Die verschollenen Altäre der Nikolaikirche Isny
Vorbemerkung: Diese Seite über die Altäre der Nikolaikirche Isny ist „work-in-progress“ und wird ständig an neue Informationen angepasst. Möglicherweise entstehen dadurch auch Dopplungen und etwas holprige Formulierungen. Verbesserungsvorschläge und Hinweise nehme ich gerne entgegen (strigel – ät – autenrieths.de).
Diese Informationen sind noch nicht final wissenschaftlich abgesichert und 100% fundiert und zum Teil begründete Spekulation – ich bemühe mich jedoch um Quellensicherheit und bin mit mehreren fachkundigen Kunsthistorikern im Kontakt.
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strigel.oberschwabenschau.info
Unterkapitel
- Weitere Kapitel zu Strigel und zur Nikolaikirche
- Bernhard & Ivo Strigel – und die Altäre in Isny
- Isny und die Nikolaikirche um 1500
- Überlegungen zum Verbleib der Altäre zwischen 1523 und 1846
- Vorgehensweise bei der Rekonstruktion und Recherche
- Indizien für die Provenienz aus Isny
- Wahrscheinliche Bestandteile der Altäre
- Fußnoten
- „Disclaimer“
Weitere Kapitel zu Strigel und zur Nikolaikirche
- Chorgestühl von Syrlin d.J.
- Die Prädikantenbibliothek der Nikolaikirche Isny
- Die verschollenen Altäre der Nikolaikirche Isny
- Umbau der Nikolaikirche Isny 1860
- Reformation und Bildersturm in Isny
Bernhard & Ivo Strigel – und die Altäre in Isny
➥ Bernhard Strigel hatte vermutlich einen der verschollenen Altäre der ➥ Nikolaikirche Isny zwischen 1515 und 1520 gestaltet. Es spricht viel dafür, dass der ➥ Katharinenaltar 30 Jahre zuvor von seinem Vater Ivo Strigel gestaltet wurde. Es sind weitere Altäre der Kirche verschollen. Die Nikolaikirche besaß zu jener Zeit – wie in katholischen Kirchen üblich – mindestens 8 Altäre (Hauptaltar und 7 „Kapläne“). Der Hauptaltar des Bernhard Strigel könnte zum Besuch von Kaiser Maximilian und der Fertigstellung des Choranbaus der Nikolaikirche 1508 bestellt worden sein.
Aufgetaucht sind Altarbestandteile erst wieder in ➥ Bestandslisten der Sammlung Hirscher um 1846. Heute befinden sich die Teile des Altars weltweit verstreut in renommierten Museen und Privatsammlungen. Entdeckt habe ich Teile, die der Nikolaikirche zugeordnet werden, in Sammlungen der Gemäldegalerie Berlin und der Kunsthalle Karlsruhe. Die zentrale Tafel mit der Kreuzigung Jesu wurde von Gertrud Otto den Uffizien in Florenz zugeordnet, wo sie jedoch unbekannt ist. Beim Bombenangriff auf Berlin 1945, dem im Flakturm von Friedrichshain die Heiligenbilder des Altars zum Opfer fielen, befand sich auch eine Kreuzigungsszene, die der Beschreibung entspricht. Diese wurde Hans Baldung Grien zugeschrieben. Einige Werke Strigels wurden jedoch fälschlicherweise diesem Künstler zugeordet, sodass dies auch hier der Fall gewesen sein könnte. Abbildung siehe hier: ➥ Der Strigel-Altar der Nikolaikirche
Vermutlich wurden – um sie für den Verkauf gefälliger zu machen – auch Altarflügel zersägt und geteilt. Strigel hatte – wie damals üblich – die Altarflügel direkt auf Tannenholz gemalt. Es wird erwähnt, dass Altarbilder „gespalten“ wurden. So wurden Vorder- und Rückseite geteilt, um den Verkauf vornehmen – oder die Tafeln besser präsentieren zu können. Die Verkündigungsszene und die Fußwaschung waren ursprünglich auf einer Tafel Vorder- und Rückseite. Die hier abgebildeten Teiltafeln (farbig in Karlsruhe und Berlin, s/w verschollen/zerstört am Ende von WKII in Berlin) besitzen dasselbe Rastermaß (87 x 71 cm), was darauf schließen lässt, dass es sich um Teile EINES Altarretabels handelt. Der „farbige“ Altar war vermutlich die Festtagsseite (Innenseite) und die (leider nur noch s/w vorhandenen) Tafeln die „Werktagsseite“ des geschlossenen Retabels.
Anmerkungen
Von den schwarz-weiß abgebildeten Altarbestandteilen der Heiligenbilder existieren leider keine farbigen Reproduktionen. Die Tafeln wurden 1945 bei einem Bombenangriff in Berlin zerstört. Die Klebe-Haftmontage verwende ich als Versuch zur Rekonstruktion der Anordnung der (jeweils 87×52 cm großen) Tafeln. Diese Anordnung ist mit Sicherheit falsch. Es fehlt die zentrale Kreuzigungssszene, zudem sind die beiden Tafeln links oben eindeutig als Vorder- und Rückseite einer Tafel identifiziert, die im 19. Jahrhundert gespalten wurde. Bei den Heiligendarstellungen fehlt der Namen gebende Schutzpatron der „Nikolaikirche / St.Nikolaus“. Das doppelt wandelbare Altarretabel besaß ein Gesamtmaß von mindestens 160 x 161 cm (zugeklappt, geöffnet ca. 160 x 322, eventuell sogar 160 x 480 cm, ohne Rahmen und oberen Schmuckaufsatz).
Genaue Informationen zu den Tafeln dieses Altarretabels sammle ich hier: ➥ Der Strigel-Altar der Nikolaikirche
Kunsthistorisch – und auch im malerischen Stil erkennbar – werden die Isny zugeschriebenen Bildtafeln dem Spätwerk Bernhard Strigels zugeordnet: „Vergleicht man die Qualität und handwerkliche Fertigkeit der verschiedenen Arbeiten Bernhard Strigels, kann der Isnyer Altar als eines der Hauptwerke Strigels im Spätwerk angesehen werden. Stünde der Altar noch komplett in der Nikolaikirche, besäße Isny eine kunsthistorische Perle.“4 Als Entstehungszeit wird der Zeitraum zwischen 1515-1520 in der Literatur und auf den Seiten der Museen angegeben.
Zum damals ebenfalls verschollenen Katharinenaltar sammle ich die Informationen hier: ➥ Der Katharinenaltar der Nikolaikirche
Isny und die Nikolaikirche um 1500
Nach 1470 wurde an das romanische, dreischiffige Kirchengebäude der Nikolaikirche ein Chor sowie die Eberz’sche Kapelle / Weißlandkapelle angebaut, die sich im hinteren Südschiff befindet. Vermutlich wurde für diese „Ausbuchtung“ der ➥ Katharinenaltar (aus dem Jahr 1480) erstellt. Einige Tafeln des Katharinenaltares befinden sich heute im Dominikanermuseum Rottweil (Abbildungen siehe ➥ Katharinenaltar). An welchen Orten die Altäre innerhalb der Nikolaikirche standen, ist jedoch nicht gesichert, da sich dort um 1500 mindestens 7 Altäre befanden – wie es noch heute in katholischen Kirchen üblich ist. An der Außenseite der Nikolaikirche ist auf der Gedenktafel das Jahr 1508 als Jahr der Fertigstellung des Chores angegeben.
Um 1500 besaß die Reichsstadt Isny durch den Handel einen hohen Wohlstand und zahlreiche Stifter statteten sowohl die Prädikantenbibliothek, als auch die Nikolaikirche durch Gaben aus. Im Jahr 1507 verlieh der Kaiser der Stadt das Münzrecht (…) Der besondere Lohn der Isnyer für ihren tapferen Einsatz bei der Befreiung des jungen Kaisersohnes Maximilian im Jahre 1488 war die Verleihung des Wappens mit dem Reichsadler und dem Hufeisen als Brustschild.“ Diese Verleihung erfolgte während des Besuchs von Kaiser Maximilian I. (1459–1519) in der Freien Reichsstadt Isny im Jahr 1507. Damals war Strigel bereits Hofmaler des Kaisers.16 Münzen der Stadt Isny sind auf Museum-Digital abgebildet: ➥ https://bawue.museum-digital.de/objects?style=grid&s=Isny&&style=grid&startwert=0
Zur Entstehungszeit der Altäre war Isny noch katholisch. Die Altäre enthielten daher Marien- und Heiligendarstellungen. Am Übergang zur Reformation bestand in Isny eine Auseinandersetzung zwischen dem zunehmend selbstbewussteren Bürgertum, das die „Leutekirche“=Nikolaikirche besuchte und dem katholischen Klerus im Kloster, der in St.Georg die Messe feierte. Diese Auseinandersetzungen und Reibereien führten letztlich zur Reformation in Isny – und die Freie Reichsstadt nahm 1529 an der Protestaktion der Evangelischen Stände“ in Speyer teil.
Georg Bader13 schreibt: „In den Jahren um 1540 stand Isny auf der Höhe seiner Entwicklung. Die Feuerstein’sche Chronik berichtet, dass die Stadt als Glied der „Ravensburger Gesellschaft“ jährlich für 150.000 fl (=Gulden) Leinwand verkaufte. Niederlassungen der großen Ravensburger Handelsgesellschaft waren in Venedig und Genua, in Spanien und in den Niederlanden, in London, Schlesien, ja bis hinein in den fernen Osten (…)
Überlegungen zum Verbleib der Altäre zwischen 1523 und 1846
Variante 1
Luther und Zwingli forderten die Abschaffung der Heiligenverehrung und der „Götzenbilder“ in den Kirchen. In den Gotteshäusern sollte nur das Wort Gottes wirken. Hintergrund war auch das ausufernde Stiftertum, mit dem sich wohlhabende Bürger aus dem Höllenfeuer freikaufen wollten. Die Reformatoren wollten, dass Wohltaten nur den Armen, Alten und Bedürftigen gegeben – und nicht für „gülden Tand“ in den Kirchen verwendet werden solle. Isny war – auch durch den regen Handel – mit der Nordschweiz verbunden. Zwingli predigte in Zürich und setzte 1523 dort durch, dass die Altäre geschlossen und die Bilder nicht mehr gezeigt wurden. Luther verlangte nicht die völlige Räumung von Bildwerken – die Heiligenbilder sollten jedoch verdeckt oder aus den Gotteshäusern weichen.20 21
Die Altäre – so eine Vermutung – wurden daher bereits 1524 oder 1525 wegen des Bauernkrieges und/oder protestantischer Vorgaben zur bildlosen Ausgestaltung der Kirchen aus der Nikolaikirche entfernt und eingelagert – eventuell in der Ölbergkapelle. Vielleicht wurden sie auch den Stiftern übergeben, die auf den Tafeln – wie damals üblich – portraitiert waren. Möglicherweise geschah die Auslagerung auch zum Schutz vor den umherziehenden Horden, die im „Bildersturm“ zwischen 1524 und 1525 die Kirchen verwüsteten.
Von 1523 bis 1526 tobte in Oberschwaben der ➥ Bauernkrieg, in dem Georg von Waldburg-Zeil als Heerführer des Adels durch seine grausame Art als „Bauernjörg“ zu zweifelhaftem Ruhm kam. Am 6.März 1525 trafen sich die Abgesandten verschiedener Bauernhaufen in Memmingen und verabschiedeten die ➥ „Zwölf Artikel der Bauernschaft“ – die erste in Mitteleuropa niedergeschriebene Menschenrechtserklärung. Isny wurde zwar nicht zum Kampfgebiet – aber die „Schweineburg“ und andere Schauplätze sind nicht weit entfernt.
Theorie
Isny wurde – nachdem zuvor bereits der Gottesdienst in „beiderlei Gestalt“ abgehalten wurde 1531 protestantisch. „Erst mit dem Beitritt der Reichsstadt zum Schmalkaldischen Bund am 2. Februar 1531 war jedoch jene politisch-militärische Absicherung gegeben, die auch in Isny zur entschiedenen Einführung der Reformation – Auftakt war die Abschaffung der Messe am 10. März – führte. Nachdem der evangelische Herzog Ulrich 1534 nach Württemberg zurückkehren konnte, fand sich die Stadt auch stark genug, im Kloster selbst die Abschaffung der Messe zu fordern und die dortigen Bilder zu entfernen.“19 Nach Luthers Lehre sollte in den Kirchen nur das Wort Gottes – und keine „Götzenbilder“ – wirken.
So fand auch in Isny 1534 ein „Bildersturm“ statt, bei dem (nach massiven Streitigkeiten mit dem Kloster) auch die katholische Kirche St.Georg durch die Bürger der Stadt von „Götzenbildern“ geräumt wurde. Diese Bilder wurden aber ebenso – wie die Specht’sche Chronik berichtet – nicht vernichtet, sondern in die Kapelle verbracht.14 Kammerer schreibt von der „anstoßenden Frauenkapelle“ (=Marienkapelle, die sich im Kloster an der St. Georgskirche befindet) als Lagerort. 17 Vermutlich wurden dort nur die Darstellungen der Georgskirche eingelagert – die Altarbestandteile der Nikolaikirche jedoch in der räumlich näher liegenden Ölbergkapelle.
Für die Lagerung in der Ölbergkapelle spricht, dass Johann Baptist Hirscher, Pfarrer und Kunstsammler im Jahr 1850 ein Bild von „Grünewald“ aus der Kapelle erwarb. Hirscher besaß auch die Bilder des Hochaltars – Strigel wurde daher bis Ende des 19.Jahrhunderts noch mit dem Notnamen „Meister der Sammlung Hirscher“ bezeichnet.
Specht berichtet auch, dass sich die Isnyer 1629 mit dem Argument gegen den Vorwurf wehrten, der Zwingli’schen Lehre anzuhängen, die Kirche sei – gemäß der Vorgaben Luthers – völlig ohne Bildwerke.15 21 Dies deutet darauf hin, dass die Altäre vermutlich 300 Jahre lang in der Ölbergkapelle verblieben – bis Hirscher den „Schatz“ zu Beginn des 19.Jahrhunderts hob. Gleichzeitig ist dies ein Indiz dafür, dass die Bilder wirklich aus Isny stammen. Wenn die Altäre seit 1524 in der Ölbergkapelle gelagert waren, haben sie dort auch die verschiedenen Stadtbrände unbeschadet überstanden. Die Ölbergkapelle war das einzige Gebäude der Stadt, das stets von den ➥ Isny’er Katastrophen verschont blieb. 22
Ein neuer, barocker Altar
In der Specht’schen Chronik25 ist auf Seite 65/66 zu lesen:
„Anno 1644 wurde der untere Altar von Holz gemachet, welcher in allem 137 fl gekostet. Dazu hat solches Geld Jacob Eberz der jüngere, des Leonhard Eberz feel Sohn in die Kirche verehrt. In eben diesem Jahr sind die Bilder zum obern Altar aufgesetzet worden, welche mein Ur-Groß-Vater seelig Hanß Rudolph Specht zu mahlen und zu vergulden die Ehre gehabt hat. Die Bilder kosteten vom Bildhauer 200 fl. und alles zusammen sie samt der großen Tafel zu mahlen 412 fl. Dieses Geld hat Herr Jacob Eberz der ältere in die Kirche verehrt, dahero sein und seiner Frauen Magdalena gebohrner Burkhardin Wapen oben aufgesetzt worden und in dem alten Leichen Buch ist ihm so wohl deßwegen als auch weil er zu Entrichtung der sehr beschwerlichen Kriegs Contributionen jährlich ein nahmhafftes und rühmliches hergeschossen, dieser Wunsch in die Ewigkeit nachgeschickt worden. Der Allmächtige getreue Gott wolle ihm solche Wohlthaten in der Ewigkeit in Gnaden vergelten.“
Dies deutet darauf hin, dass der Strigel-Altar sich 1644 nicht mehr in der Kirche befand und ein neuer Altar (im barocken, „modernen“ Stil) entstand. Ob alle Teile in der Ölbergkapelle eingelagert wurden – oder einzelne Tafeln in das Eigentum der ehemaligen Stifterfamilien übergingen, ist schwer nachzuvollziehen. Möglicherweise wurden einige Tafeln beim Stadtbrand 1631 vernichtet oder fanden den Weg in die Schweiz, als nach dem Stadtbrand einige Patrizier dorthin übersiedelten.
Damals war auch der Zeitgeschmack bereits im Barock angekommen, was ein Indiz dafür sein kann, dass der Strigel-Altar nicht mehr in die Kirche kam. In der Sakristei wurde ein Aquarell zur Neugestaltung des Altars aus dieser Zeit gefunden – siehe Abbildung:
Neuer, gotischer Altar 1910
Dazu schreibt Kammerer:26 „Man wünschte sich dazu auch die frühbarocken Altäre zurück, besonders den oberen im Chor. Von seinem stattlichen Aufbau und seiner unbefangenen Farbigkeit gibt das in der Baugeschichte erwähnte und in der Sakristei befindliche Aquarell eine gute Vorstellung.“ Auf einen Altar aus dem 17. Jahrhundert deutet auch diese Stelle hin: „Aus derselben Zeit, in welcher Karl Heideloff von Nürnberg aus die alten Kirchen Süddeutschlands emsig von barocker Ausstattung reinigte und neu gotisierte, stammt auch die Orgel und das hölzerne Maßwerk der Brüstung ihrer Empore (1856).“11
Der Hochaltar wurde jedoch erst 1910 im neugotischen Stil errichtet.
Möglicherweise hatte Hirscher Teile des Altares den Isnyern bereits um 1817 abgekauft. Damals herrschte eine große Hungersnot, die Stadt war verarmt und es wurde im Spital am Marktplatz eine Suppenküche eingerichtet. Hirscher war damals noch katholischer Priester in Bodnegg und bekannt dafür, dass er seine finanziellen Möglichkeiten für wohltätige Zwecke einsetzte. Zwei der Tafeln tauchen jedoch erst in der dritten Liste von Hirscher aus dem Jahr 1857 auf – werden jedoch von Waagen bereits 1846 als Besitz der Sammlung Hirscher erwähnt28 .
Variante 2
Die Altäre kamen nach dem Bildersturm 1534 wieder in die Nikolaikirche zurück und wurden um 1840/ 1850 an Johann Baptist Hirscher und andere Kunstsammler verkauft, um die Neugestaltung der Nikolaikirche zu finanzieren. Ein Indiz für den Verbleib des Altares ist die Notiz in der Beschreibung des Oberamtes Wangen aus dem Jahr „Im Chor steht noch aus den Zeiten des katholischen Kultus ein schöner Hochaltar mit künstlicher Schnitzarbeit.“ – Wobei der Autor auch den barockisierten Altar aus dem 17.Jahrhundert meinen könnte. 27 Da einige Bestandteile im Kunstblatt 1846 28 bereits als Teile der Sammlung Hirscher genannt werden, muss der Verkauf wohl vor 1846 erfolgt sein. Auch in der ➥ Bestandsliste der Sammlung Hirscher von 1857 tauchen Tafelbilder der Altäre auf. Die Umgestaltung der Nikolaikirche im neugotischen Stil steht hier im Zusammenhang mit der Aufbruchstimmung in Deutschland nach der Revolution 1848. Es waren moderne Zeiten angebrochen – die Textilfabrik von C.U.Springer und andere Firmen brachten wieder Wohlstand und Arbeit nach Isny, Jules Verne hatte seine Romane veröffentlicht, König Ludwig ließ das Schloss Neuschwanstein im neugotischen Stil erbauen, die Fürsten von Hohenzollern bauten bei Hechingen ein neugotisch-mittelalterliches Schloss auf den Berg. Da wollten die Isnyer vermutlich nicht zurückstehen. Es existiert ein Kaufvertrag mit Johann Baptist Hirscher, in dem dieser ein Bild von „Grünewald“ aus der Ölbergkapelle erwarb. Im Bestandsverzeichnis von Hirscher aus dem Jahr 1857 wird nur ein Grünewaldbild erwähnt, das heute als Werk Michael Schaffners angesehen wird und die Predella des Strigel-Altares gebildet haben könnte. Eventuell hatte dieser in der Strigelwerkstatt in Memmingen ausgeholfen. Schaffner und Strigel kannten sich aus der gemeinsamen „Lehrzeit“ bei Zeytblom in Ulm.
Variante 3
Beim ➥ Katharinenaltar nehme ich mit hoher Wahrscheinlichkeit an, dass dieser bereits im 16. Jahrhundert abgebaut und aus der Nikolaikirche entfernt wurde. Heiligenbilder waren in den Augen der Reformatoren Zwingli und Luther „Götzenbilder“, die keinen Platz im „Haus Gottes“ haben sollten – dort sollte allein Gottes Wort aus der Bibel wirken. Der Marienaltar war als Darstellung der Lebensgeschichte Jesu zwar grenzwertig, aber wohl noch tolerierbar, sodass dieser als Hochaltar eventuell bis ins 19.Jahrhundert in der Nikolaikirche stand – und erst zur Finanzierung der Kirchenumgestaltung verkauft wurde.
Die Tafeln zum Marienaltar stammen von einem einzigen, großen, doppelt wandelbaren Altarretabel. Dafür spricht, dass die Tafeln der Marien-/Jesus-Geschichte dasselbe Rastermaß wie die Bilder der Heiligendarstellungen aufweisen (87 x 72 cm) und die Malweise von derselben Qualität und Handschrift ist, sowie von der Fachwelt Bernhard Strigel zugeordnet werden. Die Konsequenz daraus wäre jedoch, dass der Altar wirklich bereits vor 1531 aus der Kirche entfernt wurde – und nicht mehr aufgebaut wurde. 1532 haben die (protestantischen) Isnyer Bürger die benachbarte Klosterkirche St. Georg gestürmt und die Bildwerke entfernt – diese jedoch in der benachbarten Marienkapelle eingelagert. Vermutlich kamen sie wenige Jahre später wieder zurück, nachdem das „Interim“ des Augsburger Reichstages einen brüchigen Frieden zwischen den Konfessionen erreicht hatte. Die Nikolaikirche blieb jedoch lutherisch – und daher ohne Bildwerke. Dafür spricht auch, dass erst 1644 für den Chor ein neuer Bildaltar erstellt wurde.
Variante 4
Es könnte sich bei den Altartafeln auch nicht um einen Altar aus der Nikolaikirche, sondern um den Frauenaltar handeln, der sich in der Friedhofskapelle in Isny befand.
Die verschiedenen Quellen, die den „Verlust des Strigel-Altares“ bedauern, stammen aus dem 20.Jahrhundert.
1521 hatte Peter Buffler, Patrizier aus Isny, diese Kapelle gestiftet. Sie muss eine beträchtliche Größe gehabt haben, da sich darin ein Versammlungsraum, ein Chor, Säulen und ein Glockenturm – sowie der Frauenaltar befand. Die Entstehungszeit könnte zum Spätwerk Strigels passen – ebenso die Verbundenheit Isnys mit Memmingen. Interessant an diesem Gebäude ist zudem, dass es bereits 1531 (10 Jahre später) auf Betreiben des Stifters und des Reformators Blarer komplett „geschleift“ wurde. Der Isnyer Abt beklagte sich bitterlich, dass die geweihten Steine für die Errichtung von Pferdeställen in Isny Verwendung fanden. Grund war, dass Blarer und die Isnyer Reformatoren den katholischen Totenkult der „Altgläubigen“ ablehnten. (Siehe dazu ➥ Reformation und Bildersturm in Isny)
Vorgehensweise bei der Rekonstruktion und Recherche
Ich versuche bei der „Spurensuche“ auf drei Wegen den Altar und seine Geschichte zu rekonstruieren:
– Recherche nach Zeitpunkt und Ursachen des Verschwindens aus der Nikolaikirche
– Recherche nach Zeitpunkt und nach Stiftern (Financiers) des Altares am Beginn des 16.Jahrhunderts
– Ähnlichkeitsvergleich in der Malweise mit weiteren Bildern Strigels, um daraus ein geschlossenes Altarensemble zu rekonstruieren
– Recherche in den Notizen der Kunstsammler des 19.Jahrhunderts wie Hirscher, Abel und Dursch, in deren Sammlungen Altarteile beschrieben sind
(siehe dazu auch ➥ Käufer – und „Zweitbesitzer“ des Altars
– Recherche in Steuerbüchern von Memmingen, Kassenbüchern der Evang. Kirchengemeinde Isny
– Recherche in Bestandslisten verschiedenster Museen (fündig geworden in der Kunsthalle Karlsruhe, der Gemäldegalerie Berlin, dem Dominikanermuseum Rottweil)
Die Spurensuche gestaltet sich schwierig, weil Strigel erst ab ca. 1885 als Maler zahlreicher Altarbilder erkannt wurde. Er hatte als „Handwerker der Altarwerkstatt“ seines Vaters Ivo Strigel die Bilder nicht signiert oder mit Monogramm versehen. An der Schwelle von der Gotik zur deutschen Renaissance entwickelten die Künstler erst nach und nach ein entsprechendes Selbstbewusstsein – das besonders bei Dürer ausgeprägt zum Vorschein trat. Bis 1885 wurde Strigel als „Meister der Sammlung Hirscher“ bezeichnet, seine Bilder ➥ Hans Holbein dem Jüngeren, ➥ Bartholomäus Zeitblom (mit dem Strigel einige Zeit gemeinsam arbeitete), ➥ Hans Baldung Grien oder anderen Zeitgenossen zugeschrieben und tauchen in Bestandslisten der Sammlungen des 19.Jahrhunderts unter diesen Zuschreibungen auf.
Auch durch die Titel der Gemälde Strigels ist eine Zuordnung zum Isnyer Altar schwierig. Die Familie Strigel hatte in Memmingen eine kleine „Altarfabrik“ mit zahlreichen Gesellen und versorgte Süddeutschland, Österreich, Oberitalien und die Nordschweiz mit Altären. Dabei wurden auch ähnliche Altäre mit ähnlichen Motiven gestaltet. Unter einem Bildtitel sind im Netz mehrere Darstellungen von Strigelgemälden auffindbar. Ich betrachte die Altäre etwas „ketzerisch“ als mittelalterliche „Comic-Strips“, die jeweils eine Geschichte für die Gläubigen erzählen. Heute wie damals ist in derartigen Bildergeschichten immer eine dem Werk eigene Bildsprache erkennbar – selbst wenn es sich um denselben Künstler handelt. Dies ist mein Ansatz zur Rekonstruktion des Altares.
Indizien für die Provenienz aus Isny
Dafür, dass Hochaltar und Katharinenaltar der Nikolaikirche von Bernhard Strigel geschaffen wurde, gibt es bislang keinen gesicherten Nachweis zur Provenienz. In der Literatur und den Zuweisungen der Museen, die Tafeln besitzen, werden die Tafelbilder als „aus Aulendorf oder Isny“ stammend oder „aus der Nikolaikirche Isny“ angegeben. Mehrere Autoren weisen den Hochaltar der Nikolaikirche Bernhard Strigel zu. Von besonderem Wert erscheint mir die Bemerkung von Immanuel Kammerer, der als Archivar der evangelischen Kirchengemeinde in Isny tätig war und die Quellen studierte. Er schreibt 1949 11: „Schade, dass dem Innenraum der Kirche das Kunstkleinod des Altars von Bernhard Strigel, der in Memmingen wirkte, entfremdet ist. Die Altarflügel mit vier Heiligenpaaren auf Goldgrund sind über die Sammlung Hirscher nach Berlin ins Museum gewandert.“
Auf den Bildtafeln verwendet Strigel in der Ikonographie – mit Ausnahme des Bildes der „Verkündigung an Maria“ nur noch sehr schwach angedeutete Heiligenscheine.
Wahrscheinliche Bestandteile der Altäre
Zu den möglichen Bestandteilen des Hochaltars (Marienaltars) habe ich ein ➥ eigenes Kapitel „Marienaltar / Hochaltar“ angelegt
Zu den Bestandteilen des Katharinenaltares habe ich ein ➥eigenes Kapitel „Katharinenaltar“ angelegt
Bernhard Strigel (1460-1528): Fußwaschung Christi (Christus wäscht die Füße des Petrus),
Hinweis: Ein Klick in die jeweilige Abbildung zeigt eine größere Ansicht
Fußnoten
Die Fußnotennummerierung im Text mag sprunghaft erscheinen – sie zeigt jedoch die Reihenfolge, in der ich Quellen bearbeitet und eingefügt habe 😉
¹ vgl. Kammerer, Immanuel: Isny im Allgäu – Bilder aus der Geschichte einer Reichsstadt, Kempten, 1956, S. 101
² Isny hatte eine besondere Beziehung zu Kaiser Maximilian I.:
Sein Vater, Kaiser Friedrich III verlieh der Stadt 1488 „…für besondere Tapferkeit bei der Befreiung seines Sohnes König Maximilian aus der Gefangenschaft der Stadt Brügge das Recht, einen golden gekrönten Adler mit silbernem Brustschild, in dem sich das bisherige Wappen, ein Hufeisen befindet, fortan als neues Wappen zu führen. …1507 gewährte Maximilian der Stadt das Recht, Silbermünzen zu prägen
(vgl. Hartmann/Stützle (a.a.O., Kapitel: „Aus der Isnyer Geschichte)
³ Diese Literaturangaben habe ich dankenswerterweise von Frau Siegloch, Stadtarchivarin der Stadt Isny erhalten
4 E. Rettich: Ergänzungen und Berichtigungen zu Alfred Stanges „Deutsche Malerei der Gotik,“ VIII. Band, „Schwaben in der Zeit von 1450 bis 1500“, Zeitschrift für Kunstgeschichte, 22. Bd., H. 2 (1959), S. 158-167, (Quelle: ➥ https://www.jstor.org/stable/1481450)
5 Isny im Allgäu – Führer durch Stadt und Umgebung, Hrg. Stadt Isny, 1978, S.53
6 Helmut Schmid: Bilderbuch einer württembergischen Allgäustadt, 1995, ISBN 3-00-008119-4, S.66/67
9 Alfred Weitnauer: Allgäuer Chronik, Band III, S.222
10 A. Weitnauer, S. 280
11 Immanuel Kammerer und Georg Kopp: Die Nikolaikirche in Isny und ihre Bibliothek, Im Selbstverlag des Verfassers, 1949, S.19
12 Alfred Weitnauer: Allgäuer Chronik, Bilder und Dokumente, Verlag für Heimatpflege Kempten/Allgäu, 1962, S.212. Anmerkungsteil: „Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, Inv. Nr. 61. Vier weitere Tafeln dieses Altars, die sich in Berliner Museumsbesitz befinden, wurden während des zweiten Weltkrieges zerstört. Vgl. dazu A.Stange, Malerei der Gotik VIII, S.144“
13 Georg Bader: Freiheit kostet Kraft – Vom Existenzkampf der kleinen Reichsstadt Isny, Manuskript für eine Hörfunksendung des Südwestfunks zum 600. Jahrestag der Erhebung zur Freien Reichsstadt 1965
14 Specht’sche Chronik, S.34
➥ https://books.google.de/books/about/Isnisches_Denkmal_welches_in_sich_fasset.html?id=QKepSYrij2YC&redir_esc=y
15 a.a.O., S.49
➥ https://www.researchgate.net/(.,.)Reformation_in_der_benediktinischen_Geschichtsschreibung_des_18_Jahrhunderts_Das_Abbatiat_des_Elias_Frei_in_Isny_1538-1548(…).pdf
➥ https://www.ref.ch/news/durchbruch-reformation-zurich-disputationen-zwingli-500-jahre/
„Erstens ist unsere Meinung, dass man jetzt die Tafeln (Altartafeln) schließen und nicht mehr öffnen soll bis auf weiten Bescheid. Man schließt sie ja auch zur Fastenzeit und verhängt die Bilder. Die silbrigen, goldenen und sonstigen zierlichen Bilder soll man nicht herumtragen, weder an Feiertagen, noch an anderen Tagen, sondern man soll den höchsten Schatz des Wortes Gottes in die Herzen der Menschen tragen und nicht die Götzen in die Öffentlichkeit.
Demnach lassen wir es bei den zuletzt ausgegangenen Gebot bleiben, also dass niemand ein Bild weder in den Tempel noch aus dem Tempel tun soll, außer er hat es vorher hinein getan oder eine Kirchengemeinde hat mit Mehrheit entschieden, die Bilder zu entfernen. Dies soll ohne Schmach und Spott und ohne mutwillige Verärgerung von jemandem geschehen.
Zum letzten: Seit aufgrund des Wortes Gottes öffentlich bekannt ist, dass die Messe kein Opfer ist, auch dass man keine Bilder haben soll, aber etliche Pfaffen in unserer Stadt weiterhin mit aufrührerischen, irrigen und unbegründeten Worten dagegen reden, so ist unsere Meinung, entweder mit ihnen zu reden oder ihnen ihre Pfarrgründe zu entziehen, da sie nichts für das Wort Gottes tun.“
Huldrych Zwingli: Werke. 2.Bnd. Leipzig 1908, S. 81 ff, vereinfacht von Franziska Conrad,
zitiert aus ➥ https://www.friedrich-verlag.de/fileadmin/_processed_/f/3/csm_517173-006_Gle173_Bildersturm_Material_3_thumb_dc5e26a6d1.jpg (ges.14.10.2023)
➥ https://www.hsozkult.de/searching/id/reb-9647
➥ https://doi.org/10.11588/diglit.52601 (Universität Heidelberg: Heidelberger historische Bestände – digital)
➥ https://books.google.de/books?id=QKepSYrij2YC&hl=de&pg=PA35
https://de.wikisource.org/wiki/Beschreibung_des_Oberamts_Wangen/Kapitel_B_13
Abbildung aus: Otto, Gertrud; Strigel, Bernhard [Hrsg.]: Bernhard Strigel, Berlin [u.a.]: Deutscher Kunstverlag, 1964, Quelle: ➥ https://doi.org/10.11588/diglit.52601,
„Disclaimer“
Bei der Gestaltung und dem Inhalt dieser Website bitte ich um Nachsicht – und um Korrekturhinweise. Ich habe Kunst und Kunstgeschichte studiert, bin jedoch kein Spezialist für die Kunst des Mittelalters. Erst Ende Juli 2023 wurde ich auf die verschollenen Altäre meiner Heimatstadt aufmerksam und sammle seitdem Hinweise. Diese Seite ist „work-in-progress“, Dokumentation meines Erkenntnisgewinns und „öffentliche Diskussionsgrundlage. Dafür, dass die Strigel-Bilder tatsächlich aus der Nikolaikirche stammen, habe ich noch keinen „gerichtsfesten“ Beweis entdeckt. Nachdem jedoch die Gemäldegalerie Berlin, die Kunsthalle Karlsruhe und die Staatsgalerie Stuttgart und andere Quellen (die ich im folgenden zitiere und nenne) die Herkunft aus Isny als „wahrscheinlich“ betrachten, verorte ich den Strigel-Altar in meine Heimatstadt. Der Inhalt dieser Website ändert sich mit jeder neuen Erkenntnis, neuer Quellenlage und beinahe täglich. Hinweise, Ergänzungen und Korrekturen nehme ich sehr gerne entgegen. Bei der Auswahl der Bilder orientiere ich mich an der Beschreibung einzelner Altartafeln durch Gertrud Otto24. Zudem orientiere ich mich an den in den Fußnoten angegebenen Quellen, sowie den Provenienzangaben der Museen.