Hexenglaube
Der Hexenglaube hatte über viele Jahrhunderte dazu geführt, dass Frauen verfolgt und ermordet wurden. Heute erinnern Masken und symbolische „Hexenverbrennungen“ in der oberschwäbischen „Fasnet“ noch an diese Begebenheiten.
Hexe
aus: Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 9. Leipzig 1907
Hexe (althochd. hagazussa, hazus, mittelhochd. hegetisse, hexse) ist ursprünglich = striga, d. h. eine bei Nacht durch die Luft fahrende Unholdin. Seit dem Beginn der planmäßigen Hexenverfolgung, die von etwa 1400–1700 dauerte, bezeichnet aber das aus früherer Zeit nur sehr selten überlieferte, damals aus der Schweiz und aus Oberdeutschland in den allgemeinen Sprachschatz eindringende Wort einen Sammelbegriff. Man bezeichnete als Hexen Frauen, von denen man annahm, dass sie einen Pakt mit dem Teufel geschlossen hätten, um unter Anwendung von Zaubermitteln den Mitmenschen Schaden zuzufügen, dass sie an einem unter dem Vorsitz des Teufels stattfindenden nächtlichen, gotteslästerlichen Sabbat teilnähmen, zu dem sie sich im Flug durch die Lüfte hinbegaben, und auf dem sie mit dem Teufel Unzucht verübten, dass sie endlich auf diesen Flügen oder verwandelt in allerlei Tiere (besonders Katzen oder Wölfe) Wetter machten sowie Vieh und Menschen auf mancherlei Art bezauberten. Die Einzelvorstellungen, aus denen dieser vorher nicht existierende Sammelbegriff kombiniert war, reichen, getrennt voneinander, tief in das Altertum zurück, und zwar gleichmäßig sowohl in das orientalische wie in das griechisch-römische und das germanische Altertum.
Es waren das
1) die schädigende Zauberei (maleficium) einschließlich des Wettermachens,
2) der weibliche Nachtspuk der Strigen,
3) die Verwandlung von Menschen in Tiere,
4) der geschlechtliche Verkehr zwischen Menschen und Dämonen,
5) die seit der Zeit der ersten Christenverfolgungen nachweisbare Vorstellung vom nächtlichen Sabbat.
Volkstümlich lebten sie, mit Ausnahme der letzten, durch das ganze Mittelalter fort, und zwar am intensivsten in den am wenigsten der Kultur erschlossenen Gebirgsländern. Von den Vertretern der Bildung in Kirche und Staat wurde zwar die Realität des Wettermachens, der Nachtfahrt der Strigen und der Tierverwandlung in der Zeit vom 9.–12. Jahrhundert mehrfach angezweifelt. Besonders Agobard von Lyon (820), Regino von Prüm (906) und Burkard von Worms (1020) haben diese Zweifel zum Ausdruck gebracht. Dagegen wurde die schädigende Zauberei, das maleficium, ununterbrochen stets auch von den Autoritäten in Kirche und Staat als real festgehalten; sie wurde von seiten der Kirche schon früh durch einen Pakt des Zauberers mit dem Teufel erklärt und von der geistlichen und weltlichen Gerichtsbarkeit bestraft.
Seit dem Beginn der Ketzerverfolgung im 13. Jahrhundert wurde dieser Pakt mit dem Teufel als Ketzerei qualifiziert und von der Inquisition gerichtet. Die als Ketzerei behandelte Zauberei wurde dann mit der aus der Verfolgung der Katharer und Waldenser neu entwickelten Idee des Ketzersabbats verknüpft, und gleichzeitig stützte die Scholastik mit ihrer Lehre von den Kräften des Teufels den alten, früher abgelehnten Glauben an Luftfahrten (zu diesem geheimnisvollen Sabbat) und an das Wettermachen durch Berufung auf die biblischen Erzählungen von Habakuk, von der Versuchung Christi u. a. So kam der theologisch konstruierte neue Sammelbegriff zustande, zu dessen Bezeichnung man in Deutschland das Wort »Unholde«, dann bald allgemein das Wort »Hexe« verwertete (lat. malefica, ital. strega, franz. sorcière).
Er wurde durch eine Fülle von Traktaten aus der Feder von Angehörigen des Dominikanerordens, der die Inquisition verwaltete, »wissenschaftlich« gestützt und, obwohl sich die Ketzer im übrigen aus beiden Geschlechtern gleichmäßig rekrutierten, auf Angehörige des weiblichen Geschlechts zugespitzt, da einerseits die alte Striga und die malefica (als Giftmischerin) seit jeher vornehmlich weiblich gedacht worden waren, anderseits aber für den geschlechtlichen Verkehr mit dem männlich gedachten Teufel nur das Weib in Frage kam, bei dem die Scholastik infolge ihrer Geringschätzung des andern Geschlechts eine Neigung zu so schändlichem Verkehr unbedenklich voraussetzte. Die Schändlichkeit der vorausgesetzten Verbrechen aber forderte die geistliche und weltliche Gerichtsbarkeit zur Verfolgung heraus, und die unfehlbare Methode des auf die Folter gestützten Inquisitionsprozesses führte seit 1400 allenthalben zur Entdeckung von zahlreichen Hexen, die dem Scheiterhaufen, der herkömmlichen Strafe für Ketzer wie für Zauberer, verfielen.
Die systematische Verfolgung, mit der schon um 1330 ein erster Versuch im Pyrenäengebiet gemacht worden war, nahm seit 1400 ihren Ausgang aus dem Alpengebiet, wo sich die Elemente des alten Volkswahns am zähesten erhalten hatten und der kombinierende Scharfsinn der spürenden Richter also am leichtesten durch die Frage auf der Folter die Realität des neuen, theologisch konstruierten Wahngebildes ermitteln konnte. Von da verbreitete sich der Wahn rasch nach Italien, nach Frankreich und nach Deutschland. Hier wurde die Verfolgung besonders gefördert durch Papst Innozenz‘ VIII. Bulle »Summis desiderantes affectibus« (1484).
»Wir haben neulich nicht ohne große Betrübnis erfahren«, heißt es darin, »dass es in einzelnen Teilen Oberdeutschlands und in den mainzischen, kölnischen, trierischen, salzburgischen, bremischen Provinzen und Sprengeln in Städten und Dörfern viele Personen von beiden Geschlechtern gäbe, welche, ihres eignen Heiles uneingedenk, vom wahren Glauben abgefallen, mit dämonischen Inkuben und Sukkuben sich fleischlich vermischen, durch zauberische Mittel mit Hilfe des Teufels die Geburten der Weiber, die Jungen der Tiere, die Früchte der Erde, die Trauben der Weinberge, das Obst der Bäume, ja Menschen, Haus- und andre Tiere, Weinberge, Baumgärten, Wiesen, Weiden, Körner, Getreide und andre Erzeugnisse der Erde zugrunde richten, ersticken und vernichten, die Männer, Weiber und Tiere mit heftigen inneren und äußern Schmerzen quälen und die Männer am Zeugen, die Weiber am Gebären, beide an der Verrichtung ehelicher Pflichten zu verhindern vermögen.«
Deshalb beauftragt der Papst die beiden Inquisitoren für Süd- und Norddeutschland, Heinrich Institoris und Jakob Sprenger, die jene Bulle am päpstlichen Hof erwirkt hatten, die Zauberer und Hexen auszuspähen, zu bestrafen und auszurotten, und befiehlt dem Bischof von Straßburg, Albrecht von Bayern, die Inquisitoren zu schützen und ihnen bei Ausführung ihres Auftrags hilfreiche Hand zu leisten. Institoris und Sprenger brachten den Hexenglauben in ein förmliches System, und ihr »Hexenhammer« (»Malleus maleficarum«. verfasst 1486, 1487 zum ersten Mal [in Straßburg], dann bis 1669 noch 28 mal gedruckt) wurde bald Gesetzbuch in Hexensachen und regelte das ganze ordentliche gerichtliche Verfahren gegen die Hexen. Er zerfällt in drei Teile: der erste handelt von der Hexerei im allgemeinen; der zweite von verschiedenen Arten und Wirkungen der Hexerei und den Gegenmitteln; im dritten ist das Gerichtsverfahren oder Hexenprozessrecht festgelegt. Hier wird zuvörderst die Zuständigkeit in dem Verfahren, falls Ketzerei spürsam sei, zwar dem geistlichen Richter zuerkannt, aber mit Rücksicht darauf, dass das geistliche Gericht reumütigen Sündern Gnade gewähren musste, während das weltliche Gericht die Todesstrafe (Verbrennung) rücksichtslos vollziehen konnte, das letztere in erster Linie zur Verfolgung der schändlichen Hexen ermuntert.
Dann wird in 35 Fragen der Prozeßgang erörtert. Der Richter durfte auf bloßes Gerücht hin ex officio anfangen, zu inquirieren und Zeugen, deren zwei oder drei genügten, zusammensuchen, sie vereidigen und mehrmals examinieren. Sogar Exkommunizierte, Infame konnten als Zeugen auftreten, ja Ketzer wider Ketzer, Hexen wider Hexen, die Frau gegen den Mann, Kinder gegen Eltern, Geschwister gegen Geschwister zeugen. Selbst Hauptfeinde des Angeklagten waren, mit wenigen Ausnahmen, als Zeugen zuzulassen. Der Anwalt durfte seinen der Ketzerei verdächtigen Klienten nicht über die Gebühr verteidigen, sonst wurde er billig noch für schuldiger gehalten. Um die Hexe zum Geständnis zu bringen, diente die Tortur.
Institoris allein ließ zu Konstanz und Ravensburg in kurzer Zeit 48 Weiber verbrennen, und bald wurde durch päpstliche Bullen von Alexander VI. Julius II., Leo X., Hadrian VI. und Clemens VII. die Hexenverfolgung auch für die übrigen europäischen Länder sanktioniert, der »Hexenhammer« durch die Ordensgenossen seiner Verfasser Bernard von Como (1508), Silvester Prierias (1520), Bartholomäus de Spina (1523) verteidigt. Ganze Gegenden wurden durch die Prozesse bedrängt, wie ein drückender Alp lag das Gespenst der Hexenfurcht auf dem Volk. Überall hatten geistliche und weltliche Gerichte ihre Späher. Die richterliche Untersuchung bezog sich vorzugsweise auf die sogenannte Hexenfahrt, den Hexensabbat, auch Hexenkultus, Hexenabendmahl genannt, und die Teilnahme der Inkulpatin daran.
Mit erfinderischer Phantasie hatte man dieses Fest ausgemalt: Zu gewissen Zeiten, namentlich in der Nacht des 1. Mai (Walpurgisnacht), in der zur heidnischen Zeit ein Frühlingsfest gefeiert wurde, hielt der Teufel große Hoftage. Als Ort dieser Zusammenkünfte waren, wie bei den Persern, bestimmte Hexenberge berüchtigt: der Blocksberg (Brocken im Harzgebirge), der Huy bei Halberstadt, der Köterberg nicht weit von Korvei an der Weser, der Fichtelberg, Zobten, der Heuberg in Schwaben etc.
Die Hexen verließen ihre Wohnungen auf Besen, Gabeln, Stöcken, Böcken oder Hunden durch den Schornstein und eilten im schnellsten Fluge dem betreffenden Orte zu, wo der Teufel in Gestalt eines Bockes oder Menschen auf seinem Thron saß, die neuen Hexen feierlich aufnahm und einweihte, dann sich förmlich huldigen ließ, indem die Hexen nach einem Ringeltanz um seinen Thron (Hexentanz) einzeln nahten, um seinen Hintern zu küssen. Dann wurde ein üppiges Gelage gehalten, und zuletzt vergnügte sich jede Hexe im stillen mit ihrem Buhlteufel. Mit dem frühesten Morgengrauen ging die Hexenfahrt auf dieselbe Weise wieder zurück, doch gab der Teufel einer jeden Zauberpulver mit, was zur Verübung aller sonst den Hexen zur Last gelegten Bosheiten diente.
Die in den Prozessen oft genannte Hexensalbe war, wie viele Akten ergeben, aus Fett, Nachtschatten, Tollkirschen, Mandragora, Opium, Schierling und andern zum Teil narkotischen Pflanzenstoffen bereitet, und Versuche sollen angeblich dargetan haben, dass so eingesalbte Weiber in tiefen Traumschlaf verfielen, worin sie von ihrer Beteiligung am Hexensabbat phantasierten. Gestand die Hexe, so wurde sie alsbald verurteilt; leugnete sie standhaft, so wurde zur Folter geschritten und diese bei fortgesetztem Leugnen mit Umgehung des Gesetzes, das eine zweimalige Folter verbot, als »Fortsetzung der ersten Tortur« nach einigen Tagen wieder angefangen. Bisweilen behalf man sich ohne Geständnis mit der Hexenprobe. Fand sich am Körper der Hexe irgend ein Muttermal, so war dies sicher das Hexenmal, Hexenzeichen, womit der Teufel sie als die Seinige bezeichnet hatte. Dieses Hexenmal wurde mit Nadeln durchstochen: fühlte die Gestochene keinen Schmerz, so war sie unzweifelhaft schuldig.
Da nach dem »Hexenhammer« die Feuerprobe nichts fruchtete, weil das Feuer ein dem Teufel freundliches Element sei, so wendete man die Wasserprobe (Hexenbad) an, und zwar, indem man die entkleidete Inkulpatin kreuzweise gebunden, so dass die rechte Hand an die große Zehe des linken Fußes und die linke Hand an die große Zehe des rechten Fußes kam, mit einem langen Strick um den Leib aufs Wasser legte; sank sie unter, so war sie unschuldig, schwamm sie aber oben, so war sie überführt. Ein analoges Erkennungsmittel bildete die Hexenwage, auf der sie nicht das natürliche Gewicht zeigte. Das Urteil lautete meist auf Verbrennen.
Auch die protestantische Geistlichkeit teilte den Teufels- und Hexenglauben, und es waren der Hexenprozesse in den protestantischen Ländern nicht weniger als in katholischen. In einem Bericht des koburgischen Centgrafen Kaspar Langen vom 19. April 1628 liest man von dem sonst sehr aufgeklärten protestantischen Herzog Johann Kasimir: »Seine fürstlichen Gnaden hätten sich endlich entschlossen, die Hexen und Drutten, beides hier uf’n Lande, so viel möglich, exterminiren, ausrotten und zu gebührlicher, wohlverdienter Straf, die Reichen mit den Armen und die Alten mit den Jungen, nehmen zu lassen, maßen der Anfang bereits darzu gemacht worden« etc. Auch über die kontroverse Frage: »ob die Untersuchungskosten vom Fiskus oder von den Erben der justifizierten H. getragen werden sollten«, ließ der Herzog 1628 ein Gutachten vom Koburger Schöppenstuhl einholen, des Inhalts: »dass die Obrigkeit berechtigt sei, die Güter der wegen Hexerei Kondemnierten zu konfiszieren, und dass an anderen Orten die ob crimen haereseos eingezogenen Güter ganz oder zum halben Teil den Inquisitoribus ad exstirpandos haereticos zugeschlagen werden sollten, und sollte ein Christ dasjenige, was vom Teufel immediat herrührt, zu behalten nicht begehren, sondern selbst der Obrigkeit offerieren, damit solch verflucht Geld zur Ausrottung der Hexerei angewendet werden möchte«.
Dieses Gutachten lässt uns als eine der Haupttriebfedern mancher Hexenverfolgung den Gelddurst erkennen. In England, wo König Jakob I. höchst eigenhändig als Schriftsteller gegen Hexen und Teufelsbündnisse vorging, erhielt ein gewisser Matth. Hopkins, der 1644 alle Provinzen des Reiches auf der Hexenjagd durchzog, für die Entdeckung einer Hexe 20 Schilling (16,5 Mk.) und schrieb ein besonderes Werk über die Kunst, Hexen ausfindig zu machen, auf dessen Titel er sich Hopkins, Hexenfinder, zeichnet. Noch zu Ende des 16. Jahrhunderts verurteilte ein einziger Hexenrichter, Remigius, 800 Hexen in Lothringen zum Scheiterhaufen.
Schon im 16. und 17. Jahrh. fehlte es nicht an Männern, die sich den Inquisitoren widersetzten und den Glauben an Hexerei bekämpften. Namentlich waren dies der Mailänder Minorit Samuel de Cassinis (1505), die beiden Juristen A. Alciatus in Mailand (1515) und F. Ponzinibius in Piacenza (1520), der Düsseldorfer Johann Wier oder Weyer (s. d.), Leibarzt des Herzogs Wilhelm von Kleve-Jülich-Berg um 1550, die Jesuiten Adam Tanner (gest. 1632) und Friedrich Spee (gest. 1635), vorzüglich aber Balthasar Bekker, reformierter Geistlicher in Amsterdam, in dessen »Bezauberter Welt« (»De betooverde weereld in vier bocken«, Amsterdam 1691–93) mit großer Freimütigkeit das ganze Teufels- und Hexensystem angegriffen und bekämpft wird.
Allein die Bestrebungen dieser Männer wurden noch zu wenig von der öffentlichen Meinung unterstützt; erfolgreich bekämpfte den Wahn erst der gelehrte Christian Thomasius (s. d.) aus Leipzig (gest. 1718) in seinen Schriften: »Dissertatio de crimine magiae« (1701) und »De origine et progressu processus inquisitorii contra sagas« (Halle 1712). Gleichwohl finden sich auch im 18. Jahrh. noch hier und da Überbleibsel des alten Unwesens. Am 21. Jan. 1749 wurde Maria Renata, Subpriorin des Klosters in Unterzell, als Hexe in Würzburg enthauptet und dann ihr Leichnam verbrannt, zu gleicher Zeit hielt ein ganzes polnisches Dorf die Wasserprobe aus, und noch 1785 fiel ein Opfer des Hexenglaubens in Glarus, 1793 das letzte im Großherzogtum Posen.
Aber noch 1836 wurde eine vermeintliche Hexe von den Fischern der Halbinsel Hela der Wasserprobe unterworfen und, da sie nicht untersinken wollte, gewaltsam ertränkt. In den andern Weltteilen spielten Hexenprozesse bis in die neueste Zeit fort, und in Mexiko endigten zwei derselben (1860 und 1873) mit Verbrennung der Opfer. Auch beim europäischen Landvolk hält sich der Hexenglaube noch heute, und in vielen Dörfern steht eine alte Frau mit entzündeten Augenlidern im Verdacht, Menschen und Vieh »etwas antun«, das »Zusammengehen« der Butter verhindern etc. zu können. Noch in neuerer Zeit tritt die Beschuldigung der Hexerei und des Teufelsbündnisses nicht selten in Injurienprozessen hervor, von denen Andree im »Globus« (1894) eine Anzahl gesammelt hat.
Vgl. Soldan, Geschichte der Hexenprozesse (neu bearbeitet von Heppe, Stuttg. 1880, 2 Bde.), und Roskoff, Geschichte des Teufels (Leipz. 1869, 2 Bde.); über die französischen Hexenprozesse Baissac, Les grands jours de la sorcellerie (Par. 1890); über die englischen Walter Scott, Letters on demonology [301] and witchcraft (neue Ausg., Lond. 1872 u. 1884; deutsch, Zwick. 1833); über die holländischen Scheltema, Geschiedenis der heksenprocessen (Haarl. 1828); ferner: Unger, Botanische Streifzüge, Heft 3 (Wien 1859, über die Hexensalbe); Baldi, Die Hexenprozesse in Deutschland (Würzb. 1874); L. Mejer, Die Periode der Hexenprozesse (Hannov. 1882); J. Diefenbach, Der Hexenwahn vor und nach der Glaubensspaltung in Deutschland (Mainz 1886); Regnard, Les maladies epidemiques de l’esprit (Par. 1886); Längin, Religion und Hexenprozeß (Leipz. 1888); Snell, Hexenprozesse und Geistesstörung (Münch. 1891); Henne am Rhyn, Der Teufels- und Hexenglaube (Leipz. 1892); Binz, Doktor Johann Weyer, der erste Bekämpfer des Hexenwahns (2. Aufl., Berl. 1896); Riezler, Geschichte der Hexenprozesse in Bayern (Stuttg. 1896); J. Hansen, Zauberwahn, Inquisition und Hexenprozeß im Mittelalter (Münch. 1900) und Quellen und Untersuchungen zur Geschichte des Hexenwahns (Bonn 1901; darin S. 614 ff. Geschichte des Wortes »H.« von J. Franck); Sepp, Orient und Occident. 100 Kapitel über die Nachtseiten der Natur etc. (Berl. 1903); Masson, La sorcellerie et la science des poisons an XVII. siècle (Par. 1904). Die ältere Literatur verzeichnet Grässes »Bibliotheca magica«, S. 24–42 (Leipz. 1843).
Quelle: Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 9. Leipzig 1907, S. 299-302.
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Hexen
Im Folgenden zitiert aus: Ernst Heinrich Meier: Deutsche Sagen, Sitten und Gebräuche aus Schwaben
1 – Hexen sind in der Regel Weiber, die sich dem Teufel verschrieben haben, dass sie Schaden stiften wollen. Oft vererbt sich auch die Hexerei in gewissen Familien, indem die Mütter ihre jungen Kinder, besonders die ungetauften, dazu anhalten und sie z. B. schon tanzen lassen. So sollen namentlich die ältesten Töchter in den meisten Familien Hexen sein. Eine Hexe ist auch nach dem Tode dem Teufel verfallen und zieht im Mutesheere mit ihm durch die Luft. Während ihres Lebens hat sie keine Ruh und Rast, sondern ist beständig getrieben Menschen und Tiere zu quälen und Früchte und Felder zu verderben, so viel sie kann. Dazu aber hat sie vom Teufel übermenschliche Macht erhalten.
Eine Hexe kann Frost, Sturm und Gewitter hervorbringen, kann Krankheiten und Tod bewirken, kann sich schnell an jeden Ort hinzaubern wohin sie will, indem sie auf Katzen oder auf Besen und Ofengabeln durch die Luft reitet. Namentlich reiten alle Hexen so zu ihren wöchentlichen und jährlichen großen Versammlungen, die auf gewissen Bergen gehalten werden. Hier müssen sie dem Teufel Bericht erstatten über das, was sie ausgeführt haben, und bekommen neue Aufträge.- Zugleich wird getanzt, geschmaust und aus Kuh und Pferdehufen getrunken. Von dem Hexenritte werden die Katzen oft ganz mager und krank; schneidet man ihnen dann aber ein Stück vom Ohre oder vom Schwanze ab, so sind sie untauglich zu dem Ritte und erholen sich wieder.
2 – Wenn eine Hexe Jemand quälen oder wie man auch sagt „reiten“ will, so verlässt sie Nachts als Geist ihren Körper und schlupft als Maus zum Munde heraus. Der Leib liegt dann wie tot im Rücken, indem der Mund geöffnet ist. Würde man sie um kehren und mit dem Gesicht aufs Kissen legen, so müsste sie ersticken, weil die Seele nicht wieder hineinziehen kann. So machte es einst ein Bursch, der Nachts zu seinem Mädchen stieg und es nicht wecken konnte. Er legte es auf den Bauch. Da kamen aber sogleich eine Menge Katzen und kratzten und bissen ihn, bis er das Mädchen wieder in den Rücken legte.
3 – Die Hexen fahren zum Kamin oder Schornstein hinaus und kommen auf demselben Wege auch wieder in ihr Haus. Sind sie aber Morgens vor der Betglocke nicht da, so stürzen sie durchs Kamin herunter. Auf dem nämlichen Wege ziehen sie auch in fremde Wohnungen ein und aus. In der Zeit von der Betglocke Abends bis zur Betglocke Morgens ist man den Einwirkungen der Hexen ganz besonders ausgesetzt. Trägt man während dieser Zeit Milch über die Straße, ohne dass man einige Salzkörnchen hineingeworfen hat, so können sie den Kühen beikommen und sie beschädigen. Sehr häufig reiten sie Nachts auch die Pferde und flechten die Hals und Schwanzhaare in Zöpfe zusammen. Dann zittern die Pferde des Morgens und schwitzen am ganzen Leibe.
4 – Die Hexen können durch bloßen Blick ein Kind krank machen. Namentlich bewirken sie, dass ganz kleine Kinder Brüste bekommen, die Milch geben und säugen können. Oft zwingen sie auch Kindern gewisse Speisen und Getränke an, von denen sie krank werden und nachher allerlei seltsame Sachen ausbrechen, z. B. Haare, Knöpfe, große Nägel u. dergl.
5 – Der Veitstanz kommt bloß von den Hexen her. Ebenso das Albdrücken.
6 – Die Hexen stehlen auch gern ungetaufte Kinder und bringen sie um, um ihnen die Hände abzuschneiden. An einer solchen Hand kann man alle fünf Finger anzünden und die gebraucht man beim Stehlen. Dringt nämlich Einer Nachts in ein Haus, steckt die Hand an und alle Finger brennen, so ist das ein Zeichen, dass alle Hausbewohner schlafen. Brennt ein Finger nicht, so wacht noch Jemand; brennen zwei nicht, so sind noch zwei Menschen wach u.s.f. Andre sagen, aus den Fingern ungetaufter Kinder werde Hexenbrei gekocht. Sie sollen auch ungetauft verstorbene Kinder ausgraben, um ihnen einen Finger abzuschneiden. Noch andre sagen, die Spitzbuben machten Pfeifen aus solchen Fingern.
7 – Hexen können sich beliebig in verschiedene Tiere verwandeln, namentlich in Katzen, Schweine, Pferde, auch in Vögel z. B. in Gänse, Elstern u.s.w. Am leichtesten aber in Schweine (Derendingen)
8 – Die Hexen erhalten gewöhnlich wenig Lohn für ihre Untaten. Doch werden manche auch reich dadurch indem sie z. B. Milch aus einer Handzwehle melken und Hexenbutter verkaufen.
9 – Hat eine Hexe oder ein Hexenmeister ein Stück Vieh beschädigt oder umgebracht, so kann man sie zur Strafe ziehen. Man stecke in das Herz des toten Tiers drei Nägel und drücke diese täglich etwas tiefer hinein, so muss die betreffende Person absterben, wenn sie nicht kommt und um Erbarmen bittet und man die Nägel her auszieht. Ebenso stirbt eine Hexe an der Schwindsucht, wenn man ihre Fußtritte ausschneidet und in den Kamin hängt.
10 – In der Christnacht und Karfreitagsnacht halten die Hexen einen großen Umzug. An diesen beiden Tagen kann man durch gewisse Mittel in der Kirche erkennen, welche Frauen Hexen sind (vergl. die Gebräuche). Sonst erkennt man die Hexen auch daran, dass sie am Samstag Abend spinnen. Ferner blinzeln alle Hexen. Sieht man einer Hexe aber in die Augen, so blickt das Bild verkehrt heraus.
11 – Berüchtigt und gefürchtet sind die Hexen mancher Orte, z.B. die von Gomaringen und Pfrondorf in der Nähe von Tübingen. Als die stärkste Verwünschung betrachtet man den Fluch: „dass dich das beste Paar Hexen von Gomaringen oder Pfrondorf reiten tät“. – Saulgau in Oberschwaben heißt in der ganzen Umgegend wegen seiner vielen Hexen das „Hexenstädtle“. Das Wiesensteiger Tal heißt das „Hexenthäle“ oder „Gaisthäle“. In Möhringen auf den Fildern sagt man. seien sechs Hexen mehr als Milchhäfen im ganzen Orte
12 – Bei heftiger Hitze sagt man wohl: „heut ist es so heiß dass man eine Hexe auf dem Sims (am Fenster) „bräckeln“ (d. i. braten) könnte.“ (Tübingen)
13 – Es gibt verschiedene Schutzmittel gegen die Hexen. Stellt man einen Besen aufwärts hinter die Stubentür, so kann keine Hexe hereintreten, ebenso kann sie es nicht, wenn man drei „Krottenfüße“ oder „Trotenfüße“ (Drudenfüße) über die Tür zeichnet. Auch an Kornsäcke und Krippen malt man oft solche Zeichen. Ferner kann keine Hexe einem Schlafenden beikommen, wenn die Schuhe mit der Spitze gegen das Bett gerichtet sind.
14 – Ein Pferdehuf über der Stalltür festgenagelt, schützt das Vieh vor Hexen. (Groß Heppach)
15 – Wenn man zum Melken aus dem Hause über die Straße gehen muss, so soll man immer etwas Salz in den Melkkübel streuen, um die bösen Leute abzuhalten. Auch beim Butterstoßen wirft man etwas Salz und Brot ins Fass zum Schutz gegen Hexen.
16 – Wenn eine Hexe einen Menschen „reitet“ und ihn drückt, dass er kaum atmen kann, so darf man ihn nur dreimal beim Vornamen rufen, dann muss die Hexe von ihm weichen
17 – Hat man seine Notdurft verrichtet, namentlich sein Wasser gelassen, so soll man dreimal ausspeien, dann können einem die Hexen nicht bei.
18 – Messer mit drei Kreuzen versehen, schützen gegen Hexen.
19 – Man darf keiner Hexe irgend etwas leihen.
20 – Des Freitags (auch Mittwochs) ist es besonders gefährlich von Hexen zu reden, weil sie es dann hören können, wenn man nicht hinzufügt: „Dreck vor d’Aure“ (Ohren)
21 – Begegnet man einer Hexe, so soll man dreimal sagen: „In Gottes Namen“
22 – Um Hexen zu vertreiben, gebraucht man „Steinöl“. Um die Kühe vor ihnen zu schützen, streicht man denselben „Katharinenöl“ um die Nase und an die Krippe (Calw)
23 – Legt man Neunfingerleskraut unters Kopfkissen oder trägt Asche von verbrannten Erlen und Sevenblätter Juniperus Sabina bei sich, so können die Hexen einem nicht bei. (Calw)
24 – Schlägt man einer Hexe mit dem Rücken der Hand ins Gesicht, dass es blutet, und wischt das Blut mit einem Tuche ab und verbrennt dies, so muss die Hexe sterben. Oft kommt sie dann während des Verbrennens und bittet dass man sie verschone. (Calw)
25 – Anstatt Hexen soll man immer sagen „böse Leut“, sonst hören sie es und rächen sich, namentlich wenn man am Mittwoch und Freitag von ihnen spricht ohne dass man vorher dreimal sagt: „Dreck vor die Ohren“. Sagt man dies aber, so hören sie nichts. (Heubach)
26 – In Ställen muss man das Spinnengewebe sitzen lassen, sonst beschädigen einen die „bösen Leut“. In Wohnzimmern aber muss man das Spinnengewebe immer von unten herauf wegnehmen, nie von oben herab, sonst bekommt man böse Finger. (Heubach)
Ernst Heinrich Meier: Deutsche Sagen, Sitten und Gebräuche aus Schwaben, Stuttgart 1852, , Band 1, Nr.195