Kempten – Sehenswertes, Geschichte, Sagen, Mythen und Gebräuche der Region. Das „etwas andere“ Portal: Links, Landkarten, historische Ansichtskarten, Fotos, Ausflugsziele …
Kempten ist eine kreisfreie Stadt im Regierungsbezirk Schwaben.

Kempten, Kupferstich von Gabriel Bodenehr 1720 – Detailansicht/Quelle: ➥ commons.wikimedia.org/KemptenGabrielBodenehr1720
Teilkapitel / Gliederung dieser Seite
- Allgemeines
- Geschichte
- Karten
- Fotos & Abbildungen
- Kunst, Kultur und Brauchtum
- Ausflüge und Sehenswertes
- Sagen, Mythen und Geschichten
- Die Burgruine Rabenschaichen
- Die Hildegardsquelle in Kempten
- Die Sage von Heinrich von Kempten
- Heinrich Findelkind von Kempten
- Heilig Kreuz bei Kempten
- Von der Georgsinsel bei Kempten
- Werner von Kalbsangst
- Wie die Kirche zu Ried bei Kempten ihren Ursprung genommen
- Wie Sancimon und Celebrand das Kloster zu Kempten gebauet
- Balladen und Gedichte
- Literatur
Allgemeines
➥ Internetauftritt der Stadt / Gemeinde
➥ Wikipediaeintrag
➥ Alemannische Wikipedia
➥ Wikisource: Historische Quellen und Schriften zu Kempten (Allgäu)
Geschichte
Historische Lexikoneinträge
Kempten (Meyers, 1907)
unmittelbare Stadt im baischen. Regierungsbezirk Schwaben, an der Iller, Knotenpunkt der Staatsbahnlinien München-Lindau, Kempten-Neuulm und Kempten-Pfronten, 694 m ü. M., hat eine evangelische und eine katholische Kirche, Schloss, ein schönes Rathaus, mehrere freie Plätze mit ausgedehnten, hübschen Anlagen (Stadtpark) und (1900) mit Garnison (ein Infanteriebataillon Nr. 20) 18,864 Einwohner, davon 3722 Evangelische und 68 Juden.
Die Industrie umfasst Baumwollspinnerei und-Weberei, Papier-, Holzstoff-, Maschinen-, Strumpfwaren-, Baumwollenzwirn-, Zündhölzer-, Holzleisten-, Pulver- etc. Fabrikation, Herstellung von mathematischen Instrumenten und Bierbrauerei; der Handel der Stadt, die Stapelplatz des Allgäus ist, wird durch eine Handelskammer und eine Reichsbanknebenstelle unterstützt. Kempten hat ein Gymnasium, Realschule, Institut der Englischen Fräulein, 2 Waisenhäuser und ist Sitz eines Landgerichts, Bezirksamts, Forstamts und einer Eisenbahnbetriebsdirektion. Die städtischen Behörden zählen 14 Magistratsmitglieder und 36 Gemeinde bevollmächtigte. Auf dem nahen Lindenberg wurden bedeutende Ausgrabungen römischer Altertümer vorgenommen.
Zum Landgerichtsbezirk Kempten gehören die 10 Amtsgerichte zu Füssen, Immenstadt, Kaufbeuren, Kempten, Lindau, Oberdorf, Obergünzburg, Schongau, Sonthofen und Weiler. – Kempten, das Cambodunum der Römer, bildete vormals zwei Städte, die Alt- und die Neustadt, die stets auf feindlichem Fuße miteinander standen. Die Altstadt (im Tal) ward seit 1289 Reichsstadt, trat 1331 dem Schwäbischen Städtebund bei und nahm 1527 die Reformation an; die höher gelegene Neu- oder Stiftsstadt war der Hauptort der gefürsteten Abtei Kempten. Die Äbte des vormaligen, 773 von Hildegard, der dritten Gemahlin Karls d. Großen, errichteten Benediktinerklosters waren seit 1360 Reichsfürsten. Im Dreißigjährigen Kriege fiel Kempten 1633 und 1634 in die Hände der Kaiserlichen, doch nahmen es 1646 die Schweden wieder ein. Am 13. Nov. 1703 ward es von den Franzosen erobert. Am 17. Sept. 1796 siegten hier die Österreicher über die Franzosen. 1803 kamen Stadt und Abtei an Bayern.
Quelle: Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 10. Leipzig 1907, S. 833-834. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20006884784
Kempten (Damen, 1836)
Bezirk im baierschen Oberdonaukreise, von 16 Quadrat Meilen, ehemals gefürstete Abtei, welche 1803 säkularisirt wurde. Die Hauptstadt gleiches Namens, an der Iller, mit 6500 Einwohnern, war bis 1801 freie Reichsstadt, hat eine schöne Stiftskirche, Schloss, Gymnasium, Bibliothek, Wasserleitung etc. In der Nähe hat man viele römische Altertümer aufgefunden. Der Handel der gewerbtätigen Bewohner nach der Schweiz und Italien ist lebhaft; die Industrie beschäftigt sich meist mit Fabrikation von Leinwand-, Woll- und Baumwollzeugen.
Das weibliche Geschlecht zeichnet sich hier durch ausnehmende Schönheit vor den Bewohnerinnen anderer baierscher Städte aus, auch hat die gesellige Bildung fast alle Gesellschaftskreise auf eine erfreuliche Weise durchdrungen.
Quelle: Damen Conversations Lexikon, Band 6. [o.O.] 1836, S. 117-118. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20001742817
Kempten (Pierer’s 1860)
1) Landgericht im baierischen Kreise Schwaben; 71/4 QM., 17,400 Einwohner;
2) Hauptstadt an der Iller, Anhaltepunkt der Süd-Nordbahn; besteht aus zwei Teilen, der Altstadt, ehemalige protestantische Reichsstadt, im Tal, und der Neu oder katholischen Stiftsstadt auf dem Berge; Schloss, Stiftskirche, Gymnasium, Landwirtschafts- u. Gewerbeschule, 2 Spitäler, Waisenhaus, Baumwollspinnerei, Maschinenpapier- u. Zündholzfabrik, Bierbrauereien; 8000 Einwohner. Dabei das Mineralbad Aich. Wappen der Reichsstadt: halb goldener, halb schwarzer Adler, mit blauem Schild auf der Brust, der ein silbernes K zeigte.
Kempten ist das Campidona od. Campodunum der Alten; im 8. Jahrhundert wurde hier eine Abtei errichtet, angeblich von Hildegard, dritter Gemahlin Karls des Großen. Zwischen Stadt und Abt waren fortwährend Händel; der Abt wurde 1360 vom Kaiser Karl IV. in den Reichsfürstenstand erhoben (der erste Fürstabt war Heinrich von Mittelberg) und schrieb sich später Herzog von Kempten. 1361 wurde die Stadt Reichsstadt. Hier 1460 Niederlage der Truppen des Abtes durch die den Städtischen zu Hilfe gekommenen Schweizer; 1527 wurde die Reformation eingeführt; 1535 schied Kempten aus dem Schwäbischen Bunde und trat zur Schmalkaldischen Einigung. Im Schmalkaldischen Kriege unterlag Kempten der katholischen Partei, wurde aber durch Kurfürst Moritz von Sachsen gerettet; und im Westfälischen Frieden wurde dem Fürstabt die Landeshoheit, der Stadt ihre Reichsunmittelbarkeit zugesichert; den 13. November 1703 von den Franzosen und Baiern erobert; 17. September 1796 Treffen zwischen den Österreichern und Franzosen, Erstere Sieger; 1802 kam Abtei und Stadt an Baiern; jene hatte ein Gebiet von fast 20 QM. und 42,000 Einwohner, diese 3200 Einwohner
Quelle: Pierer’s Universal-Lexikon, Band 9. Altenburg 1860, S. 426-427. Permalink:http://www.zeno.org/nid/20010227342
Ortsbeschreibung von Merian
➥ https://de.wikisource.org/wiki/Topographia_Sueviae:_Kempten
Karten
➥ Luftlinie-org berechnet die Luftlinienentfernung
sowie die Straßenentfernung zwischen zwei Orten und stellt beide auf der Landkarte dar. Startort ist Kempten, den Zielort müssen Sie noch wählen. Voreingetragen ist ➥ Bisoro in Burundi
Karte eingebunden aus OpenStreetMap – Veröffentlicht unter ODbL
Fotos & Abbildungen
➥ Bildersammlung auf Wikimedia-Commons
➥ Infos und Fotos auf Pinterest
➥ Filme in der ARD-Retro-Mediathek (Filmbeiträge der 60er-Jahre)
Historische Ansichtskarten
Kunst, Kultur und Brauchtum
➥ Kultur und Sehenswürdigkeiten (Wikipedia)
➥ Abbildungen auf ‚Bildindex‘
➥ Bilder auf ‚Google-Art‘
➥ Kempten auf ‚Zeno-Org‘
➥ Suchfunktion nutzen für Kempten auf leo-bw.de
(Karten, Archivmaterialien und Luftaufnahmen vom Landesarchiv Baden-Württemberg)
➥ Alphabetisch sortiertes Verzeichnis auf www.kloester-bw.de
Beschreibungen vom Landesarchiv Baden-Württemberg
Ausflüge und Sehenswertes
➥ Wikivoyage – Projekt der Wikimedia
➥ Wikitravel – der freie Reiseführer
Webcams
➥ Webcams in Kempten und Umgebung
Nachbargemeinden
➥ angrenzende Städte und Gemeinden (aus Wikipedia)
Teilgemeinden und Ortschaften
➥ Ortschaften und Wohnplätze von Kempten (aus Wikipedia)
Sagen, Mythen und Geschichten
Die Burgruine Rabenschaichen
Wenn man auf der Straße von Kempten nach Memmingen das Dorf Hirschdorf hinter sich hat, sieht man, etwa eine Viertelstunde unterhalb dieses Dorfes, links neben der Straße am nahen Waldsaume, die Ruinen einer zerfallenen Burg, über welche junge Birken und Tannen emporragen. Daneben steht ein Weiler, von mehreren zerstreuten Häusern gebildet, welches bis auf den heutigen Tag den Namen von dieser Burg »Rabenschaichen« trägt. Hier hauste in alten Zeiten ein gar ungebärtiger Ritter, der Schrecken der ganzen Gegend.
Zogen die Ulmer Kaufleute mit ihren Waren aus Welschland des Weges fürbaß, da lauerte Kuno mit seinen wilden Gesellen im Gehölze, plünderte die Reisigen oder ließ sich das Weiterziehen mit blankem Golde bezahlen. Seine Grundholden bedrückte er auf alle Weise; kam ein Bettler an die Schlosspforte, so hetzte er seine zottigen Rüden nach ihm und sah mit Hohngelächter zu, wenn sie ihn recht übel zurichteten. Das unrecht aufgehäufte Gut ward dann in schwelgerischen Gelagen verschwendet, wobei die geraubten Weinfässer, wenn sie ihres feurigen Inhaltes entleert waren, unter dem Gejauchze der Zechenden in den Burggraben hinabgerollt wurden.
So trieb er das wilde Raubhandwerk viele Jahre, fragte nichts nach Gott und nach den Menschen und so kühne Abenteuer er auch unternahm, immer kehrte er siegreich von jedem Strauße heim, sodass es allum hieß: »Ritter Kuno hat seine Seele dem Teufel verschrieben, drum richtet Keiner etwas mit ihm aus!« – Plötzlich stirbt er um die Mitternachtsstunde, von einem blutigen Raube heimgekehrt. Seine Gesellen tragen den Leichnam in das oberste Gemach, von dessen Söller Kuno auf die an der nahen Straße Vorüberziehenden Späße zu halten pflegte. Indes sie im Erdgeschosse über der Teilung der angehäuften Schätze hadern und lärmen, erschallt plötzlich um die Zinne der Burg ein kreischendes Gekrächze einer Schar Raben, welche bald durch die geöffneten Fenster in das Totengemach hineinfliegen und mit wütendem Geschrei das Antlitz des Verstorbenen zerfleischen.
Die Totenwächter vermochten sie erst zu verscheuchen, als von dem vollstrotzenden Gesichte nur mehr die nackten Knochen aus dem Leichentuche hervorgrinsten. Die Zechenden im Hofe ergriff kalter Graus; sie ahnten Gottes Strafgerichte, verteilten die geraubten Güter unter die Armen oder vergaben sie an Kirchen und überlieferten das Raubnest den Flammen, welche es bis auf das Erdgeschoss verzehrten, das noch heute in seinen Trümmern die Erinnerung an diese Sage aufbewahrt in seinem Namen »Rabenschaichen.«
Quelle: Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 36-37. Permalink: http://www.zeno.org/nid/200056721
Vermutlich handelt es sich um die Burgruine Rappenscheuchen https://www.alleburgen.de/bd.php?id=1537 https://de.wikipedia.org/wiki/Rappenscheuchen, Koordinaten: (47.769607°,10.286762°)
Die Hildegardsquelle in Kempten
Die Sage weiß vieles von der Kaiserin Hildegard und deren Gemahl, dem Kaiser Karl dem Großen, und ihrem Aufenthalte auf der Burg zu Kempten zu erzählen. Auch die Auffindung einer Quelle, die der Kaiserin Namen trägt und wegen ihres trefflichen Trinkwassers sehr geschätzt ist, wird der Kaiserin zugeschrieben.
Als nämlich Karl in Rom beim Papste weilte, wurde eben ein herrliches Kirchenfest gefeiert, an dem auf wunderbare Weise die Unschuld der Kaiserin Hildegarde ans Tageslicht kam, die auf Verleumdung Taland’s vordem vom Kaiser war verstoßen worden. Nachdem die beiden Gatten unter dem Jubel der Menge sich gefunden und die Festlichkeit vorüber war, schickte sich der Kaiser an, mit seiner Gemahlin und seinem großen Gefolge wieder in die deutsche Heimat zurückzukehren. Auch der Ort Kempten sollte berührt werden, für dessen neues Kloster Hildegard viele Heiltümer und Geschenke des Papstes mit sich führte.
Als der reisige Zug mit all dem Tross und zahlreichem Gefolge auf staubigen Wegen bei sengender Hitze gen Kempten herangezogen kam, war allenthalben Klage über Wassermangel. Da wies die Kaiserin Hildegard, als Naturkundige im Volke hochangesehen und durch früheren Aufenthalt mit der Gegend vertraut, nicht ferne von der Stadt, wo der Zug Rast hielt, auf eine reiche Quelle, die frisch und klar einem nahen Hügel entsprang. Hier wurden nun alle, Menschen und Tiere, von der Quelle erquickt und ersattet, wie in alten Schriften geschrieben steht, und noch heute fließt diese „Hildegardis-Quelle“ an dem Orte, der ehedem der Schwaighof hieß, jetzt aber als Schwaighausen einen Vorort der Stadt Kempten bildet.
Fußnote: *Um die alte Sage aber der Vergessenheit zu entrücken, ward in neuerer Zeit bei der Quelle, die neu gefasst und mit schattigen Anlagen umgeben wurde, das Bildnis der Kaiserin und eine Inschrift angebracht.
Quelle: Reiser: Sagen, Gebräuche und Sprichwörter des Allgäus, Kempten, 1895, Nr. 544, S.448 ff. Link: https://www.google.de/books/edition/Sagen_gebräuche_und_sprichwörter_des_A/yNwNAQAAIAAJ
Die Sage von Heinrich von Kempten
Kaiser Otto der Große wurde in allen Landen gefürchtet und war strenge und ohne Milde und trug einen schönen roten Bart; was er bei diesem Barte schwur, machte er wahr und unabwendlich. Nun geschah es, dass er zu Babenberg (Bamberg) eine prächtige Hofhaltung hielt, zu welcher geistliche und weltliche Fürsten des Reiches in großer Zahl kommen mussten. Ostermorgens zog der Kaiser mit allen diesen Fürsten in das Münster, um die feierliche Messe zu hören, unterdessen in der Burg zu dem Gastmahl die Tische bereitet wurden; man legte Brot und setzte schöne Trinkgefäße ringsum. An des Kaisers Hof diente aber dazumal auch ein edler und vornehmer Knabe; sein Vater war Herzog in Schwaben und hatte nur diesen einzigen Erben.
Dieser schöne Jüngling kam von ungefähr vor die Tische gegangen, griff nach einem linden Brot mit seinen zarten, weißen Händen, nahm es auf und wollte essen, wie alle Kinder sind, die gerne in hübsche Sachen beißen, wonach ihnen der Wille steht. Wie er nun ein Teil des weißen Brotes abbrach, ging da mit seinem Stabe des Kaisers Truchsess, welcher die Aufsicht über die Tafel haben sollte; der schlug zornig den Knaben aufs Haupt, so hart und ungefüge, dass ihm Haar und Haupt blutig ward. Das Kind fiel nieder und weinte heiße Tränen, dass der Truchsess gewagt hätte, es zu schlagen. Das ersah ein auserwählter Held, genannt Heinrich von Kempten, der war mit dem Kinde aus Schwaben gekommen und dessen Zuchtmeister; heftig verdroß es ihn, dass man das zarte Kind so unbarmherzig geschlagen hatte, und fuhr den Truchsessen, seiner Unzucht wegen, mit harten Worten an. Der Truchsess sagte, dass er kraft seines Amtes allen ungefügten Schälken am Hofe mit seinem Stabe wehren dürfe. Da nahm Herr Heinrich einen großen Knüttel und spaltete des Truchsessen Schädel, dass er wie ein Ei zerbrach und der Mann tot zu Boden sank.
Unterdessen hatten die Herren Gott gedient und gesungen und kehrten zurück; da sah der Kaiser den blutigen Estrich, fragte und vernahm, was sich zugetragen hatte. Heinrich von Kempten wurde auf der Stelle vorgefordert, und Otto, von tobendem Zorn entbrannt, rief: „Dass mein Truchsess hier erschlagen liegt, schwöre ich an Euch zu rächen; sam mir mein Bart!“ Als Heinrich von Kempten diesen teuren Eid ausgesprochen hörte und sah, dass es sein Leben galt, fasste er sich, sprang schnell auf den Kaiser los und begriff ihn bei dem langen, roten Barte. Damit schwang er ihn plötzlich auf die Tafel, dass die kaiserliche Krone von Ottos Haupte in den Saal fiel; und zuckte – als die Fürsten, den Kaiser von diesem wütenden Menschen zu befreien, herzusprangen – sein Messer, indem er laut ausrief: „Keiner rühre mich an, oder der Kaiser liegt tot hier!“ Alle traten hinter sich, Otto, mit großer Not winkte es ihnen zu; der unverzagte Heinrich aber sprach: „Kaiser, wollt Ihr das Leben haben, so tut mir Sicherheit, dass ich genese!“ Der Kaiser, der das Messer an seiner Kehle stehen sah, bot alsbald die Finger in die Höhe und gelobte dem edlen Ritter bei kaiserlichen Ehren, dass ihm das Leben geschenkt sein solle.
Heinrich, sobald er diese Gewissheit hatte, ließ er den roten Bart aus seiner Hand und den Kaiser aufstehen. Dieser setzte sich aber ungezögert auf den königlichen Stuhl, strich sich den
Bart und redete in diesen Worten: „Ritter, Leib und Leben habe ich Euch zugesagt; damit fahrt Eurer Wege, hütet Euch aber vor meinen Augen, dass sie Euch nimmer wieder sehn, und räumt mir Hof und Land! Ihr seid mir zu schwer zum Hofgesind, und mein Bart müsse immerdar Euer Schermesser meiden!“ Da nahm Heinrich von allen Rittern und Bekannten Urlob und zog gen Schwaben auf sein Land und Feld, das er vom Stifte zu Lehen trug; lebte einsam und in Ehren.
Danach über zehn Jahre begab es sich, dass Kaiser Otto einen schweren Krieg führte, jenseits des Gebirges, und vor einer festen Stadt lag. Da wurde er nothaft an Leuten und Mannen und sandte heraus nach deutschen Landen: Wer ein Lehn von dem Reiche trage, solle ihm schnell zu Hilfe eilen, bei Verlust des Lebens und seines Dienstes. Nun kam auch ein Bote zu dem Abt nach Kempten, ihn auf die Fahrt zu mahnen. Der Abt besandte wiederum seine Dienstleute und forderte Herrn Heinrich, als dessen er vor allem bedürftig war. „Ach, edler Herr, was wollt Ihr tun?“ – antwortete der Ritter – „Ihr wisst doch, dass ich des Kaisers Huld verwirkt habe; lieber geb ich Euch meine zwei Söhne hin und lasse sie mit Euch ziehen.“ „Ihr aber seid mir nötiger als sie beide zusammen“ – sprach der Abt – „ich darf Euch nicht von diesem Zuge entbinden, oder ich leihe Euer Land andern, die es besser zu verdienen wissen.“ „Traun“ – antwortete der edle Ritter – „ist dem so, dass Land und Ehre auf dem Spiel stehen, so will ich Euer Gebot leisten; es komme, was da wolle, und des Kaisers Drohung möge über mich ergehen.“
Hiermit rüstete sich Heinrich zu dem Heerzug und kam bald nach Wälschland¹ zu der Stadt, wo die Deutschen lagen; jedoch barg er sich vor des Kaisers Antlitz und floh ihn. Sein Zelt ließ er ein wenig seitwärts vom Heere schlagen. Eines Tages lag er da und badete in einem Zuber und konnte aus dem Bad in die Gegend schauen. Da sah er einen Haufen Bürger aus der belagerten Stadt kommen und den Kaiser dagegen reiten zu einem Gespräch, das zwischen beiden Teilen verabredet worden war. Die treulosen Bürger hatten aber diese List ersonnen; denn als der Kaiser ohne Waffen und arglos zu ihnen ritt, hielten sie gerüstete Mannschaft im Hinterhalte und überfielen den Herrn mit frechen Händen, dass sie ihn fingen und schlügen. Als Herr Heinrich diesen Treubruch und Mord geschehen sah, ließ er Baden und Waschen, sprang aus dem Zuber, nahm den Schild mit der einen und sein Schwert mit der andern Hand und lief bloß und nackend nach dem Gemenge zu. Kühn schlug er unter die Feinde, tötete und verwundete eine große Menge und machte sie alle flüchtig. Darauf löste er den Kaiser seiner Bande und lief schnell zurück, legte sich in den Zuber und badete nach wie vor. Otto, als er zu seinem Heer wieder gelangte, wollte erkundigen, wer sein unbekannter Retter gewesen wäre; zornig saß er im Zelt auf seinem Stuhl und sprach: „Ich war verraten, wo mir nicht zwei ritterliche Hände geholfen hätten; wer aber den nackten Mann erkennt, führe ihn vor mich her, dass er reichen Lohn und meine Huld empfange: kein kühnerer Held lebt hier noch anderswo.“
Nun wussten wohl einige, dass es Heinrich von Kempten gewesen war; doch fürchteten sie, den Namen dessen auszusprechen, dem der Kaiser den Tod geschworen hatte. „Mit dem Ritter“ – antworteten sie – „steht es so, dass schwere Ungnade auf ihm lastet; möchte er deine Huld wieder gewinnen, so ließen wir ihn vor dir sehen.“ Da nun der Kaiser sprach: „Und wenn er ihm gleich seinen Vater erschlagen hätte, solle ihm vergeben sein“, nannten sie ihm Heinrich von Kempten. Otto befahl, dass er alsobald herbeigebracht würde; er wollte ihn aber erschrecken und übel empfahlen.
Als Heinrich von Kempten hereingeführt war, gebärdete der Kaiser sich zornig und sprach: „Wie getrauet Ihr mir unter Augen zu treten? Ihr wisst doch wohl, warum ich Euer Feind bin, der Ihr meinen Bart gerauft und ohne Schermesser geschoren habt, dass er noch ohne Locke steht. Welch hochfärtiger Übermut hat Euch jetzt daher geführt?“ „Gnade, Herr“ – sprach der kühne Degen – „ich kam gezwungen hierher, und mein Fürst, der hier steht, gebot es bei seinen Hulden. Gott sei mein Zeuge, wie ungern ich diese Fahrt getan; aber meinen Diensteid musste ich lösen. Wer mir das übel nimmt, dem lohne ich so, dass er sein letztes Wort gesprochen hat.“ Da begann Otto zu lachen: „Seid mir tausendmal willkommen, Ihr auserwählter Held! Mein Leben habt Ihr gerettet; das musste ich ohne Eure Hilfe verloren haben, seliger Mann.“ So sprang er auf, küsste ihm Augen und Wangen. Ihr zweier Feindschaft war dahin und eine lautere Sühne gemachet; der hochgeborne Kaiser lieh und gab ihm großen Reichtum und brachte ihn zu Ehren, deret man noch gedenket. Quelle: Reiser: Sagen, Gebräuche und Sprichwörter des Allgäus, Kempten, 1895, Nr. 544, S.448 ff. https://www.google.de/books/edition/Sagen_gebräuche_und_sprichwörter_des_A/yNwNAQAAIAAJ
Anmerkung: Reiser gibt als Quelle „Grimm, Deutsche Sagen“ an
Heinrich Findelkind von Kempten
Der Mayr von Kempten, von seinem Abte geliebt und durch diese Gunst, durch rastlosen Fleiß und Segen von Oben bereichert, hatte neun Söhne. Dazu wurde ihm ein zehnter Knabe bei Nachtszeit vor die Thüre seines Hauses gelegt. Die Hausfrau und Ehewirthin murrte: es seien der Kinder ohnehin schon genug. Aber der Hausherr erbarmte sich des armen Wurmes, seiner schönen Gestalt und rührenden Unschuld und so hatte er nun zehn Kinder und zog sie alle glücklich auf.
Aber er hatte Bürgschaft getan für einen Freund, dem war das Glück untreu. Betrüger brachten ihn um einen großen Teil des Seinigen. Meeresstürme begruben mehrere seiner Schiffe in den Abgrund. – »Bürger muss man würgen,« – sagt ein altes, aber nicht gutes Sprichwort und so erging es auch dem armen Mayr von Kempten. Er verdarb gänzlich. Mit sich und der Welt zerfallen, wurde der fröhliche Mann ein Menschenfeind und selbst den eigenen Kindern abhold. Er schlug sie und trieb sie aus dem Hause, dass sie dienten und ihm aus dem Brot kamen.
Der zehnte, der arme Heinrich Findelkind, war am schlimmsten daran. Aber er lief doch lieber in die unbekannte große, weite Welt hinaus, als dass er sich zu Hause totschlagen ließ. Da fanden an der Heerstraße zwei Priester, die nach Rom zogen, den weinenden Knaben, trösteten ihn, gaben ihm Brot; mit ihnen ging er über den Arlberg. Drüben wohnte ein rauher und streitbarer, aber frommer Ritter. Man hieß ihn nur den Jackl über Rhein. Der gab den Priestern reichlich Almosen und fragte: »Wo wollt Ihr mit dem Knaben hin?« Sie erwiederten: »Er ist zu uns gelaufen auf dem Feld.« Darauf der Ritter: »Laßt ihn mir, dass er meine Schweine hüte.«
Die Priester antworteten: »Er kann tun, was er will,« und Heinrich Findelkind wurde Knecht und Schweinehirt beim Jackl über Rhein, erhielt des Jahrs zwei Gulden Lohn, ging fleißig jeden Sonntag mit dem Ritter in die Kirche und trug ihm das Schwert nach. Wie sie da, dem fernen Geläute nach, den Berg hinabsteigen, brachte man ihnen oft viele Leichen entgegen von unglücklichen Pilgern, die des Winters auf dem Arlberg in Schneegestöber oder unter Lawinen zu Grund gegangen. Raubvögel und Raben hatten ihnen die Augen ausgehackt, die Kehlen abgefressen und sie auf mannigfache Weise verunstaltet. Das erbarmte den Heinrich Findelkind so sehr, dass er bitterlich weinte und ein heiliger Eifer in ihn drang, solches Unglück zu verhüten.
In vollen zehn Jahren hatte er fünf Gulden in Allem ausgegeben und also noch fünfzehn Gulden übrig von seinem Verdienst mit dem Hirtenstab. Da trat er eines hohen Festtages vor die Kirchtüre mit dem Ausrufe: Ob jemand die fünfzehn Gulden nehmen wollte und damit einen Anfang machen auf dem Arlberge, dass die armen Pilger nicht also verdürben. Aber die Leute lachten vielmehr des törichten Beginnens eines Betteljungen und niemand wollte die erste Hand anlegen.
Da rief Heinrich Findelkind von Kempten zu Gott dem Allmächtigen und zu St. Christoph dem starken Nothhelfer und rettete gleich den ersten Winter sieben Menschen das Leben und ein paar Jahre darauf über fünfzig Menschen. Darauf stiftete er eine eigene Bruderschaft St. Christophs auf dem Arlberg und zog für diese edle Bruderschaft bettelnd durch alle Länder und erhielt reiche Gaben. Die Kirchenfürsten von Salzburg, Chiemsee, Freising, Passau, Regensburg, Augsburg und Würzburg gaben ihm reichen Ablass. Das Bruderschaftsbuch nennt unter den vorzüglichsten Wohltätern der Stiftung unter andern auch die Landgrafen von Leuchtenberg und Grafen von Montfort und Ortenburg und viele andere Ritter. Herzog Leopold der Stolze von Oesterreich bezeigte im Dezember 1386, nachdem im Juli vorher sein Vater bei Sempach wider die verachteten und verspotteten Schweizerbauern mit dem Kern seines stolzen Adels gefallen, es sei der arme Knecht Heinrich von Kempten, in seiner Jugend ein Findelkind, mit großer Andacht und Begierde vor ihn gekommen, dass er wollte gern ein Haus bauen auf dem Arlberg und in dieser Wildnis wohnen und sitzen, vorzüglich damit die armen Pilger und Kaufleute nicht ferner so elend zu Grunde gingen. Es seien ja viel gute Dinge angefangen worden von einfältigen Leuten. Darum befehle er allen seinen Hauptleuten und Richtern, ihn dabei zu schützen und zu schirmen. Des armen Hirtenknaben und Findelkindes von Kempten edles Werk begann und bestand durch mehrere Jahrhunderte. Es erhielt Tausenden das Leben und sicherte einen für den Handel wichtigen Straßenzug.
Quelle: Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 33-35. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20005667518
Heilig Kreuz bei Kempten
Von der Stadt Kempten drei Viertelstunden entfernt, liegt in nordwestlicher Richtung das ehemalige Franziskanerkloster „Heilig Kreuz“ genannt. Der Name rührt von einem daselbst im Jahre 1691 errichteten hölzernen Kreuze zum Andenken an nachfolgende Begebenheit:
Eine Frau wendete eben das Heu auf der Wiese, als sie plötzlich an ihren entblößten Füßen helles, klares Blut bemerkte, das aus der Erde quellend dieselben netzte. Hierüber ganz betroffen, rief die Frau ihren Ehemann sammt zwei Dienstmägden und einem Nachbar herbei. Sämmtliche Herbeigerufene sahen mit höchster Verwunderung an fünf verschiedenen Stellen der Wiese klares Blut aus dem Boden wallen. Diese Aufwallung erreichte die Höhe eines halben Schuhes und wurde von diesen Leuten über eine Viertelstunde andauernd gesehen. Die geistliche Obrigkeit ordnete bald darauf eine Untersuchung an, ob das Ganze nicht von natürlichen Ursachen herrühre. Beim Nachgraben fand man nichts als schwarze Mooserde und verfaultes Holz. Indessen wurde nun ein hölzernes Kreuz errichtet, bei welchem das Volk der Andacht pflegte und mancherlei Wunder geschahen, worauf nachmals Kirche und Kloster der Franziskaner errichtet worden.
Quelle: Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 467-468. Permalink: http://www.zeno.org/nid/2000567168X
Anmerkung: Es handelt sich um ➥ Kloster und Kirche Heiligkreuz im ➥ Ortsteil /Pfarrdorf Heiligkreuz von Kempten
Von der Georgsinsel bei Kempten
Etwa eine Stunde südlich der Stadt Kempten befindet sich unweit des Dorfes Kottern mitten im Flussbette der Iller eine felsige Insel, die Georgsinsel genannt, weil in alter Zeit eine Kapelle dort stand, die dem hl. Georg gewidmet war. Einen Teil der Felsen, welche die lange und schmale Insel bilden, hat man abgesprengt und dadurch die ursprüngliche Gestalt der nördlichen Seite zerstört, die ein Bild, wie man sich gewöhnlich die urweltlichen Drachen vorstellt – mit langem Hals, spitzem Schädel und mächtig großen Glotzaugen -, erkennen ließ.
Es ist ganz gewöhnlich, dass sich an solche Gebilde die Sage heftet. Sie erzählt, der hl. Georg habe hier einen Drachen, der die ganze Gegend unsicher machte, besiegt und in den Fluss geschleudert und dort in hartes Felsgestein verwandelt; denn, wird hinzugefügt, die Drachen von damals seien von hartlebiger Natur gewesen, denen weder das Schwert noch das Feuer oder Wasser etwas anhaben konnte, daher nur die Verkrustung und Umwandlung in hartes, totes Gestein die Gefahr einer Wiederbelebung ganz beseitigen konnte. Seitdem hatte das Land Ruhe und Friede.
Quelle: Reiser: Sagen, Gebräuche und Sprichwörter des Allgäus, Kempten, 1895, Nr. 544, S.448 ff. https://www.google.de/books/edition/Sagen_gebräuche_und_sprichwörter_des_A/yNwNAQAAIAAJ
Werner von Kalbsangst
Westlich von Kempten, in der Entfernung einer halben Stunde erhebt sich der wegen seiner Umsicht viel bestiegene Marienberg, auf welchem ehedem das Schloß Kalbsangst stand. Nach einer alten Handschrift des ersten Abtes Andegar († 2. November 796) des von der Kaiserin Hildegard gestifteten Klosters zu Kempten, existierte diese Burg schon um genannte Zeit. Während der letzten Jahre des Kampfes zwischen den Gegenkönigen Philipp und Otto soll eine große Unordnung in dem Kloster zu Kempten geherrscht haben. Während ein Ritter mit Namen Guido auf Hilarmont (Burghalde) als Vogt des Stiftes saß, verweilte der Abt Werner von Kalbsangst auf dem Schlosse gleichen Namens, achtete blutwenig auf die Regeln seines Ordens und überließ sich einem frivolen Leben. Als am Morgen eines Festtages der Abt zur Messe in’s Kloster nach Kempten hinab reiten wollte, fand man ihn tot in seinem Gemache. Nach der Sage sollen Raben mit feurigen Schnäbeln und Krallen den Leichnam zerrissen und durch die Lüfte entführt haben. Nach diesem räthselhaften Ableben soll es dann im Schlosse nicht mehr geheuer gewesen sein. Es blieb seitdem unbewohnt und zerfiel in Trümmer. Heutigen Tages sieht man nur mehr schwache Spuren vom Mauerwerk, dagegen noch ziemlich gut den Graben und den Weg, welcher dazu hinführte. Abt Werner war am 27. März 1208 gestorben. Sein Nachfolger in der Abtei war Wolfgang von Königsegg, welcher in Führung der Geschäfte große Klugheit bewies, aber das Stift nur zwei Jahre verwaltete.
Quelle: Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 21-22. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20005672074
Wie die Kirche zu Ried bei Kempten ihren Ursprung genommen
In der alten Kirche zu Ried befindet sich oberhalb des Hochaltares ein großes Kruzifixbild aus getriebenem Kupfer, inwendig hohl, von außen vergoldet. Dieses Bild wurde der Sage nach beim Ackern gefunden, sodann einem Joche Ochsen auf die Hörner gebunden und dabei das Gelöbnis getan, man wolle dort, wo die Tiere stehen bleiben würden, eine Kirche bauen. Die Ochsen standen auf der Anhöhe an der Iller still und sofort ward Hand an den Bau des Kirchleins gelegt und das Bild über dem Altare aufbewahrt. Dasselbe stand von Alters her in so großen Ehren, dass am Kreuzmittwoch alle Kreuze, die durch das Illertor in Kempten einzogen, warten mussten, bis das »Riederkreuz« angekommen war, welches sodann den Zug eröffnete. Man erzählt, die Fürstäbte von Kempten hätten dasselbe öfters aus der Kirche zu Ried fortgenommen und in ihrem Kloster aufbewahrt, allein es sei nirgends geblieben, sondern immer wieder nach Ried über den Hochaltar gekommen.
(Dies scheint sich noch neuerdings bestätigen zu sollen. Von Räuberhänden gestohlen wurde das Kreuz im Walde bei Wiggensbach wieder gefunden und an seinen Heimatsort zurückgebracht. S. Verhandlungen des Schwurgerichts von Schwaben und Neuburg Sept. 1852.)
Quelle: Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 208-209. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20005679133
Wie Sancimon und Celebrand das Kloster zu Kempten gebauet
Der erste Stein des fürstlichen Klosters Kempten ist von Rolando, so dazumal aus den Franzosen der stärkste soll gewesen sein, im Beisein vieler Fürsten und Herren mit großer Majestät gelegt worden. Zu Verfertigung des ganzen Gebäues aber hat Hildegardis zwei an Größe und Stärke unvergleichliche Riesen gebraucht, Sancimon und Celebrand mit Namen, welche so viel Stein und Mörtel alltäglich herzugetragen haben als sechzehn gemeine Taglöhner hätten ausrichten können; waren aber dabei dermaßen gefräßige Leut, dass sich jedermann mit Lachen über sie verwundert, da sie wie andere Herkules ganze Ochsen hinweggefressen. Einer derselben, Celebrand, ist nach dem Tode der Stifterin nach Welschland gekommen, Sancimon aber zu Kempten gestorben und mitten in des Klosters Kirche begraben worden.
Karl August Reiser: „Sagen, Gebräuche und Sprichwörter des Allgäus. Aus dem munde des Volkes gesammelt von Dr. Karl Reiser“, Kempten, 1895, I.Band, Nr.543, S.448. Digitalisat: https://www.google.at/books/edition/_/SczGjV41q_sC
Balladen und Gedichte
Der Hahnenkampf zu Kempten
Der Kaiser Karol saß mit seinem Ehgemahl
Zu Kempten auf der Burg vergnügt im Speisesaal.
Sie sahn in guter Ruh mit wonnerfülltem Herzen
Der Prinzen frohes Spiel und jugendliches Scherzen.
Da trat des Spielens satt der älteste, Pipin
Mit diesem Worte schnell zu Hildegardis hin:
Sag‘ Mutter: »kommt einmal der Vater in den Himmel:
Nicht wahr, als König sitz ich dann auf seinem Schimmel?«
Da sprang der Bruder Karl sogleich herfür und sprach:
»Auch ich will König sein, ich geh nicht hintennach!«
Zuletzt kam Ludewig, der jüngste von den Knaben:
»Nicht wahr, lieb Mütterchen, die Krone werd‘ ich haben?«
Da sprach Frau Hildegard: »Ei Kinder, hört mich an:
Ein jedes geht hinaus und holt sich einen Hahn;
Die kämpfen dann für euch und wessen Hahn der Meister:
Des Frankenreiches Herr und deutscher König heißt er!«
Die Knaben hatten bald die Hähne bei der Hand,
Im Augenblicke war der heiße Kampf entbrannt.
Vergebens wehrten sich Pipins und Karols Krieger,
Am Ende blieb der Hahn des kleinen Ludwig Sieger.
Und der als König so zu Kempten ging davon,
Bestieg als König auch des Frankenreiches Thron.
Quelle: Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 29-30. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20005667488
Die Kemptermeise
Von J.B.Tafrathshofer
In einem Städtlein wohlbekannt
In unserm lieben Schwabenland
Entkam einst unbedachter Weise
Des Bürgermeisters Lieblingsmeise.
Ob dieser Botschaft schreckensbleich,
Eilt er auf’s Rathaus alsogleich
Und schwöret dort in finsterm Grolle,
Dass sie ihm nicht entwischen solle.
Die Diener der Gerechtigkeit
Stehn vor der Thüre schon bereit
Und lauschen mit gespitzten Ohren,
Wozu »Sein Gnaden« sie erkoren.
»Auf! auf!« herrscht er mit grimmem Blick,
»Bringt meine Meise mir zurück;
Greift eilig zu den langen Spießen
Und laßt mir schnell die Tore schließen!«
Gesagt, gethan. Gewappnet eilt
Die Schaar der Wächter unverweilt,
Und jedes Thor, massiv geflügelt,
Wird fest verrammelt und verriegelt.
Dann fliegen sie wie atemlos
Durch alle Straßen klein und groß
Vom Stadtwirt wiederum zurücke
Hinunter bis zur Illerbrücke,
Und suchen alle Gärten aus,
Durchstöbern Keller, Dach und Haus;
Umsonst, sie waren all‘ betrogen:
Die Meise war davon geflogen.
Wen jammert nicht der arme Mann,
Dem all‘ sein Erdenglück zerrann?
Er fand kein Ende seiner Klage
Und starb gerührt vom Nervenschlage.
Von diesem klugen Torverschluß
Heißt man noch jeden Pfiffikus,
Der weiser ist, als andre Weise,
In Schwaben eine »Kemptermeise.«
Quelle: Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 22-23. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20005672082
Heinrich Findelkind
Von J.G.Seidl
Einst fand der Mayr von Kempten
Ein Kindlein vor der Tür. –
»Hab‘,« spricht er, »neun im Hause,
Bleibst du als zehntes hier!
Verdarb von Bürgschaft wegen
Zwar längst an Gut und Geld,
Wills tun um Gottes Segen,
Nicht um den Dank der Welt.«
Das Kindlein wächst zum Knaben,
Heißt Heinrich Findelkind
Isst, wenn die neun was essen,
Darbt, wenn sie hungrig sind.
Einst sprach der Mayr: »Ihr Jungen,
Halb schlag ich euch nun aus;
Ihr ältern Fünf, – ihr gehet,
Und sucht euch fern ein Haus;
Ein Haus und gute Menschen,
Es gibt wohl beides noch;
Arbeitet, dient und betet,
Und tragt des Herren Joch.«
Der eine geht nach Süden,
Der andre zieht nach Nord,
Der Dritte schreitet nach Westen,
Nach Osten der Vierte fort.
Der Fünfte, der Heinrich, wandert,
So hin zwischen Berg und Strom,
Da kommt er zu zwei Mönchen,
Die pilgern gegen Rom.
»Wohin des Weges, du Knabe?« –
Er sieht sie an und spricht:
»Weiß es der Weg nicht besser,
So wissen wir’s beide nicht.«
Den Adlerberg schon klettern
Die drei hinan und hinab;
Da lassen in einer Hütte
Sie ruh’n den Wanderstab.
»Wo wollt ihr hin mit dem Knaben?« –
Spricht Jacklein, das war der Wirt.
»Wollt ihr bei mir ihn lassen,
Wohlan, so sei er mein Hirt.
Zwei Gulden hab‘ er im Jahre!« –
»›Was er tut, das ist gut!‹«
So ward der Heinrich Hirte,
Des hat er frohen Mut.
Zehn Jahre trieb er munter
Die Herde auf und ab,
Und dünkte sich ein König
Mit seinem Hirtenstab.
Und rief die Glock‘ am Sonntag
Den Wirt zur Messe wach,
Da ging er mit ihm zur Kirche,
Trug stolz das Schwert ihm nach.
Da brachte vom Adelsberge
Man oft in’s Tal viel Leut‘,
Die droben der böse Winter
In dunkler Nacht verschneit.
Und denen die Vögel die Augen
Wohl ausgegessen zum Fraß
Und abgebissen die Kehle;
Ein Anblick war’s, gar grass.
Das Herz im Leibe zuckte
Dem Heinrich vor Mitleid drob!
Er dachte: »Könnt‘ ich’s wenden,
Das brächte mir Gottes Lob.«
Er hat mit dem Hirtenstabe
Sich fünfzehn Gulden verdient.
»Wenn Gott will, wird es genügen!«
Dacht Heinrich Findelkind.
»Wenn Gott will, wird es genügen
Für Rettung aus Sturm und Not,
Dass nicht die Leute verderben
Bei Nacht und Winter im Tod.
Wie einer an mir sich erbarmte,
So will ich’s an andern auch!«
Er bettelt bei vielen Menschen,
Doch Geben ist seltner Brauch.
»So soll Gott,« spricht er, »mir helfen
Mit seiner mächtigen Hand!
So soll mir Sankt Christoph helfen,
Der Schirmer zu Wasser und Land!«
Mit seinen fünfzehn Gulden
Begann er’s im ersten Jahr;
Und sieben Menschenleben
Erkauft‘ er damit aus Gefahr.
Drauf zog er in’s biedre Deutschland,
Hat er manch‘ Herz erweicht;
Drauf zog er in’s reiche Böhmen,
Da war das Bitten leicht.
Drauf zog er in’s stolze Hungarn,
Da ärntet‘ er reichen Zoll,
Drauf zog er in’s wald’ge Polen,
Da ward sein Säckel voll.
Bald ist ein Bund gestiftet
Von Heinrich, dem Findelkind,
Ein Bund, des Glieder Grafen
Und Fürsten und Herzoge sind.
Schon preisen ihn fünfzig Pilger
Als Lebensretter laut;
Schon steht auf dem Adlerberge
Ein Pilgerhaus erbaut.
Schneereifen an den Füßen
Allabends geht er hinaus,
Und ruft mit seinen Knechten
Viermal in den Schnee hinaus.
Und meldet sich wo ein Verirrter,
Den tragen sie rettend hinein,
Dort mag er bis an den Morgen
Gewärmet und gespeiset sein.
Bald steht auch ein schmuckes Kirchlein
Hoch auf des Berges Rand,
Dem heiligen Christoph geweihet,
Dem Retter zu Wasser und Land.
Das sagt noch dem späten Enkel
Vom Heinrich Findelkind,
Wie stark auch kleine Kräfte
Bei großem Willen sind.
Das sagt noch dem späten Enkel:
»Schau nicht auf Gut und Geld,
Wer wohltut Gott zu Ehre,
Tut’s auch zum Dank der Welt!«
Quelle: Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 206-208. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20005679125
Heinrich von Kempten
Von Karl Simrock
Der erste der Ottonen
War ein gestrenger Mann.
Der Keinen pflag zu schonen,
Dem er in Zorn entbrann.
Hat er ihm Tod geschworen
Bei seinem roten Bart,
So war der Mann verloren,
Sein Blut ward nicht gespart.
Ich hab euch von dem Kaiser
Ein andermal erzählt,
Wie Gott zum Unterweiser
Den Kaufmann ihm erwählt,
Des Güt‘ ihn übergütet
Aus lauterm Herzensborn.
Nun hört, wie ihn behütet
Ein Ritter hat vor Zorn.
In Bamberg auf dem Schlosse
Der werte Kaiser lag,
Manch fürstlicher Genosse
Mit ihm am Ostertag.
Das erste Fest der Wonne
Beging er hochgemut
Daselbst die liebe Sonne
Drei Freudensprünge tut.
Im Münster ward gesungen
Ihm und der Fürsten viel,
Zur Andacht war erklungen
Orgel und Saitenspiel.
Derweil im Kaisersaale
Stand Tisch an Tisch gereiht,
Zum wonniglichen Mahle
Schon Salz und Brot bereit.
Auch sah man Trinkgefäße
rotgolden aufgestellt,
Dass bald der Kaiser säße
Davor und mancher Held.
Die Pfannen in der Küche,
Sie brieten all im Saus
Und köstliche Gerüche
Durchwirbelten das Haus.
Da kam der edeln Knaben
Neugierig einer her,
Sein Vater war von Schwaben
Ein Herzog hoch und hehr.
Da blühte seinem Erben
So zart das Angesicht,
Ein Rosenstrauch im Scherben
Treibt zartre Blüten nicht.
Von Tische ging zu Tische
Der feine Knabe jung,
Er sah nicht Fleisch noch Fische,
Doch mürbes Brot genung.
Nach einem Weck zu tasten
Begann das gute Kind,
Wie immer langem Fasten
Die Kleinen abhold sind.
Die Semmel brach der Knabe
In weißer Hand entzwei.
Da kam mit seinem Stabe
Der Truchsess auch herbei:
Als der den Junker essen
Sah seines Herren Brot,
Ihm schien die Tat vermessen
Und seiner Tischzucht Not.
Um Kleines sich ereifern
Misziemt dem jungen Mann:
Wie hässlich steht dem reifern
Erst eitler Jähzorn an!
Der Truchsess schwang den Stecken
Und traf des Knaben Haupt,
Dass er im ersten Schrecken
Hinsank des Sinns beraubt.
Der Schrecken war nicht eitel,
Vom Blute sah man rot
Des Knaben Stirn und Scheitel;
Das schuf noch große Not.
Die Augen aufgeschlagen
Hat er doch gleich zur Stund:
Er saß und gab die Klagen
Mit lautem Schluchzen kund.
Das sah ein edler Degen,
Heinrich der werte Held
Von Kempten, der zu pflegen
Den Knaben war bestellt.
Dass den so ohn‘ Erbarmen
Des Kaisers Truchsess schlug,
Das war ihm um den Armen
Im Herzen leid genug.
»Wie habt ihr nun gebrochen,
Herr Truchsess, eure Zucht?
Was habt ihr wohl gerochen
An dieser edeln Frucht?
Gar ohne sein Verschulden
Schlugt ihr den Herren mein.«
»Das mögt ihr schweigend dulden,«
Fiel ihm der Truchsess ein.
»Es ist wohl meines Amtes,
Halt ich den Unfug fern;
Ihr lobt es, ihr verdammt es,
Das hör ich eben gern.
Ich fürcht euch, wie die Falken
Sich ducken vor dem Huhn;
Und schlüg ich dreißig Schalken,
Was wollet ihr mir tun?«
»Das sollt ihr bald ermessen,
Ihr seid ein loser Wicht
Und aller Zucht vergessen;
Ich trag es länger nicht.
Dass ihr dies Kind zu bläuen
Gewagt, das edle Reis,
Das sollt ihr mir bereuen,
Wenn ich noch Knüttel weiß.«
Einen Prügel in der Hatze
Ergriff der Degen frei
Und schlug ihn, dass die Glatze
Ihm platzte wie ein Ei.
Gespalten wie ein Scherben
War Schädel ihm und Kopf,
Er tanzte noch im Sterben
Umkreisend wie ein Topf.
Von blutvermischtem Hirne
War all der Estrich rot,
Mit ausgehöhlter Stirne
Hinsank der Arme tot.
Da hub sich Weherufen:
Sie heulten und sie schrien,
Als vor des Saales Stufen
Der Kaiser jetzt erschien.
Da sah das Blut vergossen
Herr Ott und sprach erschreckt:
»Wes Blut ist hier geflossen,
Das meinen Saal befleckt?
Wen hat man mir erschlagen,
Den ihr beklagt so schwer?«
Da mussten sie ihm sagen,
Dass es sein Truchsess wär.
Der Kaiser rief ingrimmig:
»Wer übt so großen Mord?«
Sie sprachen all einstimmig:
»Von Kempten Heinrich dort.«
Der Kaiser rief: »Vollbrachte
Der solchen Gräuel hier
Ritt er zu früh, ich achte,
Von Schwabenland zu mir.
Bescheidet mir den Schächer
Her vor mein Angesicht,
Ich bin der Frevel Rächer;
Das wusst er wohl noch nicht.«
Da luden sie den Degen
Vor den erzürnten Herrn.
Der rief ihm laut entgegen
Als er ihn sah von fern:
»Wer hieß euch also schalten,
Dass hier mein Truchsess sank
Ins Blut, das Haupt zerspalten?
Das habt euch übeln Dank.
Der Frieden ist gebrochen
Hier in des Kaisers Saal,
Die Untat wird gerochen
An Haut und Haar zumal.«
»Nicht also,« rief von Schwaben
Der unverzagte Held,
»Es ward, der unbegraben
Hier liegt, mit Recht gefällt.
Er hatt‘ es wohl verschuldet
Mit eignem Friedensbruch:
Drum hört mich und geduldet
So lang euch mit dem Spruch.
Bei dem, der heut‘ zum Leben
Vom Tod erstanden ist
Am dritten Tag, zu geben
Geruht mir gleiche Frist.
Am heil’gen Ostertage
Versagt mir nicht die Huld,
So stell ich mich der Klage
Und büße meine Schuld.«
Da sprach aus grimmem Herzen
Der Kaiser unerfreut:
»Es litt des Todes Schmerzen
Hier auch mein Truchsess heut‘.
Es kam ihm nicht zu Gute
Der Tag noch dieser Ort:
Hier liegt er in dem Blute
Und du gestehst den Mord.
Ich habe dich begriffen,
Dein Richter auf der Tat,
Ein Anwalt käm mit Kniffen
Und Pfiffen hier zu spat.
Ich lache solcher Possen,
Bei meinem roten Bart!
Du hast sein Blut vergossen
Und deins wird nicht gespart.«
Da solchen Eid geschworen
Im Zorn des Kaisers Mund,
»Mein Leben ist verloren,«
Gedacht er, »hier zur Stund:
Was er bei seinem Barte
Verheißt, das muss geschehn.
Ich brech‘ ihn aus der Schwarte,
Sonst kann ich nicht entgehn.«
Er sprach: »Ich muss mich wehren,
Ihr hört wohl, dass es gilt:
Den Kaiser Sanftmut lehren,
Das ist mein bester Schild.«
Vor seinen Herrn geschwinde
Der schnelle Recke sprang,
Dem fasst‘ er ungelinde
Den Bart so rot und lang.
Er riss ihn bei dem langen
Wohl über einen Tisch,
Dass klirrend niedersprangen
Mit Braten oder Fisch
Die Schüsseln und die Häfen
Von Silber und von Gold,
Die Krone von den Schläfen
Dem Kaiser war gerollt.
Er lag auf seinem Herren
Und hielt ihn unter sich:
Das Raufen und das Zerren
Verstand er meisterlich.
Er brach ihm aus dem Kinne
Des roten Bartes viel:
Im kaiserlichen Sinne
Missfiel dem Herrn das Spiel.
Ein Messer lang gewachsen,
Dazu auch wohl gewetzt,
Als er dem edeln Sachsen,
Das an den Hals gesetzt,
Er rief: »Nun gib mir Bürgen,
Dass ich geborgen bin;
Mit Stechen oder Würgen
Fährt sonst dein Leben hin.
Du musst hier widersprechen
Dem Eid, den du getan,
Des Truchsess Tod zu rächen;
Wo nicht, den Tod empfahn.«
Er fasst‘ ihn um den Kragen
Und drückt‘ ihn also fest,
Er hätt‘ ihm vor den Tagen
Den Atem schier entpresst.
Die Fürsten und die Grafen
Sehn ihres Kaisers Not,
Wie seinen Zorn zu strafen
Mit Zorn ihm ward gedroht.
Sie laufen und sie dringen
Herbei wohl allzumal,
Dem Kaiser beizuspringen,
Zu wenden seine Qual.
Doch Heinrich rief: »Berühre
Mich Keiner: tät es wer,
Der Kaiser gleich erführe
Die Schärfe dieser Wehr.
Dem Ersten dann geschliffen
Wär sie, der näher kommt:
Herbei, mich angegriffen
Wem Leben nicht mehr frommt!«
Da däucht es alle weiser,
Sie mischten sich nicht drein;
Auch winkte viel der Kaiser
Sie sollten ruhig sein.
Der Kemptner rief: »Nun gebet
Mir Sicherheit alsbald,
Damit ihr länger lebet,
Ihr werdet sonst nicht alt.«
Das Weigern war vergebens:
Der Kaiser hob zum Eid
Drei Finger: seines Lebens
Gab er ihm Sicherheit.
Bei kaiserlichen Ehren
Gelobt‘ ihm auch sein Mund,
Dass er von dannen kehren
Ihn ließe wohl gesund.
Geborgen war sein Leben:
Den Kaiser Otto ließ
Der Ritter sich erheben,
Als er ihm das verhieß.
Er gab ihm frei die Kehle
Und seines Bartes Flachs;
Still, mit gedämpfter Seele
Stand auf der edle Sachs.
Zu seinem Hochsitz ging er
Dem Stuhl von reicher Art,
Mit dem Kamme seiner Finger
Strich er sich Haar und Bart.
Die Krone hob er wieder
Auf das gesalbte Haupt,
Saß auf dem Stuhle nieder
Und sprach, noch machtberaubt:
»Was ich euch zugestanden
Aus Zwang, es bleibt dabei,
Des Schwertes und der Banden
Lass ich den Schächer frei.
Doch fahret eurer Wege
Und kommt mir nimmermehr
Hinfort in mein Gehege
Ihr büßt es anders schwer.
Zu einem Ingesinde
Seid ihr mir doch zu dreist,
Mit Fäusten zu geschwinde,
Wie es sich nun erweist.
Und sollt es Wer nicht wissen,
Der sieht’s am Bart mir an,
Dass ich wohl füglich missen,
So schnellen Kräusler kann.
Mich mag ein Andrer scheren,
Das wisset ohne Scherz;
Eu’r Messer sonst in Ehren,
Nur braucht es anderwärts.
Ich mag es nicht erleiden:
Zu wohl ward ich gewahr,
Es kann gar unsanft schneiden
Den Kön’gen Haut und Haar.
Von dieser Tafelrunde
Seid ihr hinfort verbannt:
Ihr sollt zu dieser Stunde
Uns räumen Hof und Land.«
Alsbald von allen Mannen
Des Kaisers Urlaub nahm
Der Held und fuhr von dannen,
Froh, dass er so entkam.
Gen Schwaben kehrt er wieder,
Wo er ein Lehn besaß
Von einem Abte bieder,
Von Kempten, wie ich las.
Mit Wiesen und mit Feldern
Belieh ihn reich das Stift,
Mit Gütern und mit Geldern,
So sagt die alte Schrift.
Darauf nach manchem Jahre
Geschah’s und manchem Tag,
Dass der mit rotem Haare
Jenseits der Berge lag.
Vor einer starken Veste,
Die scharf zur Wehr ihm stand:
Das Heer der deutschen Gäste
Zerrann im welschen Land.
Da ließ er aller Enden
Kund tun im deutschen Reich,
Ihm sollten Hülfe senden
Die Fürsten alsogleich.
Die Lehn von ihm besäßen,
Die bat er und entbot,
Dass sie ihm nicht vergäßen
Des Beistands in der Not.
Der Boten Einer dräute
Von Kempten auch dem Abt,
Den manches Lehn erfreute
Vom Reich an ihn vergabt.
Die würden ihm genommen,
So er mit Ritterschaft
Nicht eifrig wär zu kommen
Und hülf aus aller Kraft.
Der Abt ließ seine Mannen
Entbieten unverweilt,
Dass männiglich von dannen
Zu ziehen wär beeilt.
Da sollte sich nicht sparen
Herr Heinrich auch, sein Mann,
Mit ihm nach Welschland fahren
Der ganzen Schaar voran.
Herr Heinrich sprach: »Ich wage
Mich vor den Kaiser nicht,
Der mir vor manchem Tage
Verbot sein Angesicht.
Bis ich mich ihm versöhne
Erlasset mir den Zug;
Zwei send ich meiner Söhne,
Die sind auch kühn genug.«
Da sprach der Abt: »Verzichten
Um eurer Kinder Streit
Will ich auf Euch mit Nichten,
Der mir viel nutzer seid.
Mich zwingt auf euch zu zählen
Die Not, es muss geschehn;
Wo nicht, ihr habt zu wählen,
Verwirkt ihr euer Lehn.«
Der Ritter sprach: »In Treuen,
Da ihr mir also droht,
Will ich den Zorn nicht scheuen
Des Kaisers, noch den Tod.
Eh Ihr mich mit Unhulden
Von Haus und Hof vertreibt,
Will ich das Schlimmste dulden,
Nur dass mein Lehn mir bleibt.«
Da zog der werte Degen
Gen Welschland mit dem Herrn;
Kühn war er und verwegen,
Hielt alle Furcht sich fern.
Nur barg er vor dem Kaiser
Sich um die alte Schuld:
Das Tat er als ein Weiser,
Da ihm gebrach die Huld.
Abseits war aufgeschlagen
Vom Heer des Ritters Zelt,
Darein ließ er sich tragen
Ein Bad, das nahm der Held.
Es war ihm sich zu stärken
Wohl Not nach langer Fahrt;
Im Zuber sollt er merken,
Was Niemand sonst gewahrt.
Der Kaiser wollte dingen
Mit denen aus der Stadt,
Ob sie sein Heer empfingen,
Des langen Streites satt.
Mit wenigem Geleite
Ritt er getrost dahin;
Zog er doch nicht zum Streite,
Auf Frieden stand sein Sinn.
Da hatten ihm die Argen
Auf Mein und Mord gedacht,
In einem Strauchwerk bargen
Sie sich mit Übermacht.
Und als der Kaiser nahte
Der Veste Wall und Tor,
Sie sprangen zum Verrate
Strauchdieben gleich hervor.
Dem kaiserlichen Manne
War alle Hilfe fern;
Herr Heinrich in der Wanne
Ersah die Not des Herrn.
Des Waschens und des Reibens
Gedacht er nicht erst lang,
Hier war nicht seines Bleibens,
Dem Bad er rasch entsprang.
Wie bald hat er ergriffen
Den guten Schildesrand,
Ein Waffen scharf geschliffen
Gerissen von der Wand.
So kam er hingelaufen
Zum Kaiser nackt und bloß
Und hieb ihn aus dem Haufen,
Wie stark der war und groß.
Er konnte wohl mit Streichen
Sich wehren also nackt.
So weit er mochte reichen
Fiel mancher Feind zerhackt.
Zu beiden Seiten schossen
Verräter in den Staub:
Die gerne Blut vergossen
Gab er dem Tod zum Raub.
Er nahm mit schnellen Hieben
Sie so in seine Zucht;
Die lieber leben blieben,
Die wandten sich zur Flucht.
Erledigt war Herr Otte
Und wusste nicht von Wem,
Ihm ward der Schächer Rotte
Nun nicht mehr unbequem.
Gleich lief auf seinem Pfade
Zurück der werte Held,
Er sehnte nach dem Bade
Sich wieder in sein Zelt.
Er schwang sich in den Zuber,
Ins Wasser, das noch warm;
So stille da gehub er
Als wild im Feindesschwarm.
Der Kaiser unterdessen
Kam zu der Fürsten Schaar;
Wie mocht er da vergessen
Des, der sein Retter war?
»Müsst ich sein Schuldner bleiben,
Das trüg ich ewig Scham,
Wie soll ich ihn beschreiben,
Der nackend helfen kam?
An hohem Wuchs und Stärke,
Wer wär dem Kühnen gleich?
Wer wär zum Kriegeswerke
So rasch im ganzen Reich?
Mein Herz ist ihm verpflichtet
Bis an den jüngsten Tag.
Wer ist, der mir berichtet,
Wo ich ihn finden mag?«
Nun war der Abt zugegen
Der wußte wohl Bescheid,
Sein Dienstmann sei der Degen,
Der seinen Herrn befreit.
Er sprach: »Ich könnt ihn bringen,
Der euch erlöset hat;
Doch erst mit euch zu dingen
Mahnt mich ein weiser Rat.
Auf seinem Rücken lastet
Von Alters schwere Schuld,
Dass ihr mit Recht ihn hasstet
Und ihm entzogt die Huld.
Wenn ihm nun Gnade würde,
Dass ihr ihn heute frei
Und ledig sprächt der Bürde,
Ich schafft ihn bald herbei.«
Er sprach: »Ihr dürft ihm sagen,
Er soll willkommen sein,
Und hätt er mir erschlagen
Den lieben Vater mein.
Bringt ihr ihn her zur Stelle,
Euch bürgt mein Kaiserwort,
Kein Freund und kein Geselle
Wird mir so wert hinfort.«
Der Abt von Kempten nannte
Den Namen unentstellt.
»Den ich einst von mir bannte,
Der kühne Schwabenheld,
Ist der ins Land gekommen,
Wie gern vernehm ich das!
Schon längst ist mir benommen
Auf ihn der alte Hass.
Ich dacht in meinem Sinne
Wohl oft: Wär Er bei mir,
Er hälf uns bald gewinnen
Die stolze Veste hier.
Dass er mich heut befreite,
Was hab ichs nicht erdacht?
Wer liefe nackt zum Streite
Wohl sonst mit Übermacht?
Kein Andrer dürft es wagen,
Als dessen starke Faust
In Kaisers Bart geschlagen
Mich hat gerauft, gezaust?
Dafür will ich ihn schrecken,
Wenn ihr ihn zu mir führt
Und ihn ein wenig necken,
Wie mir und ihm gebührt.«
Er hieß ihn eilends bringen,
Und als Herr Heinrich kam,
Er stellt in allen Dingen
Sich ihm von Herzen gram.
Er fuhr ihn an: »Nun saget,
Ist euch das Leben leid,
Dass ihr es töricht waget
Und hergekommen seid?
Ihr seid’s doch, der am Kinne
Mich ohne Messer schor;
Man wird’s am Wachstum inne
Noch heut, das sich verlor.
Mitsamt den Wurzeln risset
Ihr mir die Granen aus;
Ihr wart von Sinnen, wisset,
Sonst bliebet ihr zu Haus.«
»Gnade,« sprach der Degen,
»Genötigt ward ich her,
Mein Herr ist hier zugegen:
Der zwang mich in sein Heer.
Ich bin nicht gern gekommen,
Auf Ehr und Seligkeit!
Mein Lehn wär mir genommen,
Ritt ich nicht her zum Streit.«
Der Kaiser sprach mit Lachen:
»Ihr kühner Degen wert,
Ihr habt an diesen Sachen
Die Unschuld wohl bewährt.
Ich will auch fahren lassen
Auf solchen Mann den Groll,
Und den nicht länger hassen,
Den ich verehren soll.
Ich danke dir mein Leben,
Du edler Held erwählt,
Doch war dir längst vergeben,
Es sei dir nicht verhehlt.
Vom jähen Zorn, dem blinden,
Seit du mich hast geheilt,
Kein Urteil wieder finden
Sah man mich übereilt.
Du bist mich zu verpflichten
Stets bei mir eingekehrt:
Einst lehrtest du mich richten,
Heut‘ rettet mich dein Schwert.
Komm her und lass dir danken
Mit Kuss und Bruderschaft:
In dieser Arme Schranken
Sei deines Kerkers Haft.«
Er schloss den Degen bieder
Behend an seinen Mund,
Er küsst‘ ihm Stirn und Lider
Und Tat ihm Freundschaft kund.
Auch ließ er von der Seite
Nicht mehr den Vielgetreun,
Im Rat und auch im Streite
Wollt er sich sein erfreun.
Dies Lied hab ich gesungen,
Das einst ein Dichter sprach:
Und ist ihm baß gelungen,
Es bringt mir keine Schmach:
Konrad von Würzburg heißt er,
Der uns die Mär erhielt;
Er war ein guter Meister,
Den Ruhm hat er erzielt.
Bei Simrock: »Otto mit dem Barte.«
Quelle: Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 14-21. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20005672066
¹ Wälschland = Italien
Literatur
➥ Hier findet ihr Literatur zu Kempten
Der Link leitet zur Seite von Amazon. Dies ist für mich die einfachste und effektivste Art, auf Literatur hinzuweisen – denn dort finden sich Abbildungen, Preise und Rezensionen. Bestellen könnt ihr die Bücher dann beim lokalen Buchhandel 😉
Anmerkung: Es handelt sich beim Link um einen „Affiliate-Link“. Falls ihr nach dem Aufruf etwas bei Amazon bestellt, erhalte ich eine geringe Provision, mit der ein Teil der Server- und Websitekosten gedeckt werden kann.