Die Prädikantenbibliothek der Nikolaikirche Isny

Die Prädikantenbibliothek in der Nikolaikirche Isny ist ein Kleinod, das man unbedingt besichtigen muss. Dies ist im „Sommerhalbjahr“ von April bis Oktober möglich. Isny wurde um 1522 protestanisch – und die Bürger stifteten ihren Predigern wertvolle Bücher – die noch im Original vorhanden sind. So auch das „Graduale“, die schönste, ums Jahr 1200 entstandene und damit älteste der Handschriften.

 Die wohlhabenden Bürger stifteten ihren Predigern wertvolle Bücher – die noch heute im Original – und am originalen Standort – vorhanden sind.
Die Prädikantenbibliothek – eine Einführung von Pfarrer Schmid
Nikolaikirche Isny und Prädikantenbibliothek

1472 wurde der Kirchturm erneuert, dabei wurde auch die Sakristei mit der darüber befindlichen ➥Predigerbibliothek (Prädikantenbibliothek) erstellt. Dort werden noch heute Handschriften, Inkunabeln und spätmittelalterliche Drucke aufbewahrt, die alle Stadtbrände unbeschadet überstanden haben. Dieses Kulturhighlight europäischen Rangs ist ein absoluter Insidertip – Im Sommerhalbjahr (von Ostern bis 31. Oktober) besteht jeden Mittwoch um 10.30 Uhr, sowie jeden ersten Samstag im Monat um 14.00 Uhr eine Besichtigungsmöglichkeit. Anfragen: ➥ https://www.isny-evangelisch.de/meta/kontakt/

Die Wikipedia schreibt: „Im gewölbten Raum über der Sakristei der Nikolaikirche befindet sich eine in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts eingerichtete Predigerbücherei, die in Einrichtung und Bestand fast originalgetreu erhalten ist und als „bibliothekarisches Gesamtdenkmal“ gilt. Die Prädikantenbibliothek enthält 70 Handschriften, darunter das Isnyer Graduale von ca. 1200, 171 Inkunabeln und etwa 2400 Druckwerke des 16. bis 18. Jahrhunderts, darunter Schriften der Reformatoren Luther und Melanchthon, das Straßburger Gesangbuch (1541) und den Weltatlas des Amsterdamer Kartografen Abraham Ortelius (1640–1650)“ (➥ Wikipedia) Darüberhinaus finden sich 43 und 44 französische Drucke – von denen in ganz Deutschland nur wenige aufzufinden sind.4 Schmid benennt nahezu 70 Schriften Martin Luthers, darunter mehrere Urdrucke, darunter „De captivitate babylonica ecclesiae“ mit einer Titeleinfassung Hans Cranachs. Dazu 20 Schriften des Züricher Reformators Huldreich Zwingli – mit z.T. handschriftlichen Anmerkungen von Zwingli.
Die Prädikantenbibliothek muss man als Besucher der Stadt unbedingt gesehen haben. „Es ist darin alles unverändert erhalten, wie es kurz nach 1470 eingerichtet wurde: Kreuzgewölbe, Fresken und Terrakottafliesen, Wandschränkchen und Tisch. Lediglich die über drei Meter hohen Stehregale, prall gefüllt mit Büchern, sind etwas jünger. Sie ersetzten die ursprünglichen Hängeregale, als diese die wachsende Zahl der Bücher nicht mehr aufnehmen konnten.“³

Im ‚Handbuch der historischen Buchbestände in Deutschland‘ wird die Prädikantenbibliothek wie folgt beschrieben:2 „Nach der Mitte des 15. Jhs wurde die Kirche umgebaut. Man errichtete anstelle der romanischen Apsis des Mittelschiffs von 1288 ein gotisches Chor und über der nördlich angebauten neuen Sakristei originellerweise einen etwa 5 mal 5 Meter großen Raum, der von Anfang an als “ Gewölb für die Liberey“ bestimmt war. Dieser erstmals 1482 urkundlich erwähnte Büchereiraum, der vom Chor aus durch eine in die Mauer gebrochene scle, steile Treppe erreichbar ist, wurde mit Fresken der Zeit programmatisch ausgemalt: Die vier Deckenfelder enthalten je ein Medaillon mit den Evangelisten zusammen mit je einem der lateinischen Kirchenlehrer, die Fensternischen Darstellungen von Jesus und Maria. Die über drei Meter hohen Wandregale stammen aus dem späten 16. Jh. Der Raum gehört in seiner heutigen Erscheinungsform und Ausstattung zu den ältesten erhaltenen Bibliotheksräumen überhaupt. Als ein besonderer Glücksumstand muß gelten, daß die Prädikantenbibliothek nie einer Plünderung, Zerstreuung durch Säkularisation oder einem Feuer, wie dem für die Stadt Isny verheerenden Brand von 1631, zum Opfer fiel. Sie ist für die Kontinuität von der mittelalterlichen Reformbewegung über die Reformation bis in das 17. Jh exemplarisch und in ihrer besonderen Überlieferungsform wohl einmalig.“

Die Bibliothek wurde von der Denkmalstiftung Baden-Württemberg zum „Denkmal des Monats Juni 2007“ gewählt.

Eine Beschreibung der Geschichte und des Bestandes der Prädikantenbibliothek ist auf der Website der Universität Göttingen zu lesen:
https://fabian.sub.uni-goettingen.de/fabian?Evangelische_St._Nikolaikirche_(Isny)

Hier eine schöne Beschreibung der Besichtigung mit zahlreichen Fotos:
https://www.allgaeueralpen.com/2016/03/das-wikipedia-seiner-zeit-die-predigerbibliothek-von-isny/

Abbildungen und Bestandteile der Prädikantenbibliothek sind (teilweise als Faksimile) auf Commons.Wikimedia zu entdecken:
https://commons.wikimedia.org/wiki/Category:Prädikantenbibliothek_Isny
https://commons.wikimedia.org/wiki/Category:History_of_Prädikantenbibliothek_Isny
https://commons.wikimedia.org/wiki/Category:Collections_of_Prädikantenbibliothek_Isny

Meister Conrad Brenberg, Pfarrer der Nikolaikirche, schenkte im Jahr 1482 – notariell bezeugt – 16 Handschriften und 13 Wiegendrucke als unwiderrufliche Schenkung der Studierstube über der Sakristei. Es waren vor allem Werke von Thomas von Aquin, Albertus Magnus, Robert Holcot, Nicolaus von Dinkelsbühl, Simon von Cremona und Engelbert von Admont. Diese Schenkungsurkunde ist das erste „Bestandsverzeichnis“. Zu den besonders interessanten Drucken der Predigerbücherei zählt die lateinische Bibel mit den Glossen des Walahfried Strabo, die Adolf Rusch 1481 in Straßburg für Anton Koberger in Nürnberg druckte.

 

Prädikantenbibliothek Isny: Wiegendruck: Wider die Sauffteuffel

Wiegendruck aus der Prädikantenbibliothek in Isny:
Matthäus Fridrich: Wider de Sauffteuffel, 1562

Ein besonders schönes Beispiel für die ersten mit Holzschnitten ausgestatteten Wiegendrucke ist die „deutsche Bibel“, die der Nürnberger Drucker und Verleger Anton Koberger 1482 druckte.

Wiegendruck der Prädikantenbibliothek in Isny: Das Neue Testament

Hans Schäufelein: Titelholzschnitt zum Neuen Testament, Augsburg 1523

Zu den insgesamt 171 Wiegendrucken der alten Predigerbibliothek gehören neben den Werken der Scholastiker und Humanisten jene der Weisen des Altertums, sowie historische, medizinische, juristische und philologische Werke. Prachtvoll gestaltet sind die drei Bände des „speculum historiale“ von Vincentius Bellovacensis, 1474 in Augsburg gedruckt.

Zu den Seltenheiten zählt auch die deutsche Ausgabe von Schedels Weltchronik von 1493. Im Gegensatz zu den meisten dieser nicht sehr seltenen Drucke blieben hier die 1800 Holzschnitte unkoloriert.

Auffällig viele der Isnyer Wiegendrucke kommen aus Mailand, Florenz und Venedig, Lyon und Paris. Isnyer Kaufleute haben sie bei Messebesuchen zunächst zum eigenen Gebrauch erworben und später der Bücherei übergeben. Erstaunlich ist die überdurchschnittliche Anzahl Pariser Wiegendrucke. Wahrscheinlich gehören sie zum Nachlass des zweiten Isnyer Predigers. Dr. Johannes Lantmann. Er hatte in Paris studiert und war zeitweise sogar Rektor der dortigen Universität. (…) Zahlreich vertreten sind die Schriften der Humanisten und der führenden Theologen der Reformation in Deutschland und der Schweiz. Da stehen die Werke der Humanisten um Erasmus von Rotterdam, Ulrich von Hutten, Conrad Peutinger neben denen der Wittenberger Theologen Martin Luther, Johannes Bugenhagen, Justus Jonas und Philipp Melanchthon, der Straßburger Martin Bucer, Wolfgang Capito und Otto Brunfels, der Basler und Konstanzer Johannes Oekolampad und Ambrosius Blarer und des Zürichers Ulrich Zwingli.

Wiegendruck aus der Prädikantenbibliothek in Isny
Wiegendruck aus der Prädikantenbibliothek in Isny

 

Abbildungen aus der ➥ Prädikantenbibliothek auf wikimedia.commons


Anmerkungen / Fußnoten

Text wurde zusammengefasst und teilweise zitiert aus ➥ Reformation und Gegenreformation von Pfarrer Helmut Schmid

2 Fabian Handbuch: Handbuch der historischen Buchbestände in Deutschland, Österreich und Europa: Bibliothek der Evangelischen Nikolauskirche Isny
➥  https://fabian.sub.uni-goettingen.de/fabian?Evangelische_St._Nikolaikirche_(Isny)

 

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