen. Und eine der Zofen meinte: »Er hat schöne Augen!« Eine andre fragte: »Woher mag er kommen?« Und die Herrin rief: »Das arme Kindlein! Seine Mutter wird ihn suchen. Wie müssen ihm den rechten Weg weisen!« Aber unser Pfäfflein ließ sich nicht aus der Fassung bringen und weidete sich wonneächzend an dem Anblick des brokatgeschmückten Lagers, darauf die Huldin alsbald ihren prangenden Leib betten sollte. Solch liebesdurftiger Augenschmaus entflammte die Einbildungskraft der Schönen, die darob halb scherzend, halb bereits verliebt wiederholte: »Also morgen!«, und den Burschen sodann mit einer Handbewegung, die keinen Widerspruch duldete, entließ. »Ach, hehre Frau, da habt Ihr wieder einmal ein Keuschheitsgelübde in Liebessehnen verwandelt!« kicherte ein Zöflein. Und wieder platzten alle heraus, also daß das Gemach wie unter Hagelschlägen erzitterte. – Derweile machte sich Philippus von dannen, nicht ohne blindlings mit dem Kopf wider die Pfosten zu rennen. Denn der leckere Anblick hatte ihn völlig geblendet. Doch prägte er sich die Torwappen sorglich ein und kehrte voll lüsterner Teufeleien und schlechter Gedanken zu seinem biederen Erzbischofe zurück. In seinem Kämmerlein zählte er während der ganzen Nacht seine Batzen: mehr als vier Taler kamen freilich nie heraus, aber da dies sein einzig Gut war, das er so der Schönen hingeben wollte, vermeinte er, sie würde wohl zufrieden sein.

Dem Erzbischof ging seines Schreibers Seufzen und Ächzen mählig auf die Nieren. »Was ist Euch nur?« fragte er endlich. Und das Pfäfflein entgegnete kläglich: »Ach wehe, hoher Herr! Mir will nicht in den Sinn, daß so ein zieres, zartes Mägdelein einem also schwer das Herze bedrücken mag.« Da legte jener sein Brevier (darin der Edle für die andern las) zur Seite und erkundigte sich: »Welche ist’s denn?«

»Ach Jesus! Weh, edler Herr und Gönner, verdammt mich nicht. Gewißlich gehört die zum mindesten einem Kardinale an, in die ich mich vergaffte … Und nun weine ich, da mir noch manch verflixter Taler fehlt, um sie mit Eurer Erlaubnis zum Guten zu bekehren.« Der Erzbischof furchte die dachförmige Falte über seiner Nase unter bedenklichem Schweigen, also daß der Pfaff vor Angst zu beben anhub und sein Geständnis bereute. Doch schon fragte der heilige Mann weiter: »Sollte sie denn gar so viel kosten?« worauf jener ächzte: »Ach! schon manche Mitra hat sie geplündert, manchen Krummstab seiner Zier beraubt.«

»Ei, ei, Philippus: so du von ihr lässest, will ich dir dreißig Taler aus der Armenbüchse geben!« Aber das Kerlchen gierte nach dem Wonneschmaus, also daß es rief: »Oh, dabei käme ich noch immer zu kurz!«

»Philippus,« versetzte darob der gute Alte, »so willst du denn dereinst zur Hölle fahren, von Gott mißacht gleich all unsern Kardinälen?« Und schmerzbewegt begann er zum Schutzherrn der Keuschlinge, dem heiligen Gabianus, für seines Dieners Heil zu beten. Und weiter mußte der Bursch niederknien und seinerseits den heiligen Philippus anflehen. Aber der verdammte Pfaff erbat insgeheim, daß der Heilige ihm morgen einen huldreichen Empfang bei der Dame bescheere, und darum betete er so voller Inbrunst, daß der gute Erzbischof beglückt rief: »Nur Mut, der Himmel wird dich erhören!«

Tags darauf (derweile der edle Greis im Konzil wieder die Schamlosigkeit geistlicher Hirten donnerte) verschleuderte Philippus seine sauer erworbener Taler für Riechwässer, Bäder und ähnliches Gedüft. Wohl gesalbt wie ein Pomadenhengst wandelte er sodann durch die Stadt, bis er seiner Herzens-Königin Haus erspäht hatte. Als er aber jemanden fragte, wem denn selbiges Haus gehöre, da grinste der und rief: »Was für ein grindiger Schelm, der noch nichts von der schönen Imperia gehört hat!«

Nun ward dem Pfäfflein Angst, sein Geld zum Fenster hinausgeworfen zu haben, denn der Name lehrte ihn, in welch arge Schlinge er aus freien Stücken seinen Kopf gesteckt hatte. War doch Imperia die anspruchsvollste und launischste Dirne des Erdenrundes und nicht sowohl für ihre unübertroffene Schönheit, als für ihre Kunst bekannt, gleichermaßen Kardinäle, Leuteschinder und rauhe Krieger zu knechten. Die Höchsten wie die Kühnsten umwarben sie, ein Wink von ihr konnte einem das Leben kosten, und selbst unerbittliche Tugenbolde krochen bei ihr auf den Leim und tanzten gleich den andern nach ihrer Pfeife. Unserm Philippus ward bänglich zu Mut und so wandelte er in der Stadt umher, ohne an Essen und Trinken zu denken. Hatte ihm doch Imperias Anblick sogar die Lust nach andern Frauenverdorben.

Und als die Nacht kam, da hatte der Stolz den hübschen Bengel also gebläht, die Gier ihn gepeitscht und einige Flüche ihn soweit ermuntert, daß er kecklich zu der eigentlichen Königin des Konziles, vor der sich alle beugten, hineilte. Der Hausmeister, der ihn nicht kannte, wollte ihn freilich hinauswerfen, als just ein Zöflein oben vom Treppenabsatz rief: »Nicht doch, Meister Imbert! Das ist ja der Kleine von der Gnädigen!« Und schamrot wie ein Jüngferlein stolperte der arme Philippus wonnebebend die Treppe hinauf. Alldorten nahm ihn die Zopfe bei der Hand und führte ihn in das Gemach, darinnen die Gnädige bereits vor Erwartung kochte und also leicht bekleidet war wie eine Frau, die mutvoll höheren Gemissen entgegenblickt. In strahlender Schönheit saß sie bei einem prunkhaft gedeckten Tische, dessen Leckerbissen jedem das Wasser in den Mund getrieben hätten – auch unserm Pfäfflein, wäre er nicht so über die Maßen verliebt gewesen. Denn alsbald ward Frau Imperia dessen inne, daß die Blicke des zieren Kleinen nur ihr allein galten. Und sie, die eigentlich an verliebte Demut geistlicher Herren gewöhnt war, ergötzte sich doch daß an seiner Huldigung, maßen sie sich seit gestern Nacht immer mehr in den Schlingel vernarrt hatte und er ihr tagsüber schon gar nicht mehr aus dem Sinn gekommen war. Nun waren die Vorhänge zu und die Gnädigste so holder Laune, als gälte ihr Empfang einem kaiserlichen Prinzen. Und als solcher fühlte sich der Bengel auch, da ihm die Gunst der hochheiligen Schönheit zu Kopfe stieg. Aufgebläht stolzierte er herzu und machte einen Kratzfuß, der nicht übel gelang. Alsbald beglückte den Wonneschauernden ein glühender Blick und die Holde sprach: »Setzt Euch neben mich; ich sehe, Ihr habt Euch seit gestern verändert.«

»Ei freilich,« brüstete er sich. »Gestern liebte ich Euch – und heute lieben wir uns: so ward ich armer Schlucker reicher als ein König!« »I du kleiner Strick,« kicherte sie, »mir scheint vielmehr, der junge Pfaff ist ein alter Teufel geworden.« Damit kauerten sie sich zusammen vor dem Kaminfeuer hin, dessen Glut ihnen noch weiter einheizte. Sie mißachteten die guten Bissen auf dem Tisch und fraßen sich mit den Augen; und schon waren sie im besten Zuge, als sich vor der Tür ein groß Geschrei erhob und Hiebe prasselten.

Lovis Corinth (1858-1925): Die schöne Frau Imperia (1925)
Lovis Corinth (1858-1925): Die schöne Frau Imperia (1925)

 

»Was gibts?!« rief stracks die Gnädige, machtbebend wie ein König, den man kecklich stört. »Der Erzbischof von Chur«, hauchte ein Zöflein. »Hol‘ ihn der Teufel! – Sag ihm, ich habe das Fieber, so lügst du nicht, denn dieses Pfäfflein macht mir heiß und kalt.«

Kaum hatte sie das gesagt und dabei des Philippus Hand so hold gedrückt, daß es dem in allen Gliedern zuckte, da tauchte schon der feiste Bischof wutschnaubend vor ihnen auf und hinter ihm seine Leute mit einer güldenen Schüssel, darauf eine Lachsforelle frisch und lecker prangte, mit vielerlei würzigduftenden Gerichten, mit Obst und Früchten und holden Schnäpsen, wie die heiligen Nonnen sie in den Klöstern brauen.

»Uf,« polterte der grob, »um zur Hölle zu fahren, brauche ich mich von dir nicht vorher peinigen zu lassen, mein Täubchen …« »Euer Wanst wird eines Tages eine schicke Degenscheide abgeben,« erwiderte sie und furchte die Brauen, und ihre vorher so sanften, lieben Augen wurden hart und grausam. »Und der Chorknabe hier soll wohl schon den Totengesang anstimmen?« pöbelte der Erzbischof weiter und wandte sein rotgedunsenes Antlitz wider den zieren Philippus. Der meinte: »Hochwürden, Madame will mir beichten.« »Was!! kennst du nicht die Regeln?! Damenbeichten zu dieser Stunde sind den Bischöfen vorbehalten. Fort mit dir zu deinen Nonnen!«

»Nein, hiergeblieben!« schmetterte Imperia, die zugleich von Zorn und Liebe verschönt sich selbst übertraf, »Ihr seid hier zu Hause, teurer Freund« (da ward Philippus ihrer Liebe gewiß!). »Sind nicht, wie da geschrieben steht, alle Menschen vor Gott gleich? So sollt auch ihr beide vor mir gleich sein, da ich hinieden eure Göttin bin. Setzt euch und eßt!«

So sprach sie, denn der Lachs und die Schleckereien taten es ihr doch an. Ihrem Schlingel aber zwinkerte sie listig zu, daß er sich vor dem Dickwanst nicht zu bangen brauche, den sie bald abfertigen würde. So ward denn der Bischof von der Zofe um Tische verstaut und ein gewaltiges Prassen hub an. Das Pfäfflein freilich aß keinen Bissen, da ihn nach Imperia hungerte, und schweigend an sie geschmiegt redete er nur jene Sprache, die jedem Weibe auch ohne Laute und Buchstaben verständlich ist. – Der feiste Bischof war ein wüster Schlemmer: ein Gläslein Würzwein nach dem andern ließ er sich von zarter Hand darreichen und schon hallte fröhlich sein erster Rülpsec, als von der Straße lautes Pferdegetrappel heraufscholl. Der Lärm ließ zum mindesten einen liebestollen Fürsten erwarten und richtig stürmte gleich darauf der Kardinal von Ragusa rücksichtslos ins Gemach. Dieser gerissene Italiener, des Anwartschaft auf den heiligen Stuhl man kannte, dieser langbärtige Haarespalter überblickte sofort die Situation. Von seiner Mönchsgeilheit hergetrieben, wollte er natürlich auf seine Kosten konnnen, und so winkte er sich nach einer Sekunde Überlegung Philippen herbei. »Komm ‚mal her, Freundchen!« – Der Ärmste war mehr tot wie lebendig, denn nun wurde die Sache brenzlich. Dienstbereit nahte er dem furchtbaren Rothute, und der führte ihn zur Stiege, sah ihm stracks in die Augen und sagte ohne langes Fackeln. »Schockschwerenot! du scheinst mir ein lieber Kumpan, den ich nicht gern um einen Kopf kürzen möchte. Also glatt heraus: willst du dich lieber mit einer Abtei auf Lebenszeit vermählen oder heut Nacht mit der Gnädigen, aber dann morgen verscheiden?«

Der arme Bengel murmelte ganz verzweifelt: »Aber wenn Eure Glut gestillt ist, Hochwürden, – dürfte ich dann wiederkommen?« – Der Kardinal verbiß sich das Lachen: »Galgen oder Mitra – wähle!« »Na,« meinte unser Pfäfflein verständnisinnig, »wenn die Pfründe schön fett ist …« Da ging der Kardinal flugs ins Gemach zurück und schrieb ein Certificat aus. Der Schlingel suchte darin den Namen der Abtei zu entziffern und derweile grinste er: »Den Bischof von Chur werdet Ihr nicht so leicht abhalftern wie mich. Doch will ich Euch meine Dankbarkeit erzeigen und mit einem guten Rate aufdienen. Ihr wißt ja, wie ekel und ansteckend die Seuche ist, die in Paris wütet: sagt ihm also, Ihr kämet just vom Sterbebette des lieben alten Erzbischofes von Bordeaux – dann wird er verschwinden wie die Wurst im Spinde.« »Hoho,« blökte der Kardinal, »du verdienst ja sogar noch mehr als eine Abtei – hier, Schockschwerenot! Freundchen, hier nimm noch hundert Gülden für die Reise …«

Als Imperia die Worte hörte und inne ward, daß Philippus aus dem wonnigen Bereiche ihrer liebesüßen Schmeichelaugen verduftete, da ahnte sie feigen Verrat und hub voll ingrimmiger Enttäuschung an zu schnauben wie ein Delphin. Die tötlichen Blicke, die sie dem Pfäfflein nachsandte, taten dem Kardinal natürlich wohl, denn nun durfte der italienische Lüftling hoffen, seine Abtei recht bald wieder zu bekommen.

Philippus indes ahnte nichts böses, nur trollte er sich davon wie ein begossener Kater. Und die Schöne tat einen tiefen Seufzer: hei, wie wäre sie jetzt gern mit dem Mannsvolk umgesprungen, wo lohe Glut sie erhitzte und draußen wie drinnen zu wabern schien. Denn das war, weiß Gott, das erste Mal, daß ein Pfaff sie verschmähte.

Derweile lächelte der verschmitzte Rothut und vermeinte, nun blühe sein Weizen erst recht. Stracks ging er den Bischof an: »Ach, liebwertester Gevatter, wie ich mich freue, diesen Nichtsnutz verjagt zu haben und nun eure Gesellschaft genießen zu können. Wahrlich, der Bursch war der holden Frau nicht wert und zudem – wie leicht hätte er den Tod ins Haus bringen können …« »Was?? Wieso?!« »Aber er ist doch der Schreiber des Erzbischofes von Bordeaux, der sich heute früh die Pest …« Des Bischofs Mund sperrte, als sollte er einen Käse schlucken: »Woher wißt Ihr?«

»Tja –« meinte jener, und ergriff des biedern Deutschen Hand, »ich habe ihm doch die legte Wegzehrung gegeben und nun schwebt der Heilige dem Paradiese zu.« Schon zeigte der Bischof, daß Fettwänste auch mal springen können wie Gummibälle: hups, war er zur Tür hinaus und ohne Adieu kugelte er bereits angstschwitzend, schnaufend und totenbleich die Stiege hinab. Als er durchs Tor auf die Straße rollte, hub der Herre von Ragusa gewaltiglich an zu lachen: »Na, mein Püppchen, bin ichs nicht wert, Papst, und mehr noch – heut Nacht dein Schatz zu werden?« Und da er Imperia bedrückt sah, trat er herzu, um sie schmeichlerisch zu umhalsen und bezärteln, was ja die Herren Kardinäle besser verstehen als jeder andere.

Doch sie entwich und giftete: »Hah, du toller Narr, du willst also meinen Tod! … dir geilem Bock geht das Vergnügen über alles, und was aus mir wird, schert dich nicht?! Pack dich mit deiner Pest fort, rühr‘ mich nicht an, oder ich laß dich diesen Dolch kosten!« Und damit zückte sie ein zierliches Stilett, mit dem sie, für alle Notfälle gewappnet, gar wohl umzugehen verstand.

»Aber mein Herzenstäubchen,« entgegnete er lachend, »merkst du denn nicht den Braten?.. Wie wäre ich denn anders den alten Bullen aus Chur losgeworden?!« »Schon gut, ich werde ja sehen, ob Ihr mich liebt. Trollt Euch auf der Stelle! Ich kenne Euch: habt Ihr die Pest im Leibe, dann macht Euch mein Tod auch keine Sorge mehr. Mir aber geht mein Leib und Eigen über alles. Geht, und hat Euch der Sensenmann inzwischen nicht erwischt, dann könnt Ihr ja morgen wiederkommen.«

»Imperia!« rief der Kardinal und warf sich ihr zu Füßen, »Du holde Heilige, verspotte mich nicht!« »Nein –,« erwiderte sie, »mit heiligen und geweihten Dingen treibe ich auch keinen Spott.« »Hah, verdammte Vettel! Exkommunizieren werde ich dich – morgen! Satansbraten! – ach, du Holde, Feinsliebchen … Willst an mein ganzes Geld … einen Splitter vom heiligen Kreuz?.. Hexe, umgarnt hast du mich! Auf den Scheiterhaufen mit dir!.. Süßes, zieres Täubchen!.. Den schönsten Platz im Himmel schaffe ich dir!.. Wie? Was?.. Du willst nicht?! Dann zum Henker mit dir, du Hexe!!« Und er schäumte vor geiler Wut. »Ihr werdet überschnappen,« spottete sie, »geht lieber heim!« – »Wenn ich Papst werde …« – »Werdet Ihr mir auch gehorchen müssen, jawohl!« – »Und was soll ich heut Abend tun, um dir zu gefallen?« – »Verduften …«

Und damit schlüpfte sie hurtig wie eine Bachstelze in ihre Kammer, schob flink den Riegel vor und ließ den Kardinal draußen wettern, bis er es satt bekam und abschob. Und als die Schöne dann einsam ohne ihr Pfäfflein vor dem Kamin hockte, da zerriß sie grimmig ihre güldenen Kettlein und murmelte: »Beim dreimaldoppeltgehörnten Teufel! Wenn mir der Bengel diese Kardinalssuppe eingebrockt und mich zudem noch angesteckt hat, ohne daß ich meine Luft über und über an ihm gestillt habe, dann will ich ihn vor meinem Tode noch lebend geschunden und zerstückt vor mir sehen. – Ach wehe!« Und diesmal waren ihre Tränen echt! – »Was für ein Jammerleben, – für ein bischen Glück rackst man wie ein Hund und gibt noch sein Seelenheil daran.« Und sie heulte wie ein Schloßhund … als sie mit einem Male hinter einem venezianischen Spiegel das Pfäfflein gewahrte, das gar verschmitzt hervorlugte.

»I du Prachtkerl, du frecher, zuckersüßer Frag!« rief sie. »Gibts denn in diesem heiligen, verliebten Konstanz noch einen zweiten Spitzbuben wie dich? Ach, komm, du Toller, du Zierer, Feiner, mein Herzensschatz, mein Wonneparadies! Laß mich deine Äuglein trinken, dich schlecken und vor Liebe fressen! Komm, kleiner Pfaff, ich will dich zum König, Kaiser, Papst – will dich glücklicher machen als alle zusammen!.. Zeig deine Glut, nun bin ich dein, nun sollst du bald Kardinal sein, und sollte ich mein Herzblut vergießen um dein Barett damit zu färben.«

Und mit glückzitternden Händen füllte sie des Bischofs güldenen Humpen mit griechischem Wein und bot ihn kniend ihrem Liebsten dar, sie, deren Füßlein die Fürsten der Welt inbrünstiger küßten als des Papstes Pantoffel. Aber das Pfäfflein blickte sie schweigend an mit liebesgieren Augen, also daß sie wonneschauernd hauchte: »Still Kleiner! Komm! … Greif zu!«

Quelle: Honoré de Balzac: Die drolligen Geschichten welchselbige der wohledle Herr von Balzac als Festtagsschmaus für alle Pantagruelskindlein in den Abteien der Touraine sammelte und ans Licht zog. Berlin [o.J.], S. 10-25.
Permalink:https://www.projekt-gutenberg.org/balzac/tolldr1/chap002.html (illustriert)


³ Die historischen Texte habe ich zur besseren Lesbarkeit „sachte“ an die gültige Rechtschreibung angepasst, historisch überholte Begriffe jedoch belassen. Zahlreiche historische Postkarten habe ich retuschiert, Flecken entfernt und einige farblich angepasst

Literatur und Film

Der historische, mittelalterliche Roman „Die Wanderhure“ und die Verfilmung des Romans spielen in weiten Teilen im Konstanz der 15.Jahrhunderts.

Literatur

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