Das Sühnebild am Schloss Sigmaringen
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Das Votivbild an dem Schlosstore zu Sigmaringen (Sage)
Über dem Portale des Schlosstores der alten Sigmarsburg in Sigmaringen sieht man das steinerne Bild der Gottesmutter, welche den Leichnam ihres Sohnes im Schoße hält; daneben kniet ein Ritter mit entblößtem Haupte und mit zum Gebete gefalteten Händen. Es ist dies ein Sühnebild, welches sich auf folgende blutige Tat bezieht:
Auf der Sigmarsburg und dem benachbarten Heiligenberg wohnte zur Zeit des Kaisers Maximilian der Graf Felix von Werdenberg, nicht weit davon auf der über der Donau gelegenen Burg Scheer aber Graf Andreas von Sonnenberg. Beide standen hoch in des Kaisers Gunst, allein als dieser zur Hochzeitsfeier des Herzogs Ulrich von Würtemberg mit der Herzogin Sabina von Bayern den Grafen Eitel-Fritz von Hohenzollern, den Grafen Sigismund von Lupfen und den Werdenberger als Gesandte abgeschickt hatte, so ergrimmte der Sonnenberger, der so schon den Werdenberger schwer beneidete, so sehr, dass, als diesem die Ehre zu Teil ward, die Braut zum Altar und Vortanz zu führen, er laut seinen Feind seiner kleinen Gestalt wegen beim Vorübergehen verspottete und als ihn der Werdenberger darüber nachher zur Rede stellte, sprach er: »Was willst Du Studentlein mir wohl anhaben? Legte ich Dir zwischen Deine Zähne meinen Finger, würdest Du doch nicht den Mut haben zuzubeißen!«
Zwar duldete der Werdenberger für den Augenblick den bitteren Hohn, allein er sann auf Rache. Der Graf von Sonnenberg hatte in Oberschwaben an der Donau ein Felsenschloss, der Bussen genannt, wohin er oft des Vogelfanges wegen zu reiten pflegte. Einst hatte der Sonnenberger sich an einem schönen Maimorgen auch dahin auf den Weg gemacht, allein der Werdenberger hatte Kunde davon erhalten. Er versteckte sich mit einigen Knappen in der Nähe der Donau, bei Hundersingen in einem Dickicht, und als der nichts ahnende Graf von Sonnenberg vorüber kam, überfiel er ihn und ohne ihm Zeit zur Beichte zu lassen, ermordeten ihn des Werdenbergers Leute mit zwanzig Stichen.
Zwar gewährte dem Mörder des Kaisers Vorliebe für ihn Straflosigkeit, zwar versuchte er durch Buße den Zorn des Himmels zu versöhnen, allein bald darauf traf ihn zu Augsburg das Strafgericht Gottes, eines Morgens fand man ihn plötzlich in seinem eigenen Blute erstickt. Da er ohne Beichte und Absolution gestorben war, hat man ihm jenes Votivbild errichtet.
Quelle: Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 674-675. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20004952863
Das Votivbild an dem Schlosstore zu Sigmaringen (Ballade)
Steigst du empor zur alten Sigmarsburg,
erblickt dein Auge, wo das Tor sich wölbt,
der heil’gen Gottesmutter schmerzhaft Bild,
den Leichnam ihres Sohnes in dem Schoß.
Daneben kniet ein Ritter, der entblöst
das Haupt, die Hände zum Gebet gefaltet,
zur Schmerzensmutter hingewendet hält
sein flehend Auge – und die Überschrift
sagt dir: „Gedenke, Gottesmutter, mein!“
Was ist dies anders als ein Sühnebild,
für einen Mord, ein schreiendes Verbrechen?
Vernimm es nur, ich will es dir erzählen
Getreu, wie es bewahret die Geschichte.
Einst wohnten hier von Werdenberg die Grafen
Auf diesem Schlosse, edle mächt’ge Herrn
Und reich an Gütern, manchen Rittersitz
begrenzend, Auch zu Heil’genberg das Schloss,
So stolz und kühn das in das Schwabenmeer
hinabschaut über prangenden Gefilden,
war eigen diesem gräflichen Geschlechte.
Da lebten auch zu Scheer, hoch in der Burg,
darum der Donau Wasser rauscht, die Grafen
Von Sonnenberg, als Nachbarn von den Herrn
Der Sigmarsburg. Die beiden Schlossherrn doch
genossen nicht die nachbarliche Freundschaft,
stets lebten sie getrennt in Streitigkeit.-
Graf Felix der von Werdenberg sich schrieb,
auf Sigmarsburg war ritterlich und tapfer,
darum beim Kaiser Maximilian,
dem Ruhmgekrönten, auch in hohen Ehren.
Andreas auch, der Graf von Sonnenberg –
der residierte auf dem Donauschloss –
tat seine Pflicht im Kriege wie im Frieden,
als Ritter ohne Furcht und Tadel stets,
darum auch ihn der Kaiser liebt und ehrte.
Doch sieh! des großen Herrschers Gunst es war,
die in der Brust der beiden Nachbargrafen
den Höllenkeim der Eifersucht erweckte,
der dann der Feindschaft Glut zur Flamme nährte. –
Da kam es denn, dass in der Schwabenhauptstadt
der Herzog Ulrich seine Hochzeitsfeier
mit aller Pracht des Hofes vorbereitet.
Gar viele Gäste wurden zugeladen
und selbst der Kaiser sollt dabei nicht fehlen.
Doch der gekrönte ritterliche Herrscher
vermochte nicht beim Feste zu erscheinen
und sandte hin drei Grafen edlen Stammes,
die immer seinem Throne nahe standen.
Es war Graf Eitel-Fritz, sein weiser Rat
Von Hohenzollern – und von Werdenberg
Graf Felix, der bewährte Held im Kriege
und auch Graf Sigismund von Lupfen – alle
des Kaisers würdig, der sie abgesendet. –
Und in der herzoglichen Hofburg nun,
welch festlich Leben, welch ein reicher Kranz
von Rittern und von schönen Edelfrau’n
aus Schwaben und aus Bayern; welche Pracht!
Wohin nur blickt das Auge, überall
der höchste Festschmuck im Bereich der Hauptstadt.
Andreas auch, der Graf von Sonnenberg
der männlich Schöne ist am Hof erschienen,
in lichtem Schimmer pranget seine Rüstung;
doch düster ist es im Gemüt des Grafen –
nicht wählte ihn der Kaiser zum Gesandten,
Den Werdenberger, seinen Nachbarn aber,
zu dem er Feindschaft trägt; das brennt ihn tief.
Mit ihrer ganzen höllischen Gewalt
umschlingt die Eifersucht sein eitles Herz
und nährt den Brand des Hasses wild in ihm,
dass es vulkanisch sich erhebt und mächtig
zu dem verderbensvollen Ausbruch drängt,
und als der Festzug nahte, welch Gewühl
des Volkes auf dem reichgeschmückten Kirchweg!
Gar Viele drängt es her, die Braut zu seh’n –
Sabina sie – die Herzogin von Bayern,
die Dame, stattlich schön. Wer ist der Ritter,
der sie zur Kirche führt, der kleine Mann
doch fein und höfisch? ’s ist der Werdenberger.
Gesandter von des Kaisers Majestät,
darum vom Herzog Ulrich auch beehrt
die Braut zu führen nach dem Ort der Trauung
und dann zum Vortanz. Welche hohe Ehre!
Des Feindes Vorrang sieht mit grimmem Blick
der Graf von Sonnenberg und wie ihm naht
der Zug, da wird der schwerverhalt’ne Brand
in seinem Innern zur Verderbensflamme –
dem Werdenberger ruft er zu den Spott:
„So richte dich doch auf und strecke dich!“
Und schweigend nimmt es der Verhöhnte hin.
Doch als vorbei die Trauung war, da stellt
den Sonnenberger ernstlich er zu Rede
des Hohnes wegen; doch der Spötter wirft
statt der Entschuldigung ihm hin die Worte:
„Was willst denn du, Studentlein, mir wohl tun?
Würd‘ ich dir zwischen deine Zähne legen
nur einen Finger, fehlte dir zu beißen
fürwahr das Herz!“ Als würd‘ ihn kaum berühren
des Spötters gift’ge Rede, hielt an sich
Graf Werdenberg; doch seinen innern Kampf
verriet die Glut der Augen, wild und zornig,
der Ausdruck des Gefühles sich’rer Rache.
Es zog vorbei die finstre Sturmeswolke,
die da den Tag so plötzlich überschattet,
das Unheil aber, das in ihr verborgen,
Bewahrte sie, um es zu andrer Stunde
auf die erzürnten Häupter zu ergießen.
Es ist in Oberschwaben der Berg dir wohlbekannt,
Der aufragt an der Donau und „Bussen“ wird genannt;
Du siehst von seiner Höhe, die kühn ein Schloss beschirmt,
Weit in das Land, wo schimmernd die Alpen aufgetürmt.
Graf Sonnenberg ritt oftmals zum Vogelfang dahin,
Wenn hold die Frühlingssonne vom blauen Himmel schien.
Zwar sagt man auch: er habe gepflegt der Liebe dort,
Doch sind’s nur böse Zungen, wer bürgt uns für ihr Wort?
An einem Maientag, noch in der Morgenruh‘,
Da ritt der Graf Andreas dem hohen Schlosse zu.
Als ging er auf das Waidwerk, so war er angetan
Gefolgt von wenig Knechten und seinem Schlosskaplan.
Es eilt der Zug, wie fröhlich, durch die beblümte Au.
Wie dufteten die Blüten, wie schimmerte der Tau,
Wie sangen froh die Vögel in ihrer Frühlingsluft
Da musst zum Lied sich heben wohl auch die Menschenbrust!
Und sieh! am gleichen Tage zu Heil’genberg dem Schloss,
da steigt in schwerer Rüstung ein Ritter auch zu Ross
Ihm folgen Waffenknechte, geschlossen das Visier,
Sie zieh’n durch’s „Ried von Ostrach“ durch’s dunkle Waldrevier.
Und nun bei Hundersingen, da wo die Donau fließt,
auf einer Rasenstelle, die rings Gebüsch umschließt,
Da ruh’n sie nah der Straße und lauern, doch verrät
Kein Laut das selt’ne Lager dem, der vorübergeht.
Wer ist denn dieser Ritter, der sich am Weg hier hält,
mit den vermummten Knechten so räuberisch sich stellt?
Das ist der Werdenberger, Graf Felix, rachevoll,
heut‘ will das Opfer suchen sein lang verborg’ner Groll.
Er weiß die sich’re Kunde von seines Feindes Zug
wohl auf den hohen Bussen; was er im Herzen trug
seit jenem Hochzeitstage, heut brennt’s in wilder Glut;
Graf Sonnenberg soll kühlen den Brand mit seinem Blut.
Es ist noch fern die Stunde, da golden niedertaucht
die Sonne in das Dunkel, nur leis‘ ein Lüftchen haucht,
das die enthüllten Blüten der Bäume sanft bewegt,
des Abends erste Boten auf seinen Schwingen trägt.
Da hört man Pferde traben von fern in raschem Lauf
und siehe! plötzlich brechen die Wegelag’rer auf
zum Streite sich zu ordnen. Kaum hatte sie erblickt
Andreas, als auf Kundschaft er seine Knechte schickt.
„Wer seid ihr“, lässt er fragen, „und was ist euer Ziel?“
Drauf die Vermummten sagen: „Wir sind von Hohentwiel
und pflegen hier der Ruhe.“ Nunmehr auf den Bescheid
naht Sonnenberg dem Haufen und ahnet auch kein Leid.
Da schnellen Todespfeile die Feindlichen auf ihn;
Graf Sonnenberg ist wehrlos – noch sucht er zu entflieh’n.
Und über einen Graben das Pferd zum Sprung er zwingt –
er stürzt – er ist verloren – er wird vom Feind umringt.
„O lasst ihn noch zur Beichte!“ so flehet der Kaplan.
Umsonst ist seine Bitte – die Mörder fallen an
das unbewehrte Opfer mit wahrer Tigerwut;
Es strömt aus zwanzig Wunden des Grafen Lebensblut.
Ja Werdenberg, so hast du dein Rachewerk vollbracht,
es ist dein Feind gefallen – doch was in mancher Schlacht
du ritterlich errungen, o diese eine Tat
vernichtet deine Lorbeer’n und deines Ruhmes Saat.
Als man gen Scheer, dem Schlosse, des Grafen Leichnam tragt,
wie groß ist da die Trauer, wie laut wird da geklagt!
„Das tat der Werdenberger, der auf den Herrn ergrimmt.“
Also die Richterstimme des Volkes man vernimmt.
Und es verfolgt den Täter der Geist, der ihn verflucht,
wohin er immer ziehet und Ruh‘ und Hilfe sucht.
Ob auch die Macht des Kaisers ihn dem Gesetz entzieht,
im Himmel wohnt ein Richter, dem nimmer er entflieht.
Man sieht ihn Buße üben nach geistlichem Gebot
in Kirchen und Kapellen in tiefer Herzensnot;
Doch seine Opferdüfte als Sühne schwerer Schuld,
Sie scheinen nicht zu finden des ew’gen Richters Huld.
Und horch! dem Kaiser gab er gen Augsburg das Geleit –
es war zur Zeit des Sturmes im großen Glaubensstreit –
da hat ihn Glanz und Ehre noch einmal reich umweht,
so wie die Pracht der Sonne, bevor sie untergeht.
Da traf ihn Gottes Rache, des ew’gen Richters Hand –
es war an einem Morgen, als man erstickt ihn fand
in seinem eignen Blute – der Tod hat ihn erreicht,
wie einst der Feind verblutet – hilflos und ohne Beicht.
Quelle: Aus der Vorzeit Hohenzollerns: Sagen und Erzählungen von Louis Egler, Tappen, 1861, Seite 147ff., Permalink: https://books.google.de/books?id=Bl0AAAAAcAAJ