Hinweise zur Provenienz des Altars aus Isny

Vor 1846 (ab dann befanden sich Teile im Besitz der Sammlung Hirscher) wurden die Tafeln des von Altars der Nikolaikirche verkauft – vielleicht, um die Umgestaltung der Nikolaikirche im neugotischen (modernen) Stil zu finanzieren (1854-1860) – eventuell auch, um die Schulden der Stadt Isny zu jener Zeit zu tilgen. Eventuell war den Kirchenoberen der Altar im 19.Jahrhundert auch (mit den Heiligenbildern) „zu katholisch“ – oder es wurde schlicht Geld benötigt. Zwischen 1800 und 1848 wüteten auch im Allgäu Aufstände und französische, bairische und vorarlbergische Militäreinheiten zogen durch, die Verpflegung erpressten. Zwischen 1816 und 1817 herrschte in Isny große Hungersnot. Seit 1803 war Graf Otto von Quadt nach der Mediatisierung „Herr von Isny“ – der eventuell um seine Zukunft bangte und Geld benötigte – vielleicht auch für den Aufbau der Glasfabrikation im Kreuzthal. Alles Spekulation. Gesicherte Kenntnisse habe ich leider (noch) nicht.

Der „alte“ Altar war vermutlich ein ➥ Polyptychon, ein mehrfach geteilter Altar mit Scharnieren zum Aufklappen, auf dem die Lebens- und Leidensgeschichte Christi dargestellt wurde. Eventuell war der Altar ein Marienaltar mit Darstellungen der „7 Leiden und der 7 Freuden Marias“ – wofür drei der bekannten Tafeln sprechen, auf denen Maria abgebildet ist. Dann müsste der Altar mindestens 14 Tafeln umfasst haben.

Die Gemäldegalerie Berlin hatte 1850 einige Arbeiten aus der Sammlung Hirscher erworben. Helmut Schmid datiert den Verkauf auf das Jahr 1850 und bildet in seiner Abhandlung „Isny – Bilderbuch einer württembergischen Allgäustadt vier Tafeln des Altars ab: 
– Verkündigung an Maria / Fußwaschung / Christus nimmt Abschied von seiner Mutter / Entkleidung Christi (s.u)6

Diese Einzelteile des Strigel-Altares werden allerdings im Bestand der Sammlung Hirscher bereits in einem Artikel von 1848 erwähnt und hatten sich dort bereits 1846 befunden, zwei Tafeln wurden 1850 von der Gemäldegalerie Berlin erworben. ( ➥ https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/kunstblatt29_1848/0244/image,info).

Wenn man sich den noch erhaltenen und von Strigel mit gestalteten Altar im Kloster Blaubeuren betrachtet, bekommt man einen Eindruck, wie der Altar in Isny ausgesehen haben könnte. Dort ist der gemalte Teil auf sechzehn Tafeln ausgebreitet, die bei geschlossenen Innenflügeln in zwei Reihen die Geschichte Johannes des Täufers, des Titelheiligen der Kirche, erzählen. (vgl. Otto, Gertrud: Bernhard Strigel, Berlin: Deutscher Kunstverlag, 1964, S.23)

In einem kleinen Führer durch Isny wird im Kapitel: „Die Kirchenbibliothek von St.Nikolai erwähnt, dass Chor mit Sakristei und Bibliothek von dem Brand des Jahres 1631 verschont blieben.“ 5

Bei Martin Stadelmann, Die Kirchen der Stadt Isny im Allgäu, Isny 1949, heißt es unter Nikolaikirche (S. 30): „ Bei der wenig glücklichen Renovation in den Jahren 1854 bis 1860 wurde der alte Flügelaltar mit Gemälden des berühmten Bernhard Strigel aus Memmingen sowie das Chorgestühl aus der Ulmer Schule Syrlins d. J. verkauft und durch die heutige Chorausstattung ersetzt.“ – wobei kein Beleg für den Verkauf in diesem Zusammenhang genannt wird. ³

Bei Immanuel Kammerer/Georg Kopp, Die Nikolaikirche in Isny und ihre Bibliothek, Isny 1949, heißt es auf S. 12: „Eine durchgreifende Erneuerung der Kirche erfolgte in den Jahren 1854 bis 1860. Aus dieser Zeit stammen u. a. das Westportal, die Brüstung der Orgelempore, die Altäre im Chor und Schiff, nachdem leider der alte Flügelaltar mit Gemälden von Bernhard Strigel veräußert wurde, die gemalten Fenster im Chor und in der Eberz’schen Kapelle.“³

E. Rettich bezeichnet mehrere Bilder als „Teile des Aulendorfer oder Isnyer Altars“ – wobei die Kirche in Aulendorf schon früh barockisiert wurde und ein Verkauf eines Altars aus Aulendorf im 19.Jahrhundert eher unwahrscheinlich erscheint. – in Isny erfolgte jedoch um diese Ankaufszeit der Striegel-Bilder durch die Kunsthalle Karlsruhe und durch die Gemäldegalerie Berlin eine Umgestaltung der Kirche. Es wäre jedoch auch möglich, dass die Altarbestandteile nach der Barockisierung in Aulendorf eingelagert – und erst Mitte des 19.Jahrhunderts verkauft wurden.4
Gestrichen: Die als Bestandteile des Altares genannten Tafeln befanden sich bereits vor 1846 im Besitz der Sammlung Hirscher.

Das Bild „Die Fußwaschung Christi“ (Abb. im Kapitel: „Die verschollenen Altäre...) – im Besitz der Kunsthalle Karlsruhe – wird als „Flügelbild aus dem ehem. Altar der St.Nikolaus-Kirche in Isny“ bezeichnet.

Kommentar zum Bild „Christus nimmt Abschied von seiner Mutter“ (Gemäldegalerie Berlin):
Die Tafel ist Teil eines umfangreichen Altarretabels gewesen. Eine weitere Tafel mit der Entkleidung Christi befindet sich ebenfalls in der Gemäldegalerie (…) Der klar gegliederte Aufbau der Szenen, das Verhältnis der monumentalen Figuren zur Landschaft und die breit angelegte Malerei mit den tiefleuchtenden Farben deuten auf den Beginn des Spätstils Strigels gegen 1520 hin. Die Provenienz aus Isny im Allgäu ist nicht gesichert.

Aus welchen Gründen hätte Isny diesen wertvollen Altar verkaufen sollen?

1816 / 1817 hatte es in Isny (und ganz Deutschland) eine Hungersnot gegeben, die durch Missernten ausgelöst wurde.
Seit dem Frieden von Luneville 1801 war Isny keine Reichsstadt mehr, sondern „Entschädigungsmasse“ für den vormals linksrheinischen Grafen Otto zu Wykradt und Isny – und dieser wurde „Herr von Isny“.. „Am 10.September 1806 übergibt der französische General Börner die Reichsgrafschaft Isny an Württemberg. Isny verliert damit seine Einkünfte und erhält seine Schulden, die sich um jene Zeit auf rund 130.000 Gulden belaufen.“ 9
Eine vom Schwäbischen Kreis eingesetzte Kommission Isny hatte bereits 1775 für Isny einen Schuldenstand von 159.398 Gulden festgestellt.

Die Alfred Weitnauer berichtet über folgendes Ereignis im Jahr 1821:10

„Anlässlich der Zusammenstellung der Isnyer Schulden entdeckt der Stadtrechner in den städtischen Rechnungsbüchern, dass ein von Zürich der Stadt im Jahr 1648 gegebenes Darlehen von der Stadt Isny noch nicht zurückgezahlt ist. Daraufhin ordnet der Rat der Stadt Isny zwei Bürger ab, die nach Zürich reisen und dort die alten Schulden mit Zins und Zinseszins zurückzahlen sollen. Aber auch in Zürich ist das Darlehen, das man vor 170 Jahren gegeben hat, inzwischen in Vergessenheit geraten.
Erst nach viertägigem Suchen stellt man fest, dass es sich beim Darlehensgeber um die Züricher Weberzunft gehandelt hat. Die Isnyer Deputation erstattet daraufhin Kapital und Zinsen zurück; die Zinsen werden den redlichen Isnyern jedoch geschenkt, worauf diese sich ebenfalls als großzügig erweisen und zusammen mit den Nachkommen der einstigen Geldgeber einen Teil der Zinsen im Züricher Ratskeller vertrinken. Von den Schulden der Stadt übernimmt der württembergische Staat 80.000 Gulden.“

Anmerkung: So send se die Allgäuer. Redlich und trinkfest

Zu dem Schuldenerlass ist noch anzumerken, dass die Schulden der Stadt Isny nach dem Erlass von 80.000 noch Schulden in derselben Höhe übrig blieben – die der neue „Herr von Isny“ sicher nicht übernehmen wollte – oder Isny eine Möglichkeit zur Schuldentilgung gefunden hatte. Dass Isny kurz nach den Hungerjahren 1816/1817 bereits 80.000 Gulden zurückzahlen konnte, deutet auf hohe Einnahmen hin. Eventuell wurden für diese Tilgung Isnyer Schätze verkauft – womit wir wieder beim „Altarthema“ wären. Hirscher hatte bereits 1818 Kunst auf Auktionen aufgekauft – und das „alte Zeugs“ in den Kirchen war für die Menschen am Beginn des industriellen Zeitalters – und nach der Säkularisation nicht unbedingt „behaltenswert“. Zahlreiche Kirchen des Allgäus wurden geräumt und der Inhalt meistbietend versteigert. (siehe Kapitel „Mögliche Sammler“)

In der Specht’schen Chronik wird berichtet, dass 1534 im Zuge der Reformation alle Bildwerke aus der Kirche entfernt und in der Ölbergkapelle eingelagert wurden. Dort könnten diese die Jahrhunderte – und die Stadtbrände – unbeschadet überstanden haben.14 


Fußnoten

¹ vgl. Kammerer, Immanuel: Isny im Allgäu – Bilder aus der Geschichte einer Reichsstadt, Kempten, 1956, S. 101

² Isny hatte eine besondere Beziehung zu Kaiser Maximilian I.:
Sein Vater, Kaiser Friedrich III verlieh der Stadt 1488 „…für besondere Tapferkeit bei der Befreiung seines Sohnes König Maximilian aus der Gefangenschaft der Stadt Brügge das Recht, einen golden gekrönten Adler mit silbernem Brustschild, in dem sich das bisherige Wappen, ein Hufeisen befindet, fortan als neues Wappen zu führen. …1507 gewährte Maximilian der Stadt das Recht, Silbermünzen zu prägen. (vgl. Hartmann/Stützle (a.a.O., Kapitel: „Aus der Isnyer Geschichte)

³ Diese Literaturangaben habe ich dankenswerterweise von Frau Siegloch, Stadtarchivarin der Stadt Isny erhalten

4 E. Rettich: Ergänzungen und Berichtigungen zu Alfred Stanges „Deutsche Malerei der Gotik,“ VIII. Band, „Schwaben in der Zeit von 1450 bis 1500“, Zeitschrift für Kunstgeschichte, 22. Bd., H. 2 (1959), S. 158-167, (Quelle: ➥ https://www.jstor.org/stable/1481450)

5 Isny im Allgäu – Führer durch Stadt und Umgebung, Hrg. Stadt Isny, 1978, S.53

6 Helmut Schmid: Bilderbuch einer württembergischen Allgäustadt, 1995, ISBN 3-00-008119-4, S.66/67

9 Alfred Weitnauer: Allgäuer Chronik, Band III, S.222

10 A. Weitnauer,  S. 280

11 Immanuel Kammerer und Georg Kopp: Die Nikolaikirche in Isny und ihre Bibliothek, Im Selbstverlag des Verfassers, 1949, S.19

12 Alfred Weitnauer: Allgäuer Chronik, Bilder und Dokumente, Verlag für Heimatpflege Kempten/Allgäu, 1962, S.212. Anmerkungsteil: „Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, Inv. Nr. 61. Vier weitere Tafeln dieses Altars, die sich in Berliner Museumsbesitz befinden, wurden während des zweiten Weltkrieges zerstört. Vgl. dazu A.Stange, Malerei der Gotik VIII, S.144“

13 Georg Bader: Freiheit kostet Kraft – Vom Existenzkampf der kleinen Reichsstadt Isny, Manuskript für eine Hörfunksendung des Südwestfunks zum 600. Jahrestag der Erhebung zur Freien Reichsstadt 1965

14 Specht’sche Chronik
https://books.google.de/books/about/Isnisches_Denkmal_welches_in_sich_fasset.html?id=QKepSYrij2YC&redir_esc=y

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