Weingarten in Oberschwaben (ehemals Altdorf) – Sehenswertes, Geschichte, Sagen, Mythen und Volksglaube der Region. Das „etwas andere“ Portal. Links, Landkarten, historische Ansichtskarten, Fotos, Ausflugsziele …
Unterkapitel
Allgemeines
➥ Internetauftritt der Stadt / Gemeinde
➥ Wikipediaeintrag
➥ Alemannische Wikipedia
➥ Wikisource: Historische Quellen und Schriften
Historische Lexikoneinträge
Weingarten (Meyers, 1909)
Stadt im württemberg. Donaukreis, Oberamt Ravensburg, an der Dampfstraßenbahn Ravensburg-W., 485 m ü. M., hat eine evangelische und eine kath. Kirche, Synagoge, Rettungsanstalt, Porzellanfabrik, Flachsspinnerei, eine Maschinenfabrik, Holzmanufaktur, Presshefenfabrikation und Branntweinbrennerei, Strumpfstrickerei und (1905) mit der Garnison (ein Infanterieregiment Nr. 124) 7159 Einw., davon 1291 Evangelische und 3 Juden. Weingarten ist 1865 aus dem Flecken Altdorf und dem Schloss Weingarten gebildet worden.
Das prachtvolle Schloss Weingarten (jetzt Kaserne) war vormals Sitz einer Reichsabtei des Benediktinerordens, die, als Frauenkloster 920 von den Welfen in Altdorf gegründet, 1047 in ein Mönchskloster umgewandelt, 1053 nach einem Brand in das Stammschloss der welfischen Familie (das gegenwärtige Gebäude) verlegt, 1803 aufgehoben wurde und 1806 an Württemberg fiel.
Die Abtei (ehemals mit berühmter Bibliothek, besonders mit wertvollen Handschriften der Minnesinger) umfasste ein Gebiet von 330 qkm (6 QM.). In der Gruft der 1715–25 im Jesuitenstil erbauten Klosterkirche ruhen die Ahnen des Welfenhauses. Darin findet sich eine der größten Orgeln (mit 6666 Pfeifen und 75 Registern), ein Welfendenkmal (1859 vom König Georg V. von Hannover errichtet) und unter den Reliquien ein »Tropfen vom Blute Christi«, der die Veranlassung zum jährlichen »Blutritt«, einer Prozession zu Pferde, gegeben hat. Zu Weingarten ward 22. April 1525 ein Vertrag zwischen den aufständischen Bauern und dem Truchsess von Waldburg geschlossen.
Quelle: Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 20. Leipzig 1909, S. 485. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20007682948
Weingarten (Pierer, 1865)
Schloss im Oberamte Ravensburg im württembergischen Donaukreise; war früher eine freie, 1053 von den Guelfen gestiftete Benedictinerabtei (einst mit berühmter Bibliothek), mit einem Gebiet von 6 QM. u. 11,000 Ew.; hat Wallfahrtskirche (Zum Blute Christi), kam 1803 an den Fürsten von Nassau-Diez, 1806 unter württembergische Hoheit u. ist jetzt Waisenhaus. In der dasigen Klosterkirche ist die Gruft der Ahnen der Guelfen; darin sind beigesetzt: Heinrich mit dem goldenen Pflug u. seine Gemahlin Hatta; Rudolf, Heinrich, Welf II.; Welf III.; Welf IV., Herzog von Baiern (st. 1101) u. seine Gemahlin Juditha; Welf V., Heinrich der Schwarze (Großvater Heinrichs des Löwen, Stammvater der Häuser Braunschweig u. Hannover); Wilphild u. Sophia, Schwestern der Juditha, der Mutter des Kaisers Friedrich I.; am 21. Mai 1860 wurde die vom König von Hannover erneuerte Gruft geweiht.
Quelle: Pierer’s Universal-Lexikon, Band 19. Altenburg 1865, S. 49. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20011268719
Karten
➥ Luftlinie-org berechnet die Luftlinienentfernung
sowie die Straßenentfernung zwischen zwei Orten und stellt beide auf der Landkarte dar. Startort ist Weingarten, den Zielort müssen Sie noch wählen. Voreingetragen ist ➥ Bisoro in Burundi
Karte eingebunden aus OpenStreetMap – Veröffentlicht unter ODbL
Fotos & Abbildungen
➥ Bildersammlung auf Wikimedia-Commons
➥ Abbildungen auf Tumblr
➥ Infos und Fotos auf Pinterest
➥ Filme in der ARD-Retro-Mediathek (Filmbeiträge der 60er-Jahre)
Kunst, Kultur und Brauchtum
➥ Kultur und Sehenswürdigkeiten (Wikipedia)
➥ Abbildungen auf ‚Bildindex‘
➥ Bilder auf ‚Google-Art‘
➥ Weingarten auf ‚Zeno-Org‘
➥ Suchfunktion nutzen für Weingarten auf leo-bw.de
(Karten, Archivmaterialien und Luftaufnahmen vom Landesarchiv Baden-Württemberg)
➥ Alphabetisch sortiertes Verzeichnis auf www.kloester-bw.de
Beschreibungen vom Landesarchiv Baden-Württemberg
Geschichte
Ortsbeschreibung von Merian: ➥ https://de.wikisource.org/wiki/Topographia_Sueviae:_Weingarten
Ausflüge und Sehenswertes
➥ Wikivoyage – Projekt der Wikimedia
➥ Wikitravel – der freie Reiseführer
Webcams
➥ Webcams in Weingarten und Umgebung
Nachbargemeinden
➥ angrenzende Städte und Gemeinden (aus Wikipedia)
Teilgemeinden und Ortschaften
➥ Ortschaften und Wohnplätze von Weingarten (aus Wikipedia)
Sagen, Mythen und Geschichten
Burgen und Städte
Aus schwäbischem Blute ist das schwäbische Kaiserhaus hervorgegangen, auf der Veitsburg bei Ravensburg der rotbärtige Friederich geboren, der einst wieder kommen soll, um die Wiedergeburt Deutschlands zu feiern; die Zeit dieses Kaisers umfasst alle Blüte des hl. römischen Reiches deutscher Nation, an dem Namen Hohenstaufen hat sich alle Romantik emporgewunden. Aber während dieses Geschlecht mit dem Tode Konrads des Jungen ein blutiges Ende nahm, auf welschem Boden, dem sie von jeher den Vorzug gegeben vor germanischer Erde, stiegen aus alamannischen Gauen zwei neue Herrschergeschlechter hervor, welche von kleinen Anfängen den Ausgang nehmend, zu gewaltigen Gliedern des europäischen Staatenleibes erwuchsen. Das Haus Habsburg, den Deutschen dreimal zum Retter geworden, hat seine Wiege in der alemannischen Schweiz, das preußische Königshaus nennt den Hohenzollern seine Stammburg. Noch nicht genug. Schwäbische Welfen sitzen auf den Thronen von England und Hannover. Wäre der Schwabe nicht vor Allen berechtigt, auf seinen Namen stolz zu sein, wenn er nach den Burgen Habsburg und Hohenzollern, nach dem Hohenstaufen, nach Altdorf und Weingarten seine Blicke wendet?
Aber noch gar manche Burg stand auf schwäbischem Boden oder schaut jetzt traurig in Trümmern auf die lachende Landschaft hinaus, die sie einst beherrschte. Ihre Geschlechter deckt die Erde, darum starben auch sie ihnen nach. Mit ihnen ist die Erinnerung an gar vieles Leid, an so wenig Freude, wie es denn nicht anders nach Ordnung des Menschenlebens gesetzt ist, dahingeschwunden und manche reckenkühne Tat, manch schwerer Sieg über das arme Menschenherz, wert des Gedächtnisses, findet keinen erzählenden Mund mehr. Geisterhaft umweht und träumend versenkt sich der Wanderer, der auf solcher Stätte steht, in jene Zeiten hinein, die ihn so wehmüthig anheimeln, und den stille gewordenen begleitet der ernste Gedanke von dannen, dass alle menschliche Herrlichkeit von heute.
Früher als die Klöster, so die Burgherrn gegründet, sind die Burgen zusammengebrochen. Doch folgten auch jene ihnen nach. Wo edle Ritter und schöne Frauen aus- und einzogen, wo fromme Mönche und Nonnen mitternächtiges Gebet für die Welt draußen zum Himmel emporsendeten, da ertönt nun das Hämmern und Schwirren der Fabriken, der Lärm der Kaserne, da seufzt in Reue der Züchtling. Doch nicht Arbeiter, nicht Landmann noch Bürger wünscht jene Zeit zurück, wo Viele einem Einzelnen mit Gut und Leib und Leben dienstbar waren. Denn was er heute erwirbt, darf er getrost sein Eigen nennen und dasselbe Recht schützt ihn nach Oben wie gegen seinesgleichen.
Deutschland war einst mächtig zur See. Der Welthandel lag in der Hand seiner Bürger. Das machte die Städte reich und Reichtum gibt Macht, und diese will unbeengt sein. Daher strebten sie nach Reichsunmittelbarkeit.
Schwaben ist mit Städten bedeckt; sie wollten frei sein. Als die Schweiz die lästige Herrschaft abgeschüttelt hatte, wären sie ihr gar zu gern beigetreten. Zwei Jahrhunderte dauerte der Kampf gegen die Landesherren. Doch zählte Schwaben die meisten Reichsstädte in deutschen Landen, im vorigen Jahrhunderte noch deren dreißig, zumeist auf württembergischem und bayerischem Gebiete belegen. Augsburg, Straßburg, Ulm bildeten die weltberühmte Dreizahl ihrer Königinnen. Auch diese Herrlichkeit ist vorüber. Doch sie stehen noch, die Städte, die gar oft mit Burgen und Klöstern in Hader geraten, während diese verkommen sind. Ja sie scheinen zum zweiten Male – Gott gebe, dass es nicht Herbst sei – zu blühen. Sollte auch für sie eine Zeit kommen, wo es heißt: sie waren?
Quelle: Birlinger, Anton: Sitten und Gebräuche. Freiburg im Breisgau 1862, S. XXIV24-XXVI26. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20004573404
Die zwölf Knaben (Welfensage I)
Zu der reichen Gräfin von Altdorf im Schussenthale kam einst ein armes Weib und bat um eine Gabe für sich und ihre hungernden Kinder. Da wies die Gräfin aber das Weib ab und sagte: „Wenn du keine Kinder ernähren kannst, so solltest du auch keine haben und hättest gar nicht heiraten sollen!“ Das erbitterte die arme Frau und sie wünschte der Gräfin, dass sie zwölf Kinder zumal gebären möge. Nicht lange nachher geschah es auch wirklich, dass die Gräfin mit zwölf Knaben niederkam. Darüber entsetzte sie sich gar sehr und da ihr Gemahl eben ausgegangen war, so schickte sie auf der Stelle ihre Magd mit elf Knaben fort, dass sie dieselben in die Scherzach werfen sollte. So aber Jemand sie anhalte und befrage möge sie nur sagen: sie müsse junge Hunde ertränken.
Die Magd war bereits mit ihrem Korbe bis in die Nähe des Mühlbachs gekommen, da traf sich’s, dass gerade der Graf des Wegs daher kam und sie fragte wohin sie wolle und was sie da habe? Mit der Ausrede, welche die Magd vorbrachte, begnügte der Graf sich nicht; er wollte die Hunde selbst sehen; und kurz und gut, er erfuhr die ganze Geschichte indem die Magd ihm Alles gestand. Darauf befahl er der Magd tiefes Schweigen; sie solle der Gräfin sagen, dass sie ihren Auftrag vollzogen habe. Dann ließ er die elf Knaben zu einem Müller tragen, der in der Nähe an der Scherzach wohnte und empfahl namentlich der Müllerin die Kleinen zu sorgfältiger Pflege. Die Knaben gediehen auch alle miteinander vortrefflich und als sie so das siebente (Andre sagen das zwölfte) Jahr erreicht hatten, veranstaltete der Graf ein großes Gastmahl, wozu viele vornehme Gäste geladen wurden. Während des Essens brachte der Graf wie zufällig das Gespräch auf verschiedene Verbrechen und fragte die Gäste nach der Reihe, welche Strafe sie für das und das Vergehen ansehen würden, worauf dann ein Jeder freimütig seine Meinung äußerte. So kam denn auch die Reihe an seine Gemahlin und der Graf fragte sie, welche Strafe doch wohl eine Mutter verdiene die elf Kinder umgebracht. „Ei, die verdiente,“ sagte die Gräfin rasch „dass man sie lebendig in Öl siede.“ „So hast du selbst dir dein Urteil gesprochen!“ versetzte der Graf und öffnete eine Nebentür, durch welche er die elf Knaben hereintreten ließ und nun die ganze Geschichte seinen Gästen vortrug. Die Gräfin fiel ihm zu Füßen und bat um Gnade, die sie auch er halten haben soll. Vor dem Rathause zu Altdorf sind die zwölf Knaben nebst dem Müller und der Müllerin abgebildet, ebenso auf einem alten Ölbilde im Innern des Hauses. (Mündlich aus Altdorf)
Quelle: Ernst Heinrich Meier: Deutsche Sagen, Sitten und Gebräuche aus Schwaben, Stuttgart 1852, Band 2, Nr.371, Link: https://books.google.de/books?id=i1sKAAAAIAAJ
Welfensage II
Ein im Ratause zu Altdorf befindliches Holzgemälde, das die Vorführung von elf Knaben bei einem solchen Gastmahl des Grafen darstellt, enthält folgende Inschrift:
»Eine unerhörte Historia von dem Ursprung und Namen der Quelphen, vor Zeiten Grafen und Herren zu Altdorff im Allgäu, nachmals Fürsten in Baiern, dergleichen von Anbeginn der Welt nie gehört noch vernommen worden; Isenbard, Graf zu Altdorf, lebt in Anno 780. Seine Gemahlin Irmentrudis brachte auf einmal zwölf Kinder zur Welt und wollte elfe davon gleich als die junge Hunde lassen in’s Wasser werfen.«
Ähnliche Bilder sah ich mehrere in Oberschwaben, z.B. auch bei Ulm in Delmensingen, die früher, scheint es, verbreiteter gewesen sein müssen.
(…) Beachtenswert sind die Anmerkungen Panzers zu dieser Art Sagen, I. S. 335-341. Ist nicht die Welfensage eines alten Naturcults Überrest? Sollte die Zahl zwölf nicht auf die zwölf Monate gehen? Bemerken will ich, dass man die Mühle, in der die elf Welfen auferzogen worden, jetzt noch zeigt, es sei die Griesle-Mühle. An der Fastnacht hat man ehedem diese Geschichte in Weingarten aufgeführt mit den sonderbarsten Sitten aller Art. (…)
Quelle: Anton Birlinger/ M. R. Buck: Sagen, Märchen und Aberglauben. Freiburg im Breisgau 1861, S. 223, Permalink: http://www.zeno.org/nid/20004565827
Welfensage
Eine weitere Tradition von des Welfennamens Ursprung berichtet: »Isenbard habe während seines Aufenthalts am Hofe Karls des Großen die Nachricht von der Geburt eines Sohnes mit dem Verlangen seiner Gattin erhalten, sobald als möglich nach Hause zurückzukehren. Auf seine Bitte um Urlaub, soll Karl lächelnd geäußert haben: ›Es lohne sich wohl der Mühe, wegen der Geburt eines jungen Welfs so sehr nach Hause zu eilen!‹ Isenbard, schnell besonnen, habe hierauf Karln gebeten, das Kind aus der Taufe zu heben und beteuert, dass er diesen seinen Sohn nicht anders als nach des Kaisers Ausdruck ›Welf‹ nennen werde.«
[Leipziger allgem. hist. Lexikon. Art. »Isenbard«. Bucel. hist. Agilolf. pag. 363. Anonym. Weing. apud Hess pag. 5 et 6. Dieser gibt jedoch nicht an, welcher Kaiser es gewesen sei. Isenbard führt er auch nicht namentlich auf. Eben’s Ravensburg. I S. 54 u. 55.]
Quelle: Anton Birlinger/ M. R. Buck: Sagen, Märchen und Aberglauben. Freiburg im Breisgau 1861, S. 223-224, Permalink: http://www.zeno.org/nid/20004565835
Welfensage (extended)
Die Sage von dem Ursprunge der Zollern’schen Grafen von den Welfen
Die Geburt der 12 Welfen
Herr Isenbard, Graf zu Altorff (so ehemals ein Dorf in Schwaben gewesen, wo jetzt das Kloster Weingarten ist), welcher um das Jahr Christi 780 gelebt und Caroli M. Feldherr gewesen, hatte Frauen Irmentraud, eine junge und hitzige Dame, der Kaiserin Hildegard Schwester, zur Gemahlin. Indem nun ein armes Weib drei Kinder auf einmal zur Welt geboren, hat diese Gräfin sie öffentlich für eine Ehebrecherin gescholten und davor gehalten, dass von einem Manne nicht zwei oder drei Kinder auf einmal könnten gezeugt werden und hat die Frau Gräfin bei ihrem Herrn Gemahl es dahin gebracht, dass das unglückliche Weib in einen Sack gesteckt, auch als eine Ehebrecherin ins Wasser geworfen und ersäuft worden. Folgendes Jahr wurde die Frau Gräfin schwanger und gebar in ihres Herrn Abwesenheit zwölf schöne junge Söhnlein, welche aber, wie leicht zu ermessen, von geringer Leibesgröße sein können. Die seltene Begebenheit verursachte bei dem anwesenden Frauenzimmer einen Schrecken, bei der Frau Gräfin aber eine heftige Ehrfurcht und Scham. Sie bedachte bald, dass manniglich ihre Keuschheit in Zweifel ziehen und sie unordentlicher Liebe beschuldigen würde, gleich wie sie vor so weniger Zeit mit großem Eifer selbst andern getan.
Die heftigen Gemütsbewegungen setzten der ohnedem kranken Gräfin Leben und Verstand in Gefahr. Ihren guten Ruf und Nahmen wollte sie erhalten, sollte gleich alle mütterliche Treu und Liebe nebst der Seelen Seligkeit selbst darüber vergessen werden. Sie ließ die Kinder vor sich bringen, wählte eins unter so vielen, welches sie behalten wollte, und befahl ihrer Wärterin mit ganz ergrimmtem und boshaftem Gemüt, die übrigen elf an den nächsten Fluss zu tragen und ins Wasser zu werfen. Die Wärterin, welche mehr Gehorsam als Verstand und Gottseligkeit hatte, eilte selbst mit den unglückseligen Kindern fort, warf sie schichtenweis in die Bademulde und lief dem Wasser zu. Allein Gott wachte für diese Verlassenen, welcher es durch seine Regierung so gefügt, dass der tapfere Graf Isenbard eben nach Haus und dieser Kindesmörderin, ehe sie es vermutete, auf den Hals kam. Er liebte seine Irmentraud sehr inniglich, und lief entweder aus Begierde, nach seiner Gemahlin Zustand zu fragen, oder aus kluger Haus-Sorgfaltigkeit auf sie zu und wollte wissen, was sie trage.
Der vereitelte Kindsmord
Wer dürfte aber eine alte Dirne ohne Antwort vermuten? Sie war hurtiger zu sagen, dass es junge Hunde wären, so sie ins Wasser tragen wollte, als dass der Graf eine Unwahrheit hätte besorgen können. Doch trieb ihn eine heimliche Regung, die Hunde zu sehen, ob vielleicht selbige von guter Art und zur Jagd möchten abzurichten sein. Allein die Alte wusste ihm mit rauen Worten zu begegnen, es stände ihm als einem großen Herrn übel an, sich um solche unflätige Dinge zu bemühen; er sollte nach etwas Schöneren sehen, der hündliche Anblick könnte einem großen Herrn Ekel erregen und in schwere Krankheit stürzen, er habe bisher Hunde genug gehabt und könne diese untüchtigen wohl entraten. Wer muss nicht bekennen, dass Gott hier Alles regiert, nachdem der Graf auf diese ungeschliffene Worte nur desto begieriger worden, die angegebene Hunde zu besehen? Er zwang die Alte, die Decke hinweg zu nehmen. Was Wunder aber findet er? So viel schöne, zwar von geringen und kleinen Gliedern, doch wohl proportionierte lebhafte Kinder. Die Barmherzigkeit gegen die unschuldigen Märtyrer und der Zorn über die unbarmherzige Hunde-Mutter geriet in Wettstreit; doch wollte er erstlich von der Alten die Eltern dieser Armseligen erforschen, welche, weil ihr eine grausame Todesart angedroht war, anfing alles umständlich, und was die Gräfin zu dieser Grausamkeit bewogen, zu erzählen.
Der fromme Herr, dem nun der Unschuldigen Elend noch mehr schmerzte, wusste vor Mitleiden, Verdruss und Scham vor der Gemahlin Grausamkeit fast nicht, was er in so verwirrtem Stand vornehmen sollte, resolvierte sich doch endlich, am ersten die Kinder zu retten und das übrige bis auf bequeme Gelegenheit zu verschieben, übergab die Kinder dem daselbst wohnenden und wohlhabenden Müller mit Befehl, ihrer wohl pflegen zu lassen, und befahl der Alten, sie solle nur ohne Furcht zu ihrer Frauen wiederkehren und dass sie die Kinder ins Wasser geworfen, erzählen.
Die Rückkehr der Welfenkinder
Sechs Jahre sind inzwischen verstrichen und die armen Findelkinder ziemlich erwachsen, als der Herr Vater sie heimlich auf einerlei Weise gar artig bekleiden und in das Schloss zu Weingarten (welches hernach zum Kloster geworden) bringen, ein kostbares Banquet anrichten, auch seine und der Frau Gemahlin nächste Freunde dahin einladen lassen.
Als man allerdings abgespeist, brachte der Graf das rare Schauspiel, welches vielleicht der glücklichen Veränderungen und Affectenwechsel halber nicht viel seines Gleichen gehabt. Es hatte die Frau Mutter ihr junges Herrlein in schönen Purpur bekleidet, und der Graf hatte heimlich für die übrigen elf Brüder auch dergleichen Kleider verfertigen lassen; in welchem Habit sie dann sämtlich in den Speise-Saal traten, sowohl an Kleidern als Gliedern und allem Ansehen einander so ähnlich, dass manniglich sie vor leibliche Brüder halten konnte. Sie machten dem Befehl gemäß einen höflichen Reverenz, und der Graf stand auf, zeigte mit Fingern auf die liebreichen Kinder und fragte seine werte Gäste, mit welcher Straff man eine Mutter belegen sollte, welche dergleichen elf schöne und holdselige Kinder hätte zu erwürgen befohlen? Das böse Gewissen ist ein grausamer Henker, und von solchem wurde Frau Irmentraud dermaßen gefoltert, dass sie anfing zu erblassen, bald zitterten alle Glieder und endlich fiel sie halbtot vom Stuhl in tiefe Ohnmacht.
Das anwesende Frauenzimmer erschrak heftig, eilte doch mit allerhand kräftigen Wassern, die vor tot liegende zu erquicken, welche sich auch bald aufmachte und zu des Grafen Füßen wieder niederfiel, welchen sie nebst der sämtlichen anwesenden hohen Freundschaft mit Vergießung vieler Tränen um Christi Willen um Verzeihung bat. Sie setzte beweglich hinzu, dass sie nicht sowohl aus Bosheit als Einfalt und Torheit diesen Fehler begangen. Sie erzählte, wie die Begebenheit mit der armen Frauen und deren drei geborenen Kindern sie hierzu gebracht und wie sie nicht durch Hochmut, sondern aus Unwissenheit gefehlt. Sie bat inständig, man solle bedenken, dass sie diesen schweren Fall schon oft bereut und mit vielem Seufzen Gott abgebetet und dass sie diese sechs Jahre hier niemand mit einer fröhlichen Miene würde gesehen haben.
Gnade für Irmentraud
Die reuige Bekenntnis und Abbitte des begangenen Fehlers hat eine sonderliche Versöhnungskraft in sich und edle Gemüter sind zur Verzeihung gern geneigt, wenn sie eine Demut spüren. Daher geschah es, dass alle Anwesende mit denen häufig hervorquellenden Tränen Mitleiden hatten. Sie erwogen sämtlich, dass, obgleich die Anschläge und Taten verdammlich, doch der Ausgang und Erfolg glück- und erfreulich gewesen. Sie traten in die Reihe um den tapfern Grafen Isenbard und baten, dass er diesen Fehler der unglücklichen Frauen vergeben wollte. Diesem nach bückte sich der vorhin fast unbeweglich stehende Graf Isenbard, hob die vor ihm kniende und weinende Gemahlin von der Erde auf. Er dankte zuvörderst mit aufgehobenen Händen dem wunderbaren Gott, der alles so glücklich regiert. Dann wendete er die Rede auf die Frau Gemahlin; und Euch, meine liebe Irmentraud, sagte er, wollen wir sämtlich vor unschuldig halten, weil es meistens aus Einfalt und Übereilung hergerührt.
Endlich weil seltsame Begebenheiten ein beständig währendes Gedächtnis bei denen Nachkommen verdienen; also wurde von der ganzen Gesellschaft für gut befunden, dass diese junge Grafen zu ewigem Gedächtnis dieser Wundergeschichte die Welfen (Wölfe, junge Hunde), oder wie es andere ausreden, Guelphi, Veliphi (nach Andern bedeutet es Zwölf, die Zahl der geborenen Kinder) sollten genannt werden, wiewohl die Elfe bald hernach ohne Erben wieder verstorben, und nur der Einige, welcher von der Mutter erzogen worden, das Geschlecht fortgeflanzt, welches aber so hoch durch Gottes Segen gestiegen, dass nicht nur dessen Tochter Juditha Ludovici Pii andere Gemahlin worden, von welcher Kaiser Carolus Calvus, sondern auch die männliche Descendenten, Conradus, von dem die Herzogen und Könige in Burgund, auch die französischen Könige, dann ferner Rudolphus, von dem die Herzogen zu Bayern alten Geschlechtes und jetzige Braunschweigische herstammen. Von dieser Welfischen hohen Familie wollen viele alte und neue Scribenten die Abstammung des Hauses Zollern herleiten, so den Welf oder Hund, so anfänglich im Schild gestanden, auf den Helm gesetzt.
Der Stammvater der Zollern
Sie haben auch Graf Isenbard selbst für den Zollerischen Stammvater angesetzt, welcher nebst Guelfo I. Thassilonem gezeugt und diesem sei das Hohenzollerische Territorium zugefallen, daher selbiger Thassilo für den ersten Urheber dieses preiswürdigen Geschlechts zu zählen. Man hat aber gleichwohl aus beider Häuser gegen einander geführten Meinung abgenommen, dass das Zollerische Haus von denen Welfen nicht abstamme. Aus den bewährtesten Geschichtschreibern ist bekannt, dass eine grausame Erbfeindschaft zwischen denen beiden Factionen, der Welfischen und Gibellinischen oder Weiblingischen (vom Kaiser Conradi III. Geburtsort Weiblingen, so jetzt dem Herzog von Würtemberg zugehört, also genannt) entstanden, welche viel Jahre lang Deutschland und Italien in Unruh gesetzt, in welcher jegliche Familie nicht nur ihre Verwandten, sondern alle Bekannten, so viel möglich, sich anhängig gemacht, um sich bei der höchsten Macht zu schützen und die gegenseitige Fraction zu stürzen.
Weil nun sowohl das Haus Zollern als die Burggrafen zu Nürnberg, auch sogar die Colonnensische Familie in Italien, jederzeit gut Gibellinisch oder kaiserlich gewesen, also könne man wohl ermessen, dass diese Häuser nicht von denen Welfen abgestammt, sie würden sonst ihres eigenen Hauses, welches das mächtigste in ganz Europa gewesen, Untergang nicht gesucht und sich selbst Schaden zugefügt haben.
Quelle: Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 1, Glogau 1868/71, S. 10-13. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20004936183
Laurasitz
Auf dem Weg von Weingarten nach Schlier ist der »Laurasitz« im Laurathal. Da sitzt ein Geist, eine Gräfin Laura »auf dem Sitz«, welche mit goldenen Kugeln und silbernen Kegeln kegelt. Das geschieht alle Nacht von 12 bis 1 Uhr.
Mündlich von Weingarten Quelle: Anton Birlinger/ M. R. Buck: Sagen, Märchen und Aberglauben. Freiburg im Breisgau 1861, S. 7. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20004560787
Laura’s Erlösung
Fräulein Laura mit ihrem weißen Kleid, einen Bund Schlüssel an ihr hängend und ein Wasserkrüglein in der Hand, erscheint in den heiligen Zeiten an einem unscheinbaren Brünnlein an der Scherzach (ganz in der Nähe der Brücke, die auf den Hallersberg führt, der Griesle-Mühle gegenüber) und schöpft Wasser, sprechend: »Ich muss eine Linde tränken, und zwar so lange, bis der Baum erstarkt ist. Alsdann wird aus diesem Baum eine Wiege gefertigt, und dasjenige Kind, welches in derselben gewiegt und auferzogen wird, erlangt von Gott die Gnade, mich erlösen zu können.« Und dann setzt sie ihren Weg dem Laurathal zu fort.
Quelle: Anton Birlinger/ M. R. Buck: Sagen, Märchen und Aberglauben. Freiburg im Breisgau 1861, S. 7. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20004560795
Brauchtum und Volksglaube
Blutritt
Zum Blutritt – und den dazu gefundenen historischen Quellen habe ich eine eigene Seite erstellt:
➥ https://oberschwabenschau.info/landkreise-und-orte-in-oberschwaben/rv-kreis-ravensburg/88250-weingarten-in-oberschwaben/der-blutritt-in-weingarten/
Funkenringe
In Weingarten, Wangen und sonst in Oberschwaben werden am Funkensonntag Funkenringe gebacken, das Stück für einen Kreuzer. Sie haben etwa die Form der Laugenbrezeln, werden dann aber mit frischem Teig überschüttet und so in Schmalz gebacken, wodurch der Ring größer und zackig wird.
Quelle: Ernst Heinrich Meier: Deutsche Sagen, Sitten und Gebräuche aus Schwaben, Stuttgart 1852, Band 3, Nr. 25, Link: https://books.google.de/books?id=i1sKAAAAIAAJ
Gumpiger Donnerstag
(11) Der letzte Donnerstag vor der Fastnacht heißt zu Altdorf bei Weingarten und sonst der „gumpige Donnerstag“. An diesem Tage wird öffentlich angezeigt, was man in der Fastnacht aufführen will und dabei wird vor dem Rathause ein Tanz gehalten. Daher der Name (Gumpen, d. i. Springen, hüpfen) – In Friedingen a. d. D. heißt dieser Tag der „schmozige Donnerstag“, weil man an demselben gewöhnlich die Schweine schlachtet. (Schmoz = Schmalz = Fett)
(12) Der Freitag, der auf den gumpigen Donnerstag folgt, heißt der „bromige Freitag“. So wie man Morgens aufsteht, sucht man einander das Gesicht schwarz und rußig zu machen. (B’ramen, rußig machen, Schmid Schwäb. Wtb. S 423)
(13) Der Samstag, der auf den bromigen Freitag folgt, wird in Altdorf und sonst der „schmalzige Samstag“ genannt. An diesem Tage sollen die Hexen und bösen Weiber Kuchen backen. (Altdorf, Tettnang)
Quelle: Ernst Heinrich Meier: Deutsche Sagen, Sitten und Gebräuche aus Schwaben, Stuttgart 1852, Band 3, Nr.11-13, Link: https://books.google.de/books?id=i1sKAAAAIAAJ
Wetterglocken
In den meisten katholischen Gemeinden, besonders in Oberschwaben, wird bei einem Gewitter geläutet um Hagel und Wetterschaden zu vertreiben. – Manche Kirchen haben besondere Glocken dazu, z. B. das Kloster Weingarten bei Altdorf die sogenannte „heilige Blutglocke“, die während eines Gewitters gezogen wird. In Wurmlingen läutet man mit der Glocke auf dem Remigiusberge und wenn man das früh genug tut, so trifft die Markung nie ein Wetterschaden. Indes sind die benachbarten Ortschaften, z.B. Jesingen oft unzufrieden damit, weil sie glauben, dass mit dem Gewitter zugleich der Regen vertrieben werde. Die Mönche in der Rohrhalde wollten für diese Glocke zwei Reihen Kronthaler geben, die von der Wurmlinger Kapelle bis in die Rohrhalde bei Kiebingen Stück an Stück hingelegt werden sollten. Allein die Gemeinde willigte nicht ein. (Mündlich)
Quelle: Ernst Heinrich Meier: Deutsche Sagen, Sitten und Gebräuche aus Schwaben, Stuttgart 1852, Band 1, Nr.291, Link: https://books.google.de/books?id=i1sKAAAAIAAJ
Balladen
Der Welfen Ursprung
Zu Altorf wars in Schwaben, auf hohem Söller stand
Die stolze Gräfin, schaute mit ihren Fraun‘ ins Land,
Und unten an der Pforte da sitzt ein niedres Weib,
Drei Säugling auf dem Schooße, einander gleich von Leib.
Da rief die stolze Gräfin: Ha seht die Freche dort,
Zur Schau trägt sie die Schande, mir fehlt dafür das Wort,
Sagt, ob in Ehren jemals ein Weib Drillinge trug!
Man blieb die Antwort schuldig, als so die Gräfin frug!
Wohl höret es die Arme, die bettelnd saß im Thor;
Sie blickte nassen Auges zum Söller wohl empor.
Ob sie zu Gott gebetet, ob sie zum Bösen rief?
O viel vermag ein Seufzer, entpreßt dem Herzen tief!
Und nicht viel Monde gingen seit jenem Wort daher,
Da fühlet sich die Gräfin so bang und gar so schwer,
Zu Hülfe muß man rufen eine kluge Frau bei Nacht:
Da ist sie bald genesen – doch hört, was sie gebracht.
Sie bracht‘ in Kindesnöthen nicht Drillinge zur Welt,
Nein zwölf der Kinder waren’s, ich sage zwölf! das fällt
Nicht vor in Zukunft wieder, wie’s nicht zuvor geschehn,
Und war des Himmels Fügung für jenes Worts Vergehn!
Und sie erkannt es also: sie that die Hand aufs Herz,
Und sprach mit heißen Thränen in ihrem wilden Schmerz:
Ich kann es nicht ertragen, den Schimpf und Spott der Welt –
Ich oder diese! ehe der Graf kehrt aus dem Feld!
Da hieß sie elf der Kinder ertränken in den Fluß,
Nur Eines will sie retten, doch als sie wählen muß,
Sie will das schönste, stärkste, und fand sie alle gleich,
Da flossen ihre Thränen, fast ward das Herz ihr weich!
Sie schließt das Aug‘ und greifet nun rückwärts abgewandt,
Da hielt sie Eins, die andern hat herzlos sie entsandt,
Nie will ich davon hören! Herab vom höchsten Bord,
Und wo die Flut am tiefsten – geht – Nie davon ein Wort!
Da kehrte nun vom Kriegen der Graf Warin, und ritt
Den Fluß entlang im Walde, da hört er stillen Tritt,
Hört leise Worte flüstern – ihm schien’s nach Diebesart –
Er hielt sein Roß, da hat er ein Frauenpaar gewahrt.
Die Eine sprach: nun stürzen wir sie vom Fels herab!
Die andre sprach: nein retten wir sie von Tod und Grab!
Da trat der Graf dazwischen: Was giebts, ihr Hexen hier?
Wen wollet ihr ersäufen: Sie sprachen: jung Gethier!
Laßt sehn! In eurem Korbe, laßt sehen, was es ist!
Was wimmert da, was zappelt? Sie sprachen: Herr, so wißt,
Eine Hündin hat gewelfet, s’sind Welfen, Hündelein!
Er rief: Ich will sie sehen! Soll keins ersäufet sein!
Da langten nach einander elf Knäblein sie hervor,
Das sah der Graf mit Staunen – das Eine Weib nun schwor:
Es sei bei Einer Bäurin solch Segen eingekehrt
Sie aber unvermögend, daß sie die Kinder ernährt.
Da ließ er Fackeln zünden und als im hellen Licht
Er nun gesehn die Knäblein, sprach er: So ist es nicht!
Die Kinder, gleich einander, wie Eines Nestes Brut,
Sie sind von hohen Eltern, sie sind ein edles Blut!
Und brachte sie zum Müller, der soll sie ihm erziehn,
Dazu hat er des Goldes und Landes ihm verliehn,
Und wenn sie aufgewachsen, so bring er sie zum Schloß –
Dann ritt des Weges weiter der Graf mit seinem Roß.
Und ritt zu einem Priester: tauft mir die Kindelein!
Der Priester sprach, wie sollen sie denn geheißen sein?
Er sann ein wenig, sprach dann: So taufst sie alle elf,
Wie sie die Frau geheißen, tauft sie mit Namen: Welf!
Und jetzt zu seinem Schlosse sich wendet Graf Warin,
Da eine Freudenfahne sah auf dem Thurm er ziehn,
Und ihn empfängt die Gräfin, den Säugling auf dem Arm,
Da schlug sein Herz wohl freudig und war wohl frei von Harm.
O Segen über Segen, so rief er jubelnd aus,
Ich hab‘ elf Pflegekinder gewonnen schon dadrauß,
Nun ist es voll das Dutzend, und dieses Kind ist mein,
O Fraue, süße Fraue, was konnte schöner sein!
Der Frau war solche Rede ein Dolchstich erst ins Herz,
Dann fand sie Fassung wieder, und mildert sich ihr Schmerz;
Sie sprach: Sie sind gerettet! sie leben, sind nicht todt,
Sind in des Vaters Händen und haben keine Noth!
Der Graf nun aber wiegte mit Vaterglück den Sohn,
Da kamen ihm Gedanken und ist die Freud‘ entflohn.
Denn wie er recht in’s Antlitz dem lieben Knäbchen sah,
Wie es den andern gleiche, mit Staunen sah er da.
Er ging in finsterm Sinnen wohl lange Zeit umher,
Sein Haupt zur Erde neigt‘ er gedankenvoll und schwer,
Da hört er manches raunen, verschwiegnes Flüstern hallt,
Da mußt‘ er denken dessen, was sich begab im Wald.
Das Knäblein nun wuchs munter, und war des Vaters Lust –
Und saß auf seinen Knieen und spielt‘ an seiner Brust.
Nicht minder nun auch wuchsen die andern Knäbelein,
Und sah der Graf mit Freude sie alle zwölf gedeihn.
Jetzt ließ er Kleider schaffen von hellem Scharlachroth,
Verbrämt mit Gold und Pelzwerk, die er dem Einen bot,
Und die er bot den andern – und nun am Ostertag,
ließ er aufs Schloß sie kommen, als er des Mahles pflag.
Es freute sich die Gräfin des Sohns im schönen Kleid,
Und wich ob solcher Freude im Herzen all ihr Leid;
Wie herrlich prangt der Knabe vom Hut bis zu den Schuh’n!
Da öffnen sich auf einmal des Saales Flügel nun.
Eintreten, schau, elf Knaben, in hellem Scharlachkleid
Mit Gold verbrämt und Pelzwerk – elf Brüder ohne Streit,
So gleichen all einander an Größ‘ und Wuchs und Art,
Sie gleichen auch dem Zwölften, wie Allen klar da ward.
Der Zwölfte sah’s mit Jubel, und händeklatschend sprang
Zur Mutter er – die nieder mit Schmerzensaufschrei sank.
Als sie emporgeblicket da sprach der Graf also:
Frau, das sind meine Söhne, deß bin ich wahrlich froh!
Im Ehebruch erzeuget hab‘ ich die Kinder sieh –
Nein, nein, so rief die Gräfin und fiel vor ihm aufs Knie.
Der Graf sprach: was verdienet ein Weib, die Tobesnoth
Gab ihres Leibes Kindern – Sie rief: den Tod, den Tod!
Der Graf sprach: was verdienet ein Weib, die elfmal das
An elf so lieben Kindern gethan? nun sagt mir, was?
Da sprach der Ritter ält’ster: Seht hier, die Kinder stehn,
Gott ließ im Himmel selber darüber Gnad ergehn!
Da ward der Graf nun heiter, ihr Weinen stillt die Frau,
Und alles war im Saale beglückt ob solcher Schau.
Von Augen und von Locken, von Mund und Angesicht
Wie waren doch so gleich sie, man unterschied sie nicht.
Und als die Fürstin suchte ihr wohlbekanntes Kind,
Da hat sie fehlgegriffen, sie fand’s nicht so geschwind.
Der Graf rief: Gott gelobet! Gott wandt‘ es alles gut,
Da schauet meine Welfen, schaut meine Welfenbrut.
Quelle: Otto Friedrich Gruppe: Sagen und Geschichten des deutschen Volkes aus dem Munde seiner Dichter, 1854Link: https://www.google.de/books/edition/Sagen_und_geschichten_des_deutschen_volk/Wlc_AAAAIAAJ
Literatur
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➥ Hans Ulrich Rudolf: Weingarten – gestern und heute: Vom Dorf der Alamannen zur Stadt des Heiligen Bluts – Im Auftrag der Stadt Weingarten. 614 Seiten, ISBN 978-3898709170
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